Bei den VfB-Spielern überwiegt nach der 2:3-Niederlage im DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern der Frust. Doch der Stuttgarter Manager Fredi Bobic sagt nach dem couragierten Auftritt in Berlin: „Sie können stolz auf sich sein.“

Stuttgart - Als goldenes Lametta vom Tribünendach fällt und die Fotohandys blitzen, als die Bierkrüge für die feuchtfröhliche Siegesfeier bereitstehen und der Bayern-Kapitän Philipp Lahm den DFB-Pokal in die Höhe wuchtet, da dreht sich Antonio Rüdiger um und läuft davon. Schwungvoll hat der junge VfB-Verteidiger eben seine Silbermedaille auf den Rasen geschmissen. Jetzt marschiert er hinüber zur Gegengeraden des Berliner Olympiastadions, wo seine Familie und die vielen Freunde sitzen. 30 Eintrittskarten musste Rüdiger für das große Spiel in seiner Geburtsstadt organisieren und, wie er versichert, vom eigenen Geld bezahlen. „Ich konnte nicht hinschauen, wie die Bayern feiern“, sagt er, „denn da oben hätten auch wir stehen können.“

 

Nun stehen die Stuttgarter wieder daneben, während die anderen jubeln – wie vor sechs Jahren, als sie im DFB-Pokalfinale gegen den 1. FC Nürnberg verloren haben, mit 2:3 wie dieses Mal. Damals sind sie als frisch gekürter Deutscher Meister der große Favorit gewesen, am Samstagabend waren sie der krasse Außenseiter. Damals blieben sie hinter den Erwartungen zurück, diesmal leisteten sie mehr, als ihnen die meisten zugetraut hatten. Sie haben nicht nur gezeigt, dass sie „kein Kanonenfutter“ sind (Torwart Sven Ulreich) – der VfB hat die Bayern ins Wanken gebracht. Ein Trost ist das in den Stunden nach dem Spiel nicht – zumindest nicht für Christian Gentner.

Günstige Gelegenheit nicht genutzt

Mehr als 40 Kurznachrichten sind bereits eingelaufen, als der Mittelfeldspieler in der Kabine sein Handy wieder anschaltet. Und permanent vibriert es auch jetzt noch, als sich Gentner schweren Schrittes durch die Katakomben des Olympiastadions schleppt. Kopf hoch, ihr habt ein tolles Spiel gemacht, ihr könnt stolz auf euch sein – so lauten die Botschaften aus der Heimat. Gentner will davon nichts hören und nichts lesen, sein Kopf ist leer, sein Blick müde. „Es werden noch viele Schulterklopfer kommen“, ahnt er, „aber das macht es nicht besser. Wir alle sind brutal enttäuscht, weil wir wissen, dass wir nah dran waren und dass es möglich gewesen wäre, den Pokal zu holen.“

Wahrscheinlich ist die Gelegenheit, den großen FC Bayern in die Knie zu zwingen, tatsächlich selten günstiger gewesen als in diesem Pokalfinale. Es war zu spüren, dass die Münchner mit dem Gewinn des Champions-League-Titels den Höhepunkt schon hinter sich hatten. Sie leisteten sich in der Abwehr von Beginn an viele Nachlässigkeiten und stellten das Angriffsspiel ein, als sie mit 3:0 in Führung lagen. Mit dem Mute der Verzweiflung kam der VfB zurück, schoss zwei Tore und war dem Ausgleich sehr nah. Gerne hätte man gesehen, was in einer Verlängerung passiert wäre, doch der Ball wollte trotz guter Chancen nicht noch einmal ins Tor. „In näherer Zukunft“, sagt der zweifache Torschütze Martin Harnik, werde man womöglich stolz auf diese Leistung zurückblicken – jetzt aber ist für solche Gefühle noch kein Platz: „Wenn du am Pokal schnupperst, und er wird dir vor der Nase weggezogen – dann ist das um so bitterer.“

Bobic lobt seine Spieler überschwänglich

Fredi Bobic, der Manager des VfB, braucht nur ein paar Minuten, um die Finalniederlage zu verarbeiten. Nicht über die verpasste Chance hadert er, sondern freut sich über die positiven Erkenntnisse. Von einer „Bombenleistung“ spricht er, von einer „unglaublichen Mentalität“ seiner Mannschaft, die den Verein „würdig vertreten“ habe: „Das hat man auch international registriert.“ Und es hat dem Manager beim zwischenzeitlichen Blick hinüber auf die Münchner Bank diebische Freude bereitet, die Münchner„erstmals in dieser Saison zittern zu sehen. Unsere Spieler können stolz auf sich sein.“

Es gehört zu Bobic’ Aufgaben als Manager und Vorstandsmitglied, über den Tag hinaus zu blicken. Deshalb weiß er, wie fundamental wichtig die gute erste Hälfte und vor allem die Schlussphase war, nach der die Stuttgarter Mannschaft von ihren mehr als 20 000 mitgereisten Fans stürmisch gefeiert wurde. Nicht auszudenken, wie ihre Stimmungslage gewesen wäre, wäre diese über weite Strecken frustrierende Saison mit einem 0:5 oder 0:6 zu Ende gegangen – was zwischendrin durchaus möglich schien. Nun aber bleiben während der Sommerpause neben allen Enttäuschungen nicht zuletzt die letzten 20 Minuten in Erinnerung – und nähren die Hoffnung darauf, dass in Zukunft vieles besser wird. „Ich wünsche mir, dass wir mit diesem positiven Gefühl in die neue Saison gehen“, sagt der Trainer Bruno Labbadia.

Es werde „an uns liegen, diesen Weg weiterzugehen“, sagt Fredi Bobic. Der Geist in der Mannschaft ist intakt, die Spieler haben „eine wahnsinnig gute Einstellung zu ihrem Job“, wie Labbadia meint. Nun geht es darum, solche Leistungen wie gegen die Bayern nicht nur in einem Spiel zu zeigen, sondern über eine ganze Saison hinweg. „Das ist der nächste Schritt, den wir gemeinsam gehen müssen“, sagt Bobic.

Lehren aus der Vergangenheit hat der Manager bereits gezogen und die Strategie auf dem Transfermarkt überdacht. Als Problem hatte es Bobic ausgemacht, dass die Spieler meist viel zu spät verpflichtet wurden. Seine Devise lautet: erst Spieler holen, dann Spieler abgeben. Während der eine oder andere Abgang wie der des im Pokalfinale völlig überforderten Cristian Molinaro noch bevorsteht, stehen für die neue Saison bereits jetzt fünf Neuzugänge fest. Ob sie den VfB weiterbringen, muss sich erst noch zeigen. Ein Vorteil aber ist es in jedem Fall, dass sie schon mit Beginn der Vorrunde in Stuttgart eintreffen. „Das sind Jungs, die den Konkurrenzkampf antreiben werden“, sagt Martin Harnik.

Der VfB nach dem Pokalfinale

Der breitere Kader soll dann auch dem Trainer dabei helfen, seine Vorstellungen vom Offensivfußball zu verwirklichen. In der nun abgelaufenen Saison war dies bestenfalls in Ansätzen zu sehen, und das auch nur ganz selten. „Ich würde meine Ansprüche gerne auch mal umsetzen“, sagt Labbadia, der oft darüber klagte, den Mangel verwalten zu müssen. Nun ist die Vergangenheitsbewältigung abgeschlossen, Fredi Bobic sagt: „Im Sommer soll eine Mannschaft dastehen, die unseren Vorstellungen zum ersten Mal richtig nahe kommt.“

An die neue Saison will Christian Gentner nach dem 53. Pflichtspiel noch nicht denken – der 27-Jährige braucht erst mal dringend Urlaub. Noch aber kann er nicht in den Süden fliegen, vorher ist er, genau wie Sven Ulreich, bei diversen Eheschließungen eingeladen. Der Tanz auf mehreren Hochzeiten, er geht also auch in der Sommerpause weiter.