Die kleine Grundschule der kleinen Gemeinde Täferrot im Ostalbkreis hat sich einen eigenen kleinen Bauernhof eingerichtet. Der Erfolg des einzigartigen Projekts ist riesig.

Region: Verena Mayer (ena)

Täferrot - Was das Beste ist, also das ist nicht so einfach zu beantworten. Ist es das Spazierengehen mit den Ziegen, wie Laura meint? Sie führt immer die rebellische Bärbel an der Leine. Oder war es der Tag, an dem eines der Hühner ein Ei im Ziegenstall gelegt hat? Giada findet das noch immer total komisch. Lukas erinnert sich extrem gerne daran, wie sie mal versucht haben, ein ausgebüxtes Schaf einzufangen. „Das war cool.“ Und Emilia wird nie die Nacht vergessen, in der sie im Stall übernachtet hat. „Die Tiere haben dauernd geraschelt.“ Wer der Grundschule in Täferrot einen Besuch abstattet, findet ganz schnell 51 Dinge, die hier am besten sind. Exakt so viele wie Kinder, die in dieser Grundschule unterrichtet werden. Was zu einem weiteren besten Ding führt, vielleicht sogar dem allerbesten: Alle gehen sehr, sehr gerne in ihre Schule.

 

Zur Grundschule von Täferrot gehört außer einem rot angemalten Schulhaus ein ziemlich großer Stall für vier Schafe und acht Ziegen und ein etwas kleinerer für an die 18 Hühner. Außerdem wohnen dort zwei Hasen, zwei Katzen und drei Völker Bienen. Es gibt eine Weide mit vielen Obstbäumen, Beete, in denen Kartoffeln wachsen, und eine Küche, in der Marmelade gekocht und Honig geschleudert wird. Alles, was auf dem Gelände zu sehen ist, haben die Schüler selbst gemacht. Alles, was zu tun ist, erledigen sie selbst. Auch in den Ferien.

Einen Schulbauernhof wie den in Täferrot gibt es in Baden-Württemberg kein zweites Mal. Dass die kleine Schule im zweitkleinsten Ort des Ostalbkreises ihn einrichten konnte, ist nicht ganz leicht gewesen. Dass sich die Arbeit gelohnt hat, sagt heute jeder, der damit zu tun hat. Bei Marlon klingt das etwa so: „Es ist voll krass hier!“

Robin weicht altes Brot ein

Elias schiebt mit einem Bein sachte die Hühner beiseite und bugsiert seine kleine Schubkarre in ihr Außengehege. Frischer Badesand. „Hühner sind ja wasserscheu“, erklärt der Zehnjährige und schaufelt weiter. Im Innengehege weicht Robin altes Brot in Wasser ein. „Des flutscht den Hennen besser durch den Hals“, sagt der Zweitklässler, der auch eine Portion Rest-Spätzle vom Mittagessen mitgebracht hat. Davon kriegen sie allerdings nicht so viele. Sonst werden sie zu fett. Und dann gibt es auf der Ausstellung der Kleintierzüchter ganz bestimmt keinen Pokal. Letztes Jahr haben die altrassigen Vorwerkhühner aus Täferrot hervorragend abgeschnitten. Giada füllt frische Körner in den Futter- und frisches Wasser in den Wasserspender und fegt die alten Körner und die getrocknete Hühnerkacke zusammen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Dabei hatte sie anfangs Schiss, die Tiere würden nach ihr picken, wenn sie ihnen zu nahe kommt. Aber das ist schon bald kein Thema mehr. Wenn sie in die fünfte Klasse geht, werden ihr die Hühner fehlen, so viel ist sicher. Und alle anderen Tiere auch.

Früher, als Selbstversorgung noch selbstverständlich war, bekam jedes Kind mit, wie wichtig es war, im Frühjahr Samen zu setzen, im Sommer Pflanzen zu pflegen und im Herbst Obst und Gemüse zu ernten. Und jedem Kind war klar, dass es Erdbeeren nur im Sommer geben kann und Rosenkohl nur im Winter. Dann wurden die kleinen Höfe weniger, das Angebot riesiger und die Natur-Analphabeten mehr. Kühe waren lila und Enten gelb. Ananasse kamen aus dem Flugzeug, und ein Schnitzel war immer schon ein Schnitzel.

Vormittags rechnen, nachmittags misten

Inzwischen ist es so, dass Lehrer ihre Schüler regelmäßig auf Bauernhöfe führen. Mancherorts tun das schon Erzieher mit Kindergartenkindern. Es gibt Projektwochen und Reisen ins Schullandheim, die der Vermittlung der natürlichen Zusammenhänge dienen. Landwirte lassen sich zu Bauernhofpädagogen ausbilden. Und ein Verein namens Lernort Bauernhof freut sich, dass jährlich mehr als 1000 Schulbesuche durch das Land gefördert werden. Eine staatliche Schule, die einen eigenen Bauernhof unterhält, gibt es bis jetzt allerdings nur in Täferrot. Jeden Vormittag lernen die Kinder hier Lesen, Schreiben und Rechnen. Und jeden Nachmittag lernen sie, dass ein Stall eklig wird, wenn niemand die Miste entsorgt, und dass jemand die Äpfel auflesen muss, wenn man Saft trinken will, oder dass ein Tier sterben muss, wenn man Fleisch essen möchte.

Als vergangenes Jahr für die erste Schulspeisung aus eigenen Produkten vier Hühner zu Frikassee wurden, mutierten einige Kinder spontan zu Tagesvegetariern. Was wohl heute passiert? Auf dem Speiseplan stehen Spätzle mit Gulasch. Ziegengulasch, um genau zu sein. Ziegengulasch von Emma und Frieda, um noch genauer zu sein. Womöglich würden die Buben und Mädchen gar nicht schmecken, was genau sie da essen. Aber dass sie es wissen, gehört zum Lehrplan. Ein Bauernhof, sagen die Lehrer in Täferrot immer wieder, produziert Lebensmittel. Und ihr Schulbauernhof, das wissen die Schüler theoretisch schon immer, ist kein Streichelzoo. Zugegeben, die Schule hätte die überzähligen Ziegen auch verschenkt, aber es haben sich nicht genügend Abnehmer gefunden. Praktisch verläuft das Mittagessen an diesem Tag so, dass sich manche für die vegetarischen Kässpätzle entscheiden und manche eine zweite Portion Gulasch holen. Am Ende sagt Sigmar Zidorn: „Das Essen war bombe!“ Die Kinder jubeln, auch David, der extrem traurig dreinschaute, als er tapferen Herzens von Emma und Frieda kostete, lächelt wieder.

Sigmar Zidorn, 44, ist ein Schulleiter, der kein bisschen wie ein Schulleiter aussieht. Er trägt Flipflops an den Füßen und ein T-Shirt, das nicht ganz knitterfrei aus der Jeans hängt. Wenn er in den Pausen durch das Schulhaus läuft, umarmen ihn Kinder. Und wenn er erzählt, wie es kam, dass seine kleine Schule zu einer einzigartigen Schule wurde, sagt er nicht: „Weil ich ein visionärer Mann mit Durchsetzungsvermögen bin.“ Sigmar Zidorn sagt: „Weil alle mitgezogen haben.“

Die Eltern bauten mit

Es fing damit an, dass alle Eltern ihre Kinder im damals neuen Ganztagesprogramm anmeldeten. Wirklichen Bedarf gab es bei nur fünf Familien – viel zu wenige, um zur Ganztagsschule werden können. Ohne Ganztagesprogramm jedoch hätte es keinen Bauernhof geben können. Und es ging damit weiter, dass alle Eltern beim Bau des Stalles Hand anlegten, der die Gemeinde damit keine unvorstellbaren 170 000 Euro kostete, sondern viel weniger als die Hälfte. Ungemein bedeutend selbstverständlich war auch, dass der Gemeinderat die neue Ausrichtung seiner Schule überhaupt genehmigte. Und dass das Schulamt seinem Beamten Zidorn eine bauernhofspezifische Fortbildung genehmigte. Und dass seine Lehrerkollegen die Idee ebenfalls super fanden. Gut, Gerüchte und Skepsis hat es anfangs auch gegeben. Der Zidorn, hieß es, wolle die Schule auflösen und die Kinder auf seinem Hof schuften lassen. Dass das alles sowieso und überhaupt nicht gut gehen kann, sei ausgemachte Sache. Aber so kam es ja nicht. Im Gegenteil.

Als Zidorn vor sechs Jahren in Täferrot anfing, zählte die Schule 40 Kinder und sorgte sich um ihre Zukunft. Seither wurden es immer mehr. Im neuen Schuljahr gehen rekordverdächtige 60 Kinder in die Täferroter Schule, sogar aus den umliegenden Orten fahren sie inzwischen hierher. Wie es aussieht, ist Sigmar Zidorn ein extrem guter Schulleiter.

Paula, die hinter einem Tisch im Foyer steht, geht in die dritte Klasse. An diesem Mittag ist sie allerdings Verkäuferin. Im Sortiment hat sie Seife, Ziegenwurst, diverse Marmeladen, Honig und Heuballen. Alles selbst gemacht oder zumindest aus eigenem Anbau. Und alles, dank einer Ankündigung im Blättle, sehr gefragt. Die Ziegenwürste sind bereits ausverkauft. Heidelbeer- und Himbeermarmelade gibt es auch keine mehr. „Haben Sie ein Haustier?“, fragt die geschäftstüchtige Paula ihre Kundin. „Dann könnten Sie stattdessen einen Heuballen kaufen.“ Und der Nächste: Zwei Gläser Honig machen sieben Euro. Danke! Weiter geht’s: zweimal Erdbeermarmelade – sechs Euro bitte. Und: Zwei Heuballen und eine Seife – das macht, Moment, sieben Euro siebzig. Und hier, bitte schön, sind, ähm, zwei Euro dreißig zurück.

Die Geburt der Schulziege wird im Amtsblatt veröffentlicht

So macht Mathe Spaß! Auch Englisch ist viel lustiger, seit the Chicken and the Sheeps from Täferrot mit dabei sind. Und wenn die Schüler in Deutsch statt Aufsätzen und Diktaten auch echte Briefe schreiben dürfen, ist der Unterricht noch viel interessanter. Zum Beispiel an eine Firma, die womöglich Obstbäume für die Schulwiese spenden möchte. Oder Steine für den Auslauf der Schafe und Ziegen. Oder Blumen für eine hübsche Bepflanzung hinterm Stall. Oder, und das kommt fast genauso oft vor, um Danke zu sagen.

Die Schule in Täferrot ist kein Ort, an dem nur Kinder lernen. Und auch kein Ort, an dem nur Lehrer unterrichten. Die Bienen-AG leitet ein Imker vom Imkerverein. Die Schachstunden gibt ein Meister aus dem Ort. Den Chor, auch er gehört zum Angebot der Ganztagsschule, dirigiert ein Musikus des Liederkranzes. Die Erste-Hilfe-Lektionen erteilen die Malteser. Und bei der Bauernhof-AG schafft eine echte Landwirtin mit. Logisch also, dass die Geburt einer Schulziege im Amtsblatt veröffentlicht wird. Ganz offensichtlich ist die Schule in Täferrot auch ein Ort, an dem das ganze Dorf Anteil nimmt.

Uff, Heu zum Futtern ist in den Trögen, frisches Stroh auf dem Boden, alle Miste abtransportiert. Die Jungbauern haben ihre Schaufeln, Gabeln und Schubkarren ordentlich verräumt und die Hühner, Ziegen und Schafe sicher hinter Schloss und Riegel gebracht. Feierabend! Viel, viel früher als auf einem Bauernhof, der kein Schulbauernhof ist. Was nur geht, weil in Täferrot keine Tiere leben, die am Abend eine Extramahlzeit brauchen. Noch nicht. Sigmar Zidorn meint, dass sich zwei Ferkel auch gut auf dem Hof machen würden. Und wenn eines Tages eine Kuh – bitte, was ist ein Bauernhof ohne Kuh? – in Täferrot einziehen könnte, also das, sagt der Rektor, „das wäre die Krönung“!

Und mit Gewissheit etwas, das die Liste der besten Dinge noch länger machen würde.