Der „Tatort“ kehrt am Sonntag nach Dresden zurück. Drei emanzipierte Kommissarinnen ermitteln „Auf einen Schlag“: Ihr erster Fall, geschrieben vom Erfolgsautor Ralf Husmann, führt in die scheinheilige Welt der Volksmusik.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Der neue „Tatort“ aus Dresden ist das Ergebnis einer Ausschreibung. Das scheint eine beliebte Methode des verantwortlichen MDR zu sein, auf die der von Betrugsaffären und Skandalen erschütterte Sender aus Transparenzgründen zurückgreift. Doch nicht immer hat er dabei eine glückliche Hand. Man erinnert sich unter Schmerzen an den auf diese Weise aus der Taufe gehobenen Erfurter „Tatort“, der im November 2013 mit einem juvenilen Ermittlertrio an den Start ging. Statt der erhofften zeitgemäßen Ästhetik servierten die Macher Jugendlichkeits-Klischees am laufenden Band und altbackene Plots. Es hagelte Kritik, und nach nur zwei Folgen schmissen die Darsteller Alina Levshin und Friedrich Mücke das Handtuch. Für den MDR ein Debakel.

 

Für den neuen Sachsen-Sonntagskrimi, der die Leipziger Ermittler Saalfeld und Keppler (Simone Thomalla und Martin Wuttke) ablöst, ist unter dreißig Bewerbungen ausgesiebt worden, die Wahl fiel auf die Produzenten Wiedemann & Berg. „Ihr Konzept bringt frischen Wind in die stets aktuelle Geschlechterdebatte“, lässt dazu der MDR-Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi verlauten. Er wähnt sich mit den Machern des verschrobenen Weimar-„Tatorts“ mit Christian Ulmen und Nora Tschirner also auf der sicheren Seite. Und dass der Erfolgsautor Ralf Husmann („Stromberg“) das erste Drehbuch verantwortet, hat wohl nicht nur ihn im Vorfeld zusätzlich hoffnungsfroh gestimmt.

Drei Emanzipations-Engel für Dresden

Noch neugieriger machte die Figurenkonstellation – Stichwort „Geschlechterdebatte“ –, die der ostdeutsche Sender unter dem Slogan „Drei Engel für Dresden“ beworben hat. In der ersten Folge „Auf einen Schlag“ begegnet dem Zuschauer in der sächsischen Landeshauptstadt ein weibliches Ermittlertrio mit Alwara Höfels und Karin Hanczewski als Oberkommissarinnen Henni Sieland und Karin Gorniak. Die Dritte im Bunde ist, allerdings nur in der ersten Folge, der Jungstar Jella Haase aus „Fuck ju Göhte“. Die Spitze des Kommissariats ist indes männlich besetzt, womit – dies als Dämpfer – gendertechnisch alles wie gehabt wäre: Martin Brambach verkörpert den Chef Peter Michael Schnabel.

Besetzungstechnisch indes hat man nichts falsch gemacht, denn Alwara Höfels war schon als Nachfolgerin von Nina Kunzendorf im hessischen „Tatort“ im Gespräch, während Martin Brambach endlich im Königskrimi aufschlägt. Der 48-Jährige, der sich darüber freut, in seiner Geburtsstadt zu drehen, ist einer der Besten, die das Fernsehen derzeit zu bieten hat. Auf Nebenrollen abonniert, überflügelt er mit starken Spiel nicht selten die Hauptfiguren. Zuletzt hatte er als exaltierter Spin Doctor in der Politserie „Die Stadt und die Macht“ oder als korrupter Reiner Pfeiffer im „Fall Barschel“ bemerkenswerte Auftritte.

„Auf einen Schlag“ konfrontiert die quirlige Dresdner Truppe mit einem Mord im Schlager- und Volksmusikmilieu: Während der Proben für die Unterhaltungsshow „Hier spielt die Musik“ wird Toni Derlinger, die männliche Hälfte des Gesangsduos Toni & Tina, erschlagen. Der Verdacht fällt zunächst auf deren Manager Rollo Marquardt (Hilmar Eichhorn), ein Anhänger von Schlangenleder-Stiefeletten, der sich als altväterlicher und sehr im Gestern verhafteter Freund und Förderer des Ermordeten präsentiert, aber durchaus ein Motiv gehabt hätte: Wollte ihm sein Zögling den Rücken kehren und zu Marquardts Konkurrent Maik Pschorrek (Andreas Guenther) überlaufen?

Die versoffene Welt der Volksmusik

Gewieft, gewissenlos, profitorientiert und so internetaffin, dass ihm die kriminellen Potenziale des Netzes nicht unbekannt sind: so gibt sich der Jungspund Maik, der etwa die Volks-Rock’n‘-Roller Herzensbrecher unter Vertrag hat, den Kommissarinnen gegenüber. Die Schlager- und Volksmusikwelt, die sie bei ihren Ermittlungen inmitten der Barockherrlichkeit des Zwingers entdecken, ist weit von der Idylle entfernt, die in den Ramtata-Ramtata-Liedern besungen wird: Es regieren Stalking, Suff und Skrupellosigkeit.

Heute gegen Gestern, Jung gegen Alt, Brutalität gegen heile Welt, Frauen gegen Männer – es sind diese Gegensatzpaare, an denen sich der Autor und Grimmepreisträger Ralf Husmann in dem Premierenkrimi weidet. Bedauerlicherweise verliert er dabei aber jedes Maß, vor allem bei der „Geschlechterdebatte“. Das Rollenverhältnis von Mann und Frau mag ja tatsächlich ein Dauerbrenner sein, wie der Fernsehdirektor Jacobi befindet – ein Grund, es wie Husmann vor sich herzutragen, statt es im Plot zu verankern, ist das noch lange nicht. Denn nahezu jeder Satz, den er seinen Figuren in den Mund legt, könnte als Statement in einer Podiumsdiskussion zur Genderdebatte herhalten.

Ebenso holzschnittartig sind die Figuren angelegt. Karin Gorniak ist die taffe, unterkühlte, alleinerziehende Mutter mit Problemsohn, Henni Sieland als erwartbarer Kontrast gibt sich mütterlich-unbekümmert-positiv, auch wenn das Wunschkind, das sie mit ihrem Freund Ole gerne hätte, noch auf sich warten lässt. Emanzipiert sind alle beide, weshalb sie sich im Zweifelsfall gegen den Chef verbünden: Schnabel ist der Ewiggestrige, dem aromatisierter Coffee to go ebenso fremd ist wie „dieses“ Internet und dessen Frauenbild aus den Fünfzigern stammt. Rühmliche Ausnahme der mit dickem Pinselstrich gezeichneten Figuren: die ehrgeizig-unerfahrene Polizeianwärterin Maria Magdalena Mohr der Jella Haase, die millimetergenau am Dummchen vorbeischlittert.

Pointen verhunzen die Charaktere

Husmann mag ein treffsicherer Comedy-Autor sein, in „Auf einen Schlag“ verhunzt seine Sucht nach Pointen die stereotypen Figuren zusätzlich und macht die beabsichtigte Skurrilität zunichte. Weniger wäre mehr gewesen – und daran ändert auch die Tatsache, dass er die Schlagertexte selbst geschrieben hat, nichts.

Auch der Krimiplot kommt über die Schablone nicht hinaus. Brav werden die Verdächtigen, zu denen auch ein enttäuschter, wild sächselnder Schlagerfan gehört, abgeklappert. Obendrein kommt der Regisseur Richard Huber in seiner konventionellen Inszenierung kaum von der pittoresken Zwinger-Kulisse los. Viel zu früh ahnt man, welche Ranküne dazu geführt hat, dass dem Schlagerfuzzi Toni der Schädel zerdeppert wurde. Ärgerlich, dass noch dazu die handwerkliche Umsetzung des Plots stellenweise stümperhaft ist: So stolpern etwa die Herzensbrecher-Burschen stets in ihrer volkstümelnden Lederhosen-Karo-Bühnenkluft durchs Bild, auch wenn die Proben längst vorbei sind.

Peter Sodann und Bernd Michael Lade, die bis 1999 in der sächsischen Landeshauptstadt als Ehrlicher und Kain ermittelten, bevor sie nach Leipzig wechselten, waren ehrlich altbacken. Der neue „Tatort“ aus Dresden indes ist Fernsehen von gestern, das modern rüberkommen will. Dem MDR droht, nach Erfurt, ein zweites Fiasko.