Boulevard-Schlagzeilen und Homestories waren nie sein Ding. Hilmar Thate war einfach nur ein guter Schauspieler. Die DDR musste er einst verlassen, weil er mit den Kommunisten gebrochen hatte. In den Filmen Rainer Werner Fassbinders und als „König von St. Pauli“ wurde er aber auch im Westen schnell bekannt. Nun ist er im Alter von 85 Jahren gestorben. Was bleibt?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Berlin - Jede Form von DDR-Nostalgie verbietet sich, aber in einigen wenigen Punkten muss man Respekt zollen: Theater- und Schauspielkunst hat das sozialistische Deutschland in den vierzig Jahren seines Bestehens vielfach und groß hervorgebracht. Zum Beispiel Hilmar Thate. Wer das Glück hatte, in den 70er Jahren als Westbesucher eine Karte für das Berliner Ensemble oder das Deutsche Theater zu ergattern, der konnte in großen Shakespeare-, Brecht- oder Strindberg-Inszenierungen einen Hauptdarsteller erleben, der in Sekundenschnelle zum Zentrum jedweder Aufmerksamkeit wurde.

 

Nie waren die Guten einfach nur gut, nie die Bösen nicht auch irgendwie reizvoll. Hohler Heldenton war Thate wesensfremd, er forschte nach den Brüchen und Abgründen und verlieh so den Figuren erst Wahrhaftigkeit. Just mit dieser Kunst wurde der noch dazu blendend aussehende Kerl auch im DDR-Kino und im Fernsehen zum Publikumsliebling, und nur seinetwegen sind tief propagandistisch durchtränkte TV-Mehrteiler wie „Daniel Druskat“ über das Wohl und Wehe des Chefs einer Bauerngenossenschaft auch heute noch anschauenswert.

Aus Protest gegen die Ausbürgerung Biermanns bricht Thate mit der SED

„Ich bereue im Nachhinein nicht eine Sekunde, diese Unterschrift geleistet und nicht zurückgenommen zu haben“ – so blickte Thate später auf den wohl folgenreichsten Entschluss seines Lebens zurück: Gemeinsam mit anderen protestierte der hochdekorierte „DDR-Staatskünstler“ 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Die SED stellte ihn und seine Ehefrau Angelika Domröse daraufhin kalt. 1980 durfte das Paar gen Westen ausreisen. Und hier nun beginnt der zweite Teil der Künstlerkarriere Thates, eine lange Kette großartiger Rollen auf der Bühne (bei Peter Zadek in der Fallada-Revue „Jeder stirbt für sich allein“), im Fernsehen (im Dieter-Wedel-Mehrteiler „Der König von St. Pauli“), im Film (bei Volker Schlöndorff in „Der neunte Tag“).

Für Boulevard-Homestorys taugte er nicht. So bleibt er allein durch seine Kunst in Erinnerung: zum Beispiel in Rainer Werner Fassbinders großem Nachkriegs-BRD-Melodram „Die Sehnsucht der Veronika Voss“: Als kerniger Sportreporter Robert Krohn kommt er da der Geschichte eines alten Ufa-Stars (Rosel Zech) auf die Spur, die in einem Sanatorium unter Drogen vor der Öffentlichkeit verborgen wird. Da war er einst: der deutsche Film – auch dank Hilmar Thate. Am vergangenen Mittwoch ist der Schauspieler 85-jährig in Berlin gestorben.