Obwohl nicht immer frei von Koketterie, war Benses besonderer Vortragsstil keineswegs eine akademische Marotte, sondern der Ausdruck einer speziell entwickelten Technik der Subversion, wie sie unter Lehrkörpern nur selten vorkommt. Als Querdenken noch gar nicht Mode war, rochierte er bereits ausgiebig zwischen den Fronten oder – wenn man will – zwischen den Möbeln, die zufällig um ihn herumstanden. Und ganz besonders gefiel er sich dabei in der Rolle eines Doppelagenten zwischen progressiver Kunst und exakter Wissenschaft. Als Hauptvertreter des von ihm erfundenen existenziellen Rationalismus philosophierte er selbstredend quer zum universitären Normalbetrieb und konnte sich das irgendwie auch leisten. Auf ihre ästhetische Eigenrealität hin betrachtet – und mir blieb oft nichts anderes übrig –, konnten die von Bense gefüllten Tafeln den konzeptuellen Geschmack der späten 60er und frühen 70er Jahre treffen. Warum sie dennoch nicht so in Umlauf gekommen sind wie diejenigen von Joseph Beuys, hat wohl auch mit der Tatsache zu tun, dass Bense das Monopol auf ihre Deutung besaß, so dass für Kunstkritiker wenig zu tun geblieben wäre.Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce, so führte Bense eines Abends aus, habe behauptet, dass, wenn man das Universum als eine leere Tafel betrachte, es logisch zwingend sei, dass alles, was überhaupt aufgezeichnet werden könne, auf dieser Tafel der Möglichkeit nach bereits enthalten sei. „Wirklich alles, auch dieser Punkt hier oder dieses Wort oder“ – und jetzt zeichnete Bense etwas ziemlich Extravagantes – „diese völlig unverständliche Kurve.“ Jedes Schreiben, jedes Zeichnen an eine Tafel, so legte ich mir diesen Gedanken zurecht, ist also nichts anderes, als die rituelle Wiederholung des ursprünglichen Schöpfungsaktes. Bense diente die Tafel als Informationsträger und Feedbackfläche zwischen ihm und dem Publikum. Indem er auf dieser öffentlichen Fläche alles mit allem in Beziehung setzte, führte er auf geniale Weise vor, wie man ein Brett vor dem Kopf als kognitives Display einsetzen kann.Einige Jahre nach meiner Erstbegegnung, als

 

Benses Montagabendveranstaltungen bereits im großen Tiefenhörsaal des K1 stattfanden, wurde ich Zeuge einer ebenso komischen wie denkwürdigen Begebenheit. Die gigantische Wandtafel war bereits gefüllt mit Kreidezeichen aller Art, als Bense zwischen einem Begriff in Augenhöhe und einem viel weiter oben stehenden und deshalb für ihn unerreichbaren anderen Begriff einen grafischen Zusammenhang herstellen wollte. Mittels einer Fußtaste wäre es möglich gewesen, die motorbetriebene Tafel herunterzufahren und dann den Strich zu ziehen. Da Bense jedoch die Kreide schon an die Tafel angesetzt hatte und die Fußtaste sich zufällig in der Nähe seines Standortes befand und er sich vermutlich später auch nicht bücken wollte, ließ er, von der ungeahnten Möglichkeit selbst überrascht, den Arm unbewegt stehen und setzte statt diesem die Tafel in Bewegung, bis der gewünschte Punkt erreicht war. Die so aus der Zusammenarbeit von Hand und Fuß erzeugte, letztlich aber von der Tafel selbst gezeichnete Linie gibt mir bis heute zu denken. Für einige Augenblicke war Bense Teil einer in sich geschlossenen Aufzeichnungsmaschine, bei der seine ansonsten subjektiv gesteuerte Hand nur noch als technische Kreidehalterung fungierte. Wäre es möglich, dass die Funktion des schöpferischen Subjekts sich eines Tages darauf beschränken könnte, nur den Finger auszustrecken und in die Welt oder auf einen Bildschirm zu zeigen, wohl wissend, dass die Welt oder der Bildschirm auch ohne unser Zutun ständig in Bewegung sind und es allein darum gehen kann, im rechten Moment auf die richtige Stelle zu zeigen?