Ein Zoo ist kein Vergnügungspark – zumindest nicht der neu eröffnete Zoo in Paris. Dort müssen die Menschen die Privatsphäre der Tiere achten.

Paris - Das Chamäleon ist wie vom Erdboden verschluckt. Eben noch hing es eingerollt am Ast. Nun ist da nur noch der Ast – für ein paar Augenblicke jedenfalls. Denn schon stürmt dieser Federball auf Stelzen aus dem Gehölz. Der Vertreter einer offenbar draufgängerischen Laufvogelart stoppt erst, als Mensch und Tier, Schuhsohlen und Krallen, ernsthaft aneinanderzugeraten drohen. Vom Kaiman dagegen fehlt jede Spur. Eine Stunde harrt er nun schon, den Blicken der Besucher entzogen, in Graben, Dickicht oder Wasserloch aus, denkt gar nicht daran, hervorzukommen. Ob er die hier ebenfalls beheimatete, 600 Kilo schwere Süßwasserseekuh gefressen hat? Von ihr ist nämlich auch nichts zu sehen.

 

So ist das eben auf Madagaskar. Da machen die Tiere, was sie wollen, zeigen sich dem Menschen, wenn ihnen danach zumute ist. Und so ist das auch im neuen Pariser Zoo, wo Flora und Fauna der vor Ostafrika liegenden Insel und vier weiterer Weltengegenden in dreijähriger Bauzeit für 167 Millionen Euro rekonstruiert worden sind.

Elefanten und Bären gibt es hier nicht

„Der Mensch ist hier zu Gast bei den Tieren, er hat die Privatsphäre der Gastgeber zu respektieren“, stellt Thomas Grenon klar, Direktor des Nationalen Naturkundemuseums. Unter Federführung des Museums sind die fünf Lebensräume des am vergangenen Wochenende eröffneten Tierparks entstanden, Madagaskar, Patagonien, Guyana, die afrikanische Sahelzone und Europa. Das Ergebnis sei ein Zoo des 21. Jahrhunderts, sagt Grenon. Wirklich ein Zoo? Weit und breit ist kein Elefantengehege zu entdecken. Bären gibt es auch nicht. Und so manches durch Gräben oder Holzbalken begrenzte Areal lässt nicht einmal erahnen, was drinnen theoretisch kreuchen oder fleuchen sollte.

Das Wohl des Tieres sei oberstes Gebot, erläutert Grenon. Ein Bär brauche einen Hektar Platz, um sich halbwegs wohl zu fühlen, weshalb eine artgerechte Haltung auf dem insgesamt 14,5 Hektar großen Zoogelände schwer möglich sei. Elefanten lebten in Herden, beanspruchten kaum weniger Lebensraum. Andere Tierarten wiederum benötigten zwar nicht viel Terrain, dafür aber eine Menge Zeit, um sich an lärmende Zuschauer zu gewöhnen. Das treffe etwa auf die Robben zu, die man deshalb erst in ein paar Wochen zur öffentlichen Betrachtung freigeben werde.

Der Zoo will das Bewusstsein für ökologische Fragen schärfen

Der Löwe freilich thront bereits weithin sichtbar auf beheizten Felsen. Drei Gespielinnen sollen ihm demnächst die Zeit verkürzen. Ein in freier Natur vom Aussterben bedrohter europäischer Fischotter tobt zur Freude der Zuschauer zwischen Wasserfällen, Sturzbächen und Seen herum. Und die 16 Tiere zählende Giraffenherde stolziert erhobenen Hauptes durch eine Steppe fast schon afrikanischer Ausmaße.

Ein moderner Zoo sei kein Vergnügungspark und auch keine Tierausstellungsgelände, sagt Pascal Jacob, Historiker und Spezialist für Zirkus- und Zoogeschichte. Heutzutage leite ein Tierpark seine Daseinsberechtigung aus der Bedrohung der Schöpfung ab. Ein guter Zoo schärfe das Bewusstsein für die extreme Zerbrechlichkeit der Ökosysteme und die Notwendigkeit, die Vielfalt der Arten zu bewahren, sagt Jacob.

Gerade bei Kindern gibt es auch viele enttäuschte Gesichter

Der alte Pariser Zoo, 1934 an gleichem Ort eröffnet und 2008 als nicht mehr zeitgemäß geschlossen, war noch in ganz anderem Geiste errichtet worden. Da stand der Wunsch einer Kolonialmacht Pate, exotische Beute zu präsentieren, die Überlegenheit des Menschen zu illustrieren, der die Bestie zu bändigen weiß.

Das neue Konzept, wonach die Bedürfnisse des Tieres an erster Stelle zu stehen haben, trifft auf breite Zustimmung. Obwohl Erwachsene 22 Euro Eintritt zu bezahlen haben (Kinder bis zu elf Jahren 14 Euro, von zwölf Jahren an 16,50 Euro), übertrifft der Andrang alle Erwartungen. Täglich flanieren zurzeit mehr als 10 000 Besucher auf gut vier Kilometer langen verschlungenen Pfaden.

Was nicht heißt, dass es nicht auch enttäuschte Gesichter gäbe. Kinder, die verzweifelt ihre Eltern danach fragen, wo denn nur die Wölfe steckten, sind allgegenwärtig. Erklärungen von Vater oder Mutter, wonach der Wolf manchmal einfach keine Lust auf Menschenbesuch habe, sind indes nicht minder häufig zu hören. Und wenn der scheue Räuber sich dann doch noch zeigt und ein Rudel den höchsten Felsen erklimmt, ist das Glück des überraschten Zuschauers umso größer. Ganz so wie draußen in freier Natur.