Der Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald war einst umstritten. Längst ist die Kritik verstummt, und mit Beginn des neuen Jahres ist der Park sogar kräftig gewachsen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Stuttgart - Wer den Wasenhof von Christine Pommerer bei Großerlach-Trauzenbach besucht, taucht in ein Naturidyll ein. Wälder und Felder, soweit das Auge reicht. Doch Vorsicht: „Giftige Kräuter“, warnt ein Schild. Christine Pommerer sagt, dass „gegen nahezu jedes Wehwehchen ein Pflänzchen gewachsen ist“. Welches Kraut wie wirkt, können die Gäste von der Frau mit dem wallenden Haar lernen. Vor ein paar Jahren hat die Heilkräuterpädagogin mitten im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Sie bietet Kurse und Seminare an und bildet den Nachwuchs aus.

 

Viele Männer und Frauen haben in den vergangenen 35 Jahren rund um das ehemalige Oberamtsstädtchen Murrhardt ähnliche Projekte ins Leben gerufen wie Christine Pommerer – manche mit finanzieller Unterstützung des Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald (SFW), andere nur mit ideeller Begleitung.

Einige Beispiele: der Erlebnispädagoge Walter Hieber eröffnete in Rudersberg-Oberndorf, Luftlinie nur ein paar Kilometer von Trauzenbach entfernt, direkt an einem Bachlauf sein Waldentdecker Wieslaufcamp. Die Hütte des zertifizierten Naturparkführers wird von Schulklassen, Kindergärten und Privatpersonen, aber auch von Betrieben für Feiern und Feste gerne gebucht. Fließend Wasser gibt es nur vor der Türe. Hiebers Gäste suchen das kleine Abenteuer, die kurze Auszeit vom Alltag, den Blick auf die Natur.

Yogakurse und Crossstrecken

Auf dem Schweizerhof, in einem alten Bauernhaus am Waldrand bei Großerlach-Mannenweiler, haben Anja und Michael Nowak ein Heuhotel eingerichtet. Die Eheleute bieten Yogakurse und Meditation an. Sie wollen zusammen mit Gleichgesinnten, wie Anja Nowak sagt, „bewusst leben, inmitten der herrlichen idyllischen Natur“.

Am Ortsrand von Großerlach betreibt Gottfried Mauss ein Freizeitzentrum mit Skilift. Mauss hat die Anlage vor ein paar Jahren vom Vorbesitzer ersteigert, er hat große Pläne, will unter anderem Crossstrecken für Biker anlegen. Ein eher untypisches Vorhaben für diese Gegend.

Normalerweise suchen im Naturpark Stadtmenschen nach Ruhe. Etwa in Großhöchberg, wo gleich mehrere (Lebens-)Künstler gelandet sind. Der Mime Thomas Weber leitet in dem kaum 100 Seelen zählenden Nest die Kleinkunstbühne Kabirinett. Der ehemalige Fernsehjournalist Jo Frühwirth führt ein Seminarhaus. Die Kirchenmalerin Jutta Scheuthle und der Schauspieler Jürg Löw leben nebenan auf dem Klosterhof. Sie organisiert ein ambitioniertes Kulturprogramm, er arbeitet, wie er sagt, „nach dem Lustprinzip“ – manchmal schafft er für das Fernsehen, manchmal mit ihr auf dem Hof.

Der Landrat blickt zurück

Es hat sich einiges getan, seit sich die Gegend mit dem Titel Naturpark schmücken darf. In den romantischen Tälern wurden Wanderwege beschildert und Mühlen saniert, im Wald Spiel- und Grillplätze gebaut. Die Fassaden von Fachwerkhäusern in den Dörfern wurden herausgeputzt, E-Bike-Stationen, Herbergen und Dauerausstellungen eröffnet. Die Seen, die einst als Regenrückhalten angelegt worden sind, wurden für Touristen erschlossen, Ferienwohnungen zertifiziert.

Szenenwechsel. Horst Lässing, der von 1973 bis 2002 Rems-Murr-Landrat war, sitzt in der Wohnstube seines Einfamilienhauses in Waiblingen und erinnert sich mit einem Grinsen im Gesicht an die Jahre vor der Gründung des Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald. Damals war ihm nicht immer zum Grinsen zumute.

„Wenn der Landrat das nächste Mal in den Wald kommt, dann binden wir ihn an einem Baum fest. Dann kann der Lässing hier Wurzeln schlagen.“ Der Mann, der den Kreischef Mitte der siebziger Jahre an einer Eiche festzurren wollte, war der damalige Vorsitzende des Waldbauernvereins Murrhardt. Die Stimmung in der schwäbischen Kleinstadt und in den Umlandkommunen war Ende der 1970er Jahre explosiv.

Angst vor der Veränderung

Der Christdemokrat Lässing, nunmehr 76 Jahre alt, erzählt von einer Sitzung in Sulzbach: „Da hat die Volksseele gekocht“, die Waldbesitzer seien wütend gewesen. Der Oberforstmann und seine Mitstreiter wollten die Ausweisung des Naturparks mit allen Mitteln verhindern. Er habe sich „mit der Mistgabel bedroht gefühlt“.

Die Bauern hatten damals Angst vor der Veränderung. Sie wollten, schrieben sie Lässing, so wie ihre Vorfahren seit vielen Jahrhunderten in den Wald gehen dürfen, „nur mit der Axt, nicht mit dem Gesetzbuch“. Es dauerte einige Jahre, bis die Landwirte erkannten, dass kein Staatsdiener im Naturpark auftaucht, um sie mit behördlichen Vorgaben zu drangsalieren.

In alten Zeitungsartikeln und in vergilbten Protokollen aus dem Archiv des Naturparkzentrums in Murrhardt wird die „Furcht vor der Käseglocke“ thematisiert. Die Waldbauern und mit ihnen einige Kommunalpolitiker haben befürchtet, dass nach der Ausweisung des Naturparks manches zum Stillstand kommen könnte: die Holzproduktion, die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen, das Wachstum der Städte und Gemeinden.

Der Naturpark ist ein Erfolgsmodell

Die Kritik ist längst verstummt. Seit der Gründung des Naturparks 1979 haben das Land, die Lotterie Glücksspirale und die Europäische Union neun Millionen Euro in den Landstrich gepumpt. Der Geschäftsführer des Naturparkvereins, Bernhard Drixler, sagt: „Die Zuschüsse haben Gesamtinvestitionen von 16 bis 20 Millionen Euro angestoßen.“ Jahr für Jahr würden rund zwei Dutzend Projekte unterstützt – wie das Kräuterzentrum bei Trauzenbach und das Waldcamp an der Wieslauf.

Der Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald ist zum Erfolgsmodell geworden, mehrfach im Land kopiert – und jetzt deutlich größer als beim Start. Mit dem Beginn des neuen Jahres ist die Fläche um gut ein Drittel gewachsen. Nach der Erweiterung gehören nun 48 Städte und Gemeinden dazu. Elf Kommunen sind neu dabei, unter anderem Berglen, Allmersbach im Tal, Gaildorf und Abtsgmünd. Die Fläche umfasst nun 1270 Quadratkilometer statt bis dato 916. Die Bürgermeister sowie die Stadt- und Gemeinderäte, aber auch manche lokale Unternehmer erhoffen sich weitere Impulse für den Tourismus.

Ein Steigerungspotenzial ist in diesem Wirtschaftszweig zweifellos vorhanden. Denn noch ist der Schwäbisch-Fränkische Wald selbst für viele Stuttgarter Terra incognita, unbekanntes Land. Zum Tag des Schwäbischen Walds im September kommen zwar immer viele Tausend Gäste, doch meistens könnten die lokalen Tourismusanbieter mehr Kundschaft vertragen. Die dünn besetzte Naturpark-Geschäftsstelle muss wohl noch einige Überzeugungs- und Öffentlichkeitsarbeit leisten, bevor das idyllische Stückchen Baden-Württemberg von den Massen gestürmt wird. Bis dahin ist der Schwäbisch-Fränkische Wald freilich für all jene umso attraktiver, die ihn zum Seele-baumeln-Lassen aufsuchen.

Parallelen zur Nationalpark-Debatte

Der fast vergessene Widerstand der Waldbauern gegen den Naturpark erinnert an den Konflikt im Schwarzwald, der seit Monaten Schlagzeilen macht. Die grün-rote Landesregierung hat jüngst beschlossen, den ersten Nationalpark in Baden-Württemberg auszuweisen. Vor Ort tobt der Widerstand, landesweit hingegen spricht sich in Umfragen eine Mehrheit für das Projekt bei Baiersbronn aus. Gut möglich, dass sich heutzutage auch im Schwäbischen Wald mehr Widerstand organisieren ließe.

Damals haben Horst Lässing und seine Mitstreiter erreicht, dass der Naturpark durchstarten konnte – obgleich die CDU-geführte Landesregierung lange den Bremser spielte. Lässing erzählt, dass Gerhard Weiser zunächst blockiert habe. Das ganze Land sei doch eine Art Naturpark, schrieb der Landwirtschaftsminister dem jungdynamischen Landrat aus Waiblingen.

Lässing hat nicht lockergelassen und unmittelbar nach der feierlichen Unterzeichnung des Vertrags am 14. Oktober 1979 in Murrhardt erklärt: „Wir wollen weder eine Käseglocke noch einen Rummelplatz.“ Es gehe darum, den Landstrich weiterzuentwickeln und für die Menschen neue Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Existenzgründer wie die Kräuterfee Christine Pommerer, der Erlebnispädagoge Walter Hieber oder die Heuhoteliers Anja und Michael Nowak können bestätigen: Lässing hat vor dreieinhalb Jahrzehnten nicht zu viel versprochen.