Der VfB Stuttgart steckt in Dortmund einen Rückstand weg und schafft ein Remis, bei dem es nur Sieger gibt.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Das ist nichts für schwache Nerven. Der Trainer Bruno Labbadia schlägt an der Seitenlinie die Hände vor das Gesicht. Er kann kaum noch hinsehen bei diesem Drama auf dem Platz. Nur noch wenige Sekunden sind zu absolvieren. Der VfB liegt zurück, 3:4. Labbadia gibt noch einmal alles und treibt sein Team nach vorne. Ein letzter Angriff noch – und der Ball ist tatsächlich im Netz. 4:4 in Dortmund. Labbadia jubelt. Und der Manager Fredi Bobic sagt später: „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Das war sensationell.“

 

Schon vorab wusste Labbadia, dass die Partie bei der Borussia die Chance bot, der Europa League wieder einen Schritt näher zu kommen und vor allem Werbung für den VfB zu machen – so wie das in der Hinrunde gelungen war, als die Mannschaft dem Deutschen Meister ein 1:1 abgerungen hatte. Auf ein Neues also? Antwort: es wurde noch besser. Viel besser sogar.

Alles passte. Es brodelte im voll besetzten Dortmunder Stadion, wo die Fans schon vor dem Anpfiff in Feierlaune waren – angesichts von fünf Zählern Vorsprung vor Bayern München und der nach neun Siegen und einem Unentschieden in zehn Rückrundenspielen in Aussicht stehenden Titelverteidigung kein Wunder. Der VfB war jedoch gekommen, um die Party zu verderben. Dazu änderte Labbadia die Mannschaft im Vergleich zum Spiel am Sonntag gegen Nürnberg auf einer Position. Der zuletzt gelbgesperrte Stürmer Vedad Ibisevic lief für den jetzt gelbgesperrten Cacau auf.

Der VfB setzte Nadelstiche

Nachdem der VfB gegen Nürnberg die erste Halbzeit verschlafen hatte, wollten die Spieler dieses Mal gleich wach sein. „Ich hoffe, dass unsere Stärken zum Tragen kommen“, sagte Labbadia, „wir müssen volle Power fahren.“ Dann dauerte es aber nur 85 Sekunden bis zum ersten Dortmunder Torschuss durch Shinji Kagawa, der danach an Sven Ulreich scheiterte (5.). Auf der Gegenseite klärte Roman Weidenfeller gegen Tamas Hajnal (9.).

Die von Labbadia geforderte volle VfB-Power war es zunächst zwar nicht, aber es gelang hin und wieder, den Rhythmus der Borussia zu stören. Wer in der ersten Halbzeit die überlegene Elf war, konnte aber jeder in der Arena sehen: Dortmund, das die nächste Gelegenheit durch Robert Lewandowski hatte. Den Schuss des Polen blockte Gotoku Sakai ab (17.). Doch der VfB setzte auch seine Nadelstiche, durch Julian Schieber (19.) und durch Ibisevic, der von Weidenfeller elfmeterreif gestoppt wurde (30.).

Das war aber die Ausnahme, die Regel lautete, dass die Borussia am Drücker war. Georg Niedermeier rettete vor der eigenen Torlinie gegen Lewandowski (21.), ehe Kevin Großkreutz die Latte traf (24.). Die Stuttgarter hatten in der Abwehr Schwerstarbeit zu verrichten hatte. Nach 33 Minuten wurden sie überrumpelt. Eine Kopfballverlängerung von Sebastian Kehl verwertete Kagawa zum 1:0.

Auch nach dem Rückstand resignierte der VfB nicht

Das Duell hieß: Dortmunder Erlebnisfußball gegen Stuttgarter Ergebnisfußball. Es war ein hochklassiger Schlagabtausch mit absolutem Seltenheitswert. Der VfB wehrte sich mit allen Mitteln gegen die Dominanz der phasenweise in einer anderen Dimension agierenden Borussia. Nachdem Lukasz Piszczek den Pfosten getroffen hat, zielte Jakub Blaszcykowski genauer – 2:0 (49.). Alles klar?

Von wegen. Der VfB resignierte nicht. Im Gegenteil, William Kvist hatte Pech, weil sein Schuss am Pfosten landete (63.). Dortmund schaltete zurück. Nach Vorarbeit von Niedermeier gelang Ibisevic der Anschlusstreffer (71.). Dann folgte der Auftritt von Julian Schieber, der zuerst einen Alleingang mit dem 2:2 krönte (77.). Nur 99 Sekunden später war es wieder Schieber, der den VfB in Führung brachte. „Unglaublich“, sagte er selbst dazu. Alles klar?

Wieder nicht. Die Ereignisse überschlugen sich. Mats Hummels markierte das 3:3 (81.). Dann klärte wieder Niedermeier auf der Linie (86.). Aber der Wahnsinn ging weiter. Ivan Perisic erzielte das 4:3 für die Borussia. Alles klar? Nein, immer noch nicht. Der VfB schlug zurück, durch Christian Gentner – 4:4 (90.). Labbadia riss die Arme in die Höhe. „Dieses Spiel geht in die Bundesligageschichte ein“, sagte er. Es war ein Unentschieden, bei dem es nur Sieger gab: den VfB, die Borussia, die Zuschauer und den Fußball insgesamt.

Die Partie gegen Dortmund im Minutenprotokoll