Der „Zauberer von Oz“ im Stuttgarter Schauspielhaus ist eine witzige und moderne Version der Vorlage. Trotzdem geht eine wichtige Botschaft nicht verloren.

Stuttgart - Ein Häuschen klein fährt ganz allein auf die Bühne hoch. Normalen physikalischen Gesetzen zufolge kann darin niemand Platz finden – im Theater passen locker fünf Erwachsene rein. Während sich die auch vom Leben niedergebückte Verwandtschaft Dorothys daraus herausknotet, malen im Hintergrund dicke Pinselstriche ein grau-in-graues Kansas, eine schwer öde Steppe. Leben scheint es dort nur in Form von eben dieser Dorothy (Nina Siewert) zu geben, die putzmunter mit ihrem Hund Toto ins Bild tänzelt – einem leibhaftigen und deshalb die Kinder juchzen lassenden Dackel. Wie auch im 1900 erschienen Kinderbuchklassiker „Der Zauberer von Oz“ des Amerikaners L. Frank Baum zieht ein folgenschwerer Sturm auf. Dorothy träumt sich im Kampf gegen die Windmaschine in ein Land, in dem der Rosenkohl nach Marshmallows schmeckt und die Kartoffeln aus Marzipan sind: „Ist das noch Kansas oder nicht?“

 

Jetzt ist eher nicht mehr Kansas. Eine schrille Tante kommt auf einem Motorroller dahergesaust und singt Zeilen wie „Zickezacke, hoch lebe Oz“ und „Friede, Freude, Eierkuchen, jetzt geht’s los“. Sie entpuppt sich als gute Hexe des Nordens namens Nusstella (Lucie Emons), freut sich diebisch darüber, dass Dorothy bei ihrer Landung in Oz die böse Hexe des Ostens erschlagen hat und explodiert – wie ihr pinkes puddingförmiges Pluderkleid – schier vor Nettigkeit. Trotzdem will Dorothy nach Hause. Und so kommt es im Stuttgarter Schauspielhaus, wie es auch in der Verfilmung des „Zauberers von Oz“ aus dem Jahre 1939 mit Judy Garland (deren Bilder hier immer wieder durchs Kopfkino flimmern) gekommen ist: Dorothy reist zum großen Magier und trifft dabei eine Vogelscheuche, die sich ein Gehirn wünscht, einen Zinnmann, der so gerne ein Herz hätte, und einen ängstlichen Löwen, der davon träumt, mutig zu sein.

Lustige Dialoge in „Ö-isch“

Der gelbe Weg schraubt sich ins Wunderland, auf dieser Drehbühne ist Platz geschaffen worden für modernen Ulk. Auf die Frage, wie der Strohschussel (Sebastian Wendelin) denn heiße, antwortet dieser: „Sodele“. Weil das der Bauer gesagt habe, als er mit ihm fertig war. Und als ihm am Ende der große Zauberer Oz, der eigentlich nur ein Gaukler ist, als Placebo eine Glühbirne in den Kopf setzt, entfährt Sodele als erster vermeintlich richtig schlauer Satz: „Wer später bremst, ist länger schnell.“

Der Blechmann (Felix Mühlen) bekommt anfangs vor lauter Rost kaum mehr als ein „ö“ raus, was in lustigen Dialogen in „Ö-isch“ endet, Marke: „Wös höt ör dönn?“ Und selten war ein Oz-Löwe (Sebastian Röhrle) hypochondrischer und nihilistischer veranlagt als dieses arme, aber sehr unterhaltsame Zottelvieh in der Inszenierung von Wolfgang Michalek.

Mit jeder Umdrehung der Bühne gibt Nina Siewert die Dorothy furchtloser, aber auch aufgekratzter und heimwehloser, während die famos verkörperte Trotteltruppe, die ja längst Herz, Hirn und Mut bewiesen hat, ihr kalauernd fast die Schau stiehlt. Gruselig laut und toxisch schwebt gegen Ende die böse Hexe des Westens vom Bühnenhimmel. Es scheint echtes Schlangengift in ihren Adern zu pulsieren: Gnade, gerade den kleineren Zuschauern gegenüber, kennt sie nicht. Böse droht sie stimmverzerrt mit Mord und Totschlag.

Der Dackel will von der Bühne laufen

Aber das gute Ende ist ja zum Glück schnell nah: Der Strohmann kriegt vom Zauberer (Boris Burgstaller) wie schon erwähnt seine Glühbirne, der Löwe fix einen Muttrank und der Zinnmann hopplahopp einen handelsüblichen Wecker als Herz. Puh. Und Dorothy darf dann auch ganz schnell nach Hause. Zu ihrem Toto. Zu dem echten Dackel. Der kleine Kerl kann ja nicht wissen, dass er gerade Toto sein soll, der sich auf Dorothy freut. Und so will er ihr auch gar nicht in die Arme, sondern von der Bühne laufen. Das ist die einzige Pointe, die so nicht im Text stand und doch Sinnbild für die Adaption von Wolfgang Michalek und Lea Ruckpaul wird.

Die Inszenierung trägt ihren Witz wie Sommersprossen. Sie nutzt weder plumpen Slapstick noch krude Modernisierung der Figuren – Dorothy ist kein Girlie und keine Snapchat-Göre –, sondern nur das Spiel mit der Sprache. Die gute Hexe heißt Nusstella. Der Zauberer Oz sucht als Allheilmittel nach Globuli der Sorte Bella Donna. Und der Löwe, König der Tiere, gibt sein Amt an einen Hamster ab und singt, er sei König der Angsthasen. Ernstes, wie die Frage der Strohpuppe, warum Dorothy sich nach Hause sehne, wo es doch nur karg und unwirtlich sei, und wie die Antwort, dass eben jeder lieber in seiner Heimat wäre, wird nur angerissen. Genauso wie der Verweis auf eine Multikulti-Gesellschaft im mehrsprachig gesungenen Reiselied und die Frage, ob Herz oder Hirn im Leben wichtiger ist. Vielleicht weniger vielschichtig als in der Vorlage, aber dafür gerade für kleine Zuschauer nachvollziehbarer, wird in diesem „Zauberer von Oz“ sinnlich vorgeführt, wie wichtig Zusammenhalt und Freundschaft sind. Um es mit dem großen Magier auf der Bühne zu sagen: Auch das ist zauberhaft.