Ratlosigkeit statt Wut: Anders als in Hamburg behalten die Fans des VfB Stuttgart auch im Abstiegskampf die Ruhe. Wie lange noch?

Stuttgart - Auf der A 81 zwischen Stuttgart und Heilbronn ist am Samstagmittag wieder einmal mit verstärktem Verkehrsaufkommen zu rechnen. Eine Karawane mit lauter VfB-Fans wird sich Richtung Kraichgau in Bewegung setzen – an Bord nicht nur gut gekühlte Getränke, sondern auch die Hoffnung, dass die Stuttgarter Niederlagenserie beim Auswärtsspiel in Hoffenheim endlich zu Ende geht. Am nötigen Rückhalt wird es nicht fehlen. Der VfB-Manager Fredi Bobic sagt: „Das Stadion wird fest in Stuttgarter Hand sein.“

 

Der rasante Absturz des VfB in den Tabellenkeller mag viele Gründe haben – mangelnde Unterstützung der Kurve gehört nicht dazu. Nur aus Hamburg kommen derzeit die Bilder randalierender Fans, die auf dem Stadionparkplatz „Scheiß Millionäre“ brüllen, auf die Autos der Spieler eintreten und sich am Ende gegenseitig verprügeln. In Stuttgart dagegen herrscht – abgesehen von immer lauter werdenden Pfiffen von der Haupt- und Gegentribüne – auch nach sieben Niederlagen aus acht Spielen bemerkenswerte Ruhe.

Frustriert, ratlos – aber nicht wütend

Auch die VfB-Fans sind tief frustriert von den ständig wiederkehrenden Problemen ihres Verein. Sie haben eigentlich keine Lust mehr, immer wieder Geduld zu zeigen; sie sind müde, sich von einer Übergangssaison zur nächsten zu hangeln. Ein 1:4 gegen Augsburg im eigenen Stadion ist schwer zu ertragen. Trotzdem ist es nicht blanke Wut, die sich nach solchen Spielen breit macht, sondern vielmehr Ratlosigkeit, Sorge und auch Angst. „Wenn man Radau macht, muss man immer einen besseren Plan in der Hinterhand haben. Das ist aber nicht der Fall“, sagt Heinz Münch (42), der als einer der Vertreter der offiziellen Fanclubs im Fanauschuss des VfB sitzt. Für alternativlos hält er den eingeschlagenen Weg – „es wäre das Schlimmste, jetzt schon wieder alles über den Haufen zu werfen“.

Es gab auch in Stuttgart schon andere Zeiten. Im Dezember 2009 kam es zum Aufstand, als nach einem 1:1 gegen Bochum ein paar hundert Krawallmacher kurz davor waren, das Vereinsheim zu stürmen. Als Feindbild diente damals (neben dem vermeintlichen Söldnertum auf dem Spielfeld) vor allem die Clubspitze um den Aufsichtsratschef Dieter Hundt. Später wurde der ebenso ungeliebte Präsident Gerd Mäuser für die Misere verantwortlich gemacht. „Vorstand raus!“, so lautete jahrelang die gängige Parole.

Vieles ist so gekommen, wie es die VfB-Fans wollten

Inzwischen jedoch ist beim VfB vieles genau so gekommen, wie es sich die Fans gewünscht hatten. Hundt und Mäuser sind längst aus dem Amt gedrängt; das alte Vereinswappen wird demnächst wieder den Brustring zieren; bald können die Fans ihre Stadionwurst wieder mit Bargeld bezahlen. Und das Beste: auf dem Platz stehen in Timo Werner (17) oder Rani Khedira (20) junge Eigengewächse, deren Einsatz von der Kurve immer gefordert wurde. „Wir haben jahrelang nach Veränderungen und nach der Jugend geschrien“, sagt Münch: „Jetzt muss uns allen klar sein, dass so ein Übergang nicht ohne Reibung verläuft. Wir werden das gemeinsam durchstehen.“

Im Vereinsheim des Stuttgarter SC an der Festwiese haben die VfB-Fans am Donnerstagabend eine ihrer so genannten Regionalversammlungen veranstaltet. Hitzig und aggressiv war es bei solchen Treffen in der Vergangenheit oft zugegangen, selbst wenn die sportliche Lage besser war. Diesmal staunte auch Heinz Münch darüber, wie „außergewöhnlich harmonisch, friedfertig und schön“ der Abend verlaufen sei.

Der Präsident Bernd Wahler sucht den Dialog

Der Kapitän Christian Gentner habe sich selbstkritisch gezeigt und versprochen, dass sich die Mannschaft zusammenreißen werde. Und auch der Präsident Bernd Wahler, im Sommer mit 97 Prozent der Stimmen ins Amt gewählt und erstmals bei einer solchen Zusammenkunft zu Gast, habe die Sorgen und Ängste der VfB-Fans sehr ernst genommen. Er sei nach dem offiziellen Teil sogar noch sitzen geblieben und habe weiterdiskutiert. Für die Fans ist das ein wichtiges Zeichen – genau wie die Tatsache, dass sich die Spieler nach dem Augsburg-Spiel den Leuten in der Kurve gestellt haben. Gerade in schlechten Zeiten, das hat man beim VfB verstanden, ist der Dialog mit den Fans besonders wichtig. „In einer solchen Situation intensiviert man den Kontakt“, sagt der Manager Fredi Bobic.

Allerdings vermag niemand zu sagen, wie belastbar der Schulterschluss im Falle weiterer Pleiten ist. Er halte nichts davon, „eine Drohkulisse aufzubauen“, sagt Oliver Schaal von der größten Ultragruppierung Commando Cannstatt, „aber wir haben die ganz klare Erwartung an die Mannschaft, dass sie in Hoffenheim alles gibt und alle Befindlichkeiten hintenanstellt“. Was im anderen Fall passieren könnte, das ahnt Joachim Schmidt, der Vorsitzende des Fanclubs Rot-Weiße Schwaben Berkheim: „Dann wird es hinterher am Zaun kein gemütliches Gespräch mehr zwischen den Spielern und ihren Fans.“

VfB-Fans in aller Welt

Fanclubs
Insgesamt hat der VfB 375 offizielle Fanclubs (OFC) mit rund 16 500 Mitgliedern. Die größte Vereinigung sind die Rot-Weißen Schwaben Berkheim mit knapp 1000 Mitgliedern. Auch in Singapur, Dubai, Gambia oder dem mexikanischen Queretaro sind VfB-Fans organisiert.

Ultras
Neben den offiziellen Fanclubs des Bundesligisten gibt es die so genannten Ultragruppierungen, die informeller organisiert sind und meist deutlich jüngere Mitglieder haben. Das Commando Cannstatt ist mit mehr als 1000 Mitgliedern die größte dieser Gruppen, gefolgt vom Schwabensturm.

Zuschauerzuspruch
Die Zuschauerzahlen bei Heimspielen des VfB sind seit drei Jahren stark rückläufig. In dieser Saison sind bisher durchschnittlich 46 232 Besucher zu den Spielen gekommen (Vorjahr 49 301). Kalkuliert hat der VfB vor Saisonbeginn mit einem Zuschauerschnitt von 52 000