Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Winfried Kretschmanndpa 2010plus - Dass der Südwesten irgendwann sein eigenes Antlitz konstruiert, war zwangsläufig. Dieses Gesicht ist kantig wie die Zinnen von Schloss Hohenzollern, zerfurcht wie die jahrelang vernachlässigten Kreisstraßen, bärbeißig-verschmitzt wie ein Liftbetreiber auf der Alb, vergeistigt wie ein Tübinger Philosophiedozent ohne Festanstellung und unergründlich wie die Quelle des Blautopfs. Der so entworfene Kretschmann erlebte seine Markteinführung 2011, als sich im ganzen Land Umweltschützer, Wertkonservative und grün-vegane Metropolmenschen zu einer Bewegung des traditionsbewussten Modernismus zusammenfanden. Hinter dem Kretschmann konnten sich alle versammeln, denn er verkörpert die Vielgestaltigkeit des Südwestens wie kein anderer. Im Dienstwagen wirkt er wie jemand, der Angst hat, die Sitze zu verkrümeln. In Debatten wirft er so leichthändig ein Hannah-Arendt-Zitat ein, wie die schwäbische Hausfrau Flädle in die Brühe. Er ist in der Lage, einen Krötentunnel mit derselben pastoralen Noblesse zu eröffnen wie ein Forschungszentrum für Kybernetik. In Ausdauer und Leidensfähigkeit gleicht er einem Dieselmotor. Viele Baden-Württemberger haben vor nichts mehr Angst als vor dem irgendwann anstehenden Modellwechsel.