Am 18. März wäre Thaddäus Troll, der seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat, 100 Jahre alt geworden. Seine schwäbischen Bücher haben ihn berühmt gemacht.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Sein Grab auf dem Steigfriedhof ist so unscheinbar, dass man beim Suchen leicht mehrmals daran vorbeigeht. Es gibt nur einen kleinen, liegenden Grabstein, auf dem nichts steht als: „Thaddäus Troll 1914–1980.“ Ganz bescheiden trat er von der großen Bühne ab. Kein Beruf, keine Erinnerung an sein Schaffen, nicht einmal ein religiöses Zitat, das Erlösung verheißt.

 

Erlösung! Das hatte sich Dr. Hans Bayer, der seit dem Kriegsende nur noch Thaddäus Troll heißen wollte, sowieso nicht vorstellen können. Zu mächtig war zuletzt seine Krankheit geworden. Der immer neuerliche Gang durchs Tal der Tränen seiner Depression hatte ihn ausgelaugt. Seine Sekretärin und Freundin Eleonore Lindenberg erinnert sich, dass er wenige Tage vor seinem Tod ein Protokoll für den Rundfunkrat schreiben sollte und ihm nicht einmal mehr banalste Sätze einfielen: „Er war völlig verzweifelt, denn nun ging es an seine Existenz.“ Troll versuchte noch zu witzeln. In einem der letzten Briefe lehnte er eine Anfrage mit den Worten ab: „Ich befinde mich im Bürgerhospital auf Trockendock, um mein Nervenkostüm renovieren zu lassen. Zu diesem Zweck ist das Gehirn betoniert und die Feder lahmgelegt.“

Am 5. Juli 1980, mit 66 Jahren, nahm sich Thaddäus Troll in seiner Wohnung in der Traubergstraße das Leben. Es war ihm wichtig, sich zuvor schriftlich oder am Telefon insgeheim von seinen Freunden zu verabschieden. Für die Beerdigung hatte er sowieso alles vorbereitet – der Pfarrer habe sich kurz zu halten, anschließend solle es Trollinger geben. Die Trauerrede, die dann tatsächlich am Grab gehalten wurde, hatte er zehn Jahre zuvor schon verfasst. Dann zog er seinen dunklen Anzug an, trank ein paar Gläser französischen Rotwein und nahm genügend Schlaftabletten. In dem selbst verfassten Nachruf steht der Satz: „Um die heutige Beerdigung komme ich beim besten Willen nicht herum.“

Ein großer Genießer

Darf man einen Text über den großen Schalk Thaddäus Troll so düster beginnen? Vielleicht muss man es so sogar, denn Witz und Tragik, Humor und Verzweiflung lagen bei Troll nahe beieinander, zumindest bedingten sie sich. Im 1967 erschienenen Buch „Deutschland deine Schwaben“, das Troll, den Bad Cannstatter, über Nacht berühmt und vermögend machte, gibt es ein Kapitel über die Geisteshaltung des Schwaben. Dort schreibt er, und man könnte meinen, er denke an sich selbst: „An der Redensart, dass wir Schwaben erst mit vierzig gescheit werden, ist schon etwas Wahres. Denn es bedarf eines langen Reifungsprozesses, aus dem Unvereinbaren zwar keine Lösung, aber immerhin eine Emulsion zu machen. Wo der Schwabe nicht eine Eigenschaft mit der komplementären verdrängt, wo er nicht einseitig, nicht dickschädlig und verbohrt wird, da hat er die Chance, weise zu werden, die Dinge in ihrer ganzen widersprüchlichen Existenz zu begreifen. Dann gehört er jenem geistigen Generalstab an, der sich zu einem großen Teil aus Schwaben rekrutiert.“

Diesem „geistigen Generalstab“ hat er selbst unbedingt angehört. Das lag womöglich auch daran, dass der große Genießer Thaddäus Troll, der guten Wein und gutes Essen liebte und die Sonnenseiten kannte, doch in furchtbare Abgründe geblickt hat – der Witz war für ihn ein Mittel, den Unzulänglichkeiten des Lebens Paroli zu bieten. Ihm ist es, trotz der Krankheit, gelungen, im guten Hegel’schen Sinne (der auch ein Schwabe war), die Synthese der Eigenschaften herzustellen.

Das zeigte sich auch in seinem ausgewogenen Charakter. Er sei warmherzig gewesen, sagt Eleonore Lindenberg, integer, verlässlich und sozial eingestellt – selbst die Gehaltserhöhung für die Sekretärin vergaß er nie. Und er war gesellig, sei es bei dem legendären „Tisch der Dreizehn“ im schwäbischen Lokal Zur Kiste im Stuttgarter Bohnenviertel, sei es im idyllischen Zweitwohnsitz Hinterrohrbach, wohin er oft Gäste einlud. Er veranstaltete im Sommer für alle Bekannten, die nicht in Urlaub fuhren, seine „Landeshinterbliebenentreffen“. Dabei servierte der leidenschaftliche Koch den Gästen exquisite Gerichte wie Hummerschwänze und kokettierte damit, er sei nur Schriftsteller geworden, weil es zum Koch nicht gereicht habe.

Wahlkampf für Willy Brandt

Aber Thaddäus Troll hatte auch eine sehr kämpferische Seite. Seine schwäbische Seite kennen fast alle, die politische nur wenige. So hat er sich 1969 gerne vom Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel für den Wahlkampf von Willy Brandt einspannen lassen. An der Seite von Günter Grass und Heinrich Böll warb er, teils auf mehreren Veranstaltungen täglich, für mehr Demokratie, die Brandt versprach. Er saß zwei Jahrzehnte im Rundfunkrat des Süddeutschen Rundfunks und arbeitete daran, dass der Sender frei von staatlichem Einfluss bleiben sollte. Und er setzte sich als Funktionär in den Schriftstellerverbänden dafür ein, dass geistiges Eigentum endlich etwas wert sei. Die noch heute für freie Autoren und Journalisten sehr wichtige Künstlersozialkasse war mit Trolls Werk. Und er hat die Gründung des Schriftstellerhauses in der Kanalstraße mit vorangetrieben. Ein typischer Vereinsmeier sei Thaddäus Troll nicht gewesen, schreibt der ehemalige StZ-Redakteur Jörg Bischoff, der jüngst die erste Biografie Trolls veröffentlicht hat. Und er zitiert die Schriftstellerin Irmela Brender, die sagte: „Wenn Thaddäus Troll eine Sitzung leitete, nahm die Tagesordnung Schaden, dafür gewann der Stil des Umgangstons.“

Den Nachgeborenen mögen diese Aktivitäten Trolls gleichgültig sein – für ihn selbst hatten sie größte Bedeutung. Das hat Trolls Tochter Manuela Bayer jetzt noch einmal betont. Kämpferisch waren auch viele von Trolls schwäbischen Gedichten: Sie besitzen eine starke politische Botschaft und hallen wider vor Abscheu vor allen Heuchlern, Frömmlern und Wendehälsen. Alfred Kirchner, der Regisseur der Uraufführung des „Entaklemmers“ 1976, arbeitet deshalb bis heute daran, dass Troll nicht nur als humoristischer, weinseliger Autor wahrgenommen wird, sondern als ein Schriftsteller mit Tiefgang.

Weit weg von jeglicher Heimatglorifizierung fährt Troll zum Beispiel im Gedicht „Stammeseigenschaften“, erschienen im sehr politischen Band „O Heimatland!“, den Schwaben an den Karren: „Uffrichtig ond gradraus / – solang mer koin schada drvo hot – / guatmiatich bis dortnaus / – aber net wenn s om s geld goht – / wenn s sei muaß saugrob / solang nex uff-m schpiel schtoht – / dees isch dr schwob.“ Und den „Stillen im Lande“ ruft er wütend zu: „Saget net emmer – wenn s halt Gotts will isch – / ond faltet d händ ond lasset s gscheha. / merket eich: Gotts will ka mer au macha.“

Dunkler Fleck in der Vita

Diese Wut auf die Heuchler und Duckmäuser – sie galt auch sich selbst. Denn es gibt ein dunkles Geheimnis im Leben Trolls, das Jörg Bischoff nun in seinem Band klar herausgearbeitet hat. Während des Krieges hat Hans Bayer sechs Jahre lang in der Propagandatruppe von Joseph Goebbels gearbeitet und dabei als Kriegsreporter ins „Triumphgeheul der Wehrmacht und der Nazis“ eingestimmt. Manche Bildunterschriften seien regelrecht von Judenhass geprägt gewesen, schreibt Bischoff.

Dafür hat sich Troll, der nie ein Nazi war, sich aber durchgemogelt hat, später geschämt. Vielleicht fiel es ihm deshalb so leicht, 1946 seinen Namen zu wechseln. In einem kurz nach dem Kriegsende verfassten Lebenslauf schrieb Troll: „Wir ballten die Fäuste in den Taschen, als wir von den Bücherverbrennungen hörten. Wir ballten die Fäuste, aber wir schlugen nicht zu. Und da liegt unsere Schuld. Man hatte uns zu Hamlet-Naturen erzogen. Wir waren keine Rabauken wie die, die ein paar Jahre jünger waren. Uns mangelte die Tatkraft, ihnen die Einsicht. Und nur einer Generation, die beides gehabt hätte, wäre es möglich gewesen, dem Faschismus die Stirn zu bieten.“

Jörg Bischoff sieht in diesem Trauma sogar die eigentliche Triebfeder für Trolls „leidenschaftlichen Widerstand gegen staatliche oder parteiliche Alleinherrschaft, der ihm von nun an zeitlebens die Feder geführt hat“.

Mehr als 70 Bücher hat Thaddäus Troll in seinem Leben geschrieben, daneben unzählige Feuilletons und Theaterkritiken. Es ist noch eine Aufgabe, diese literarische Seite Trolls stärker ins Bewusstsein zu bringen. Was derzeit von ihm bleibt? Er hat mit „Deutschland deine Schwaben“ das Bild dieses Menschenschlages bis heute beeinflusst – obwohl die Sparwut der Schwaben, deren hohe Eigenheimquote und die viel besungene Kehrwoche allesamt hart am Klischee vorbeischrammen.

Der Dialekt

Vor allem hat Thaddäus Troll den schwäbischen Dialekt am Leben gehalten – und ihn selbst gelebt. Das bleibt sein Verdienst. Seine Sprachfülle war so enorm, dass er die Übersetzung des „Geizigen“ von Molière beinahe aus dem Stegreif bewerkstelligt hat. Zwar hat er einen ganzen Jahrgang des „Schwäbischen Merkur“ in der Landesbibliothek gelesen, um den Zeitgeist zu atmen, in den er den „Entaklemmer“ versetzte. Aber Eleonore Lindenberg, die alle seine Texte abtippte, beteuert: „Es gab nie ein Manuskript.“ Im Bürgerhospital habe Troll, ein gelbes Reclam-Heft des „Geizigen“ in der Hand, frei den schwäbischen Text auf Band gesprochen.

Das ist eine Anekdote, wie sie Thaddäus Troll gefiel. Noch besser ist jene von der Entstehungsgeschichte seines berühmtesten Bandes. Troll hatte nie zuvor Schwäbisches geschrieben, er war ein Schöngeist, und als ein Verlag bei ihm anfragte, ob er die Reihe „Deutschland deine Sachsen“ mit den Schwaben fortsetzen wolle, lehnte er zunächst erbost mit den Worten ab: „Ich bin doch kein Heimatschriftsteller.“

Das ist er auch nie geworden. Dabei schrieb er danach fast nur noch im Dialekt.