Griechenland hat das Tal der Tränen noch nicht verlassen, doch zeigen sich immer neue Fortschritte. Ein Grund ist die einzigartige deutsch-griechische Kooperation auf der kommunalen Ebene. Derzeit wird sie in Sindelfingen vorangetrieben.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Sindelfingen - Wenn der umtriebige Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel – seit sechs Jahren Merkels Beauftragter für Griechenland – über die deutsch-griechische Zusammenarbeit berichtet, gibt es für ihn kein Halten mehr. Dann springt der CDU-Politiker aus dem Nordschwarzwald quasi ohne Punkt und Komma von einem Projekt zum anderen. An die 60 feste Partnerschaften zwischen deutschen und griechischen Kommunen sowie Verbänden gibt es mittlerweile – dazu mehr als 120 lockere Kooperationen, an denen unzählige Projekte hängen.

 

Da geht es um Abfallwirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft, Energieeffizienz, kommunale Verwaltung und vieles mehr. Baden-Württemberg ist mit etwa 15 festen Partnerschaften beteiligt, was auch mit dem Engagement etwa des Stuttgarters Roger Kehle, Vizepräsident im Deutschen Städte- und Gemeindebund, sowie der Landräte Gerhard Bauer (Schwäbisch Hall) und Helmut Riegger (Calw) zu tun hat.

Motor der Zusammenarbeit ist die Deutsch-Griechische Versammlung (DGV), deren siebte Jahreskonferenz am Donnerstagnachmittag in Sindelfingen begonnen hat. Die DGV ist ein in Europa einzigartiges Netzwerk. Bis Samstag erörtern insgesamt 500 Kommunalpolitiker und Experten – unter ihnen mehr als 100 griechische Bürgermeister und Gouverneure –, wie sich die Lebensverhältnisse der Griechen verbessern lassen und wie auch die deutsche Seite davon profitiert. Konkretes Ziel ist, immer mehr Leuchtturmprojekte zu initieren, die zu Nachahmungstaten motivieren.

Erstmals tagt die Deutsch-Griechische Versammlung in Baden-Württemberg

Zum Auftakt lobt der Präsident des griechischen Zentralverbandes der Kommunen, Georgios Patoulis: „Die Kooperation beginnt Früchte zu tragen.“ Dies ist ein dezenter Hinweis auf den „holprigen Start, der von vielen Vorurteilen in beiden Ländern geprägt war“, wie Kehle ohne Umschweife ergänzt. „Wir standen mehrfach vor dem Scheitern.“ Nunmehr darf sich auch der Gouverneur der Region Peloponnes, Petros Tatoulis, freuen: „Das, was wir mit zaghaften Schritten begonnen haben, hat richtig Tempo bekommen.“Erstmals tagt die Deutsch-Griechische Versammlung in Baden-Württemberg – aus gutem Grund: Um mehr Investoren zu gewinnen, werden nun die in Deutschland lebenden Griechen dafür in den Blick genommen. Davon gibt es im Großraum Stuttgart gut 15 000 – in Sindelfingen 1500. Dazu habe ihn der Generaldirektor im Athener Wirtschaftsministerium inspiriert, sagt Fuchtel, der ihm die Investitionshilfen dargestellt hätte, die die Regierung mittlerweile zu bieten habe.

Kürzlich hat er einen Hotelier aus der Region Stuttgart getroffen, einen Griechen, der hier seit 35 Jahren Hotels und Restaurants betreibt. Dieser habe gesagt, er habe ordentliche Ersparnisse und wolle sich im Gastronomiebereich bei den von der Fraport gepachteten und zur Modernisierung anstehenden 14 Regionalflughäfen in seiner Heimat engagieren, die ein zentraler Baustein des Rettungsprogramms sind. Fuchtel vermittelt.

Der Tourismus trägt mit 25 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei

Auch die Wissenschaft hat er an Bord geholt: Die Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl hat die Kooperation analysiert und mit Studierenden der Aristoteles-Universität Thessaloniki Interviews vor Ort durchgeführt. Auch die Universität Athen war involviert. Die Bilanz ist vielversprechend angesichts des schwierigen Verhältnisses, das Deutsche und Griechen seit der Finanzkrise pflegen: „Durch die persönlichen Begegnungen wurde eine breite Basis des Vertrauens auf der kommunalen Ebene in beiden Ländern geschaffen“, heißt es in dem Papier unter anderem.

Betont wird die Einbindung der Zivilgesellschaft am Beispiel der Partnerschaft zwischen Thassos und dem Landkreis Reutlingen. Der Bergsteigerverein von Thassos und der Schwäbische Albverein Ortsverein Grafenberg hätten auf der Insel Wanderwege ausgeschildert und überlegt, wie man mehr Reisende anlocken kann.Der Tourismus trägt mit 25 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei – jeder fünfte Grieche verdient direkt oder indirekt am Urlaubergeschäft. Dieses floriert, was bei der Vertreibung des Krisengespenstes hilft. Insgesamt 30 Millionen Besucher werden 2017 gezählt: ein neuer Rekord. Somit wächst die Wirtschaft über mehrere Quartale. Athen kann sich, erstmals seit drei Jahren, sogar Geld am Kapitalmarkt beschaffen. Obwohl die Links-rechts-Regierung – speziell von deutschen Politikern – von Beginn an als gescheitert angesehen wurde, hat Regierungschef Alexis Tsipras den Landsleuten schmerzhafte Reformen zumuten können, ohne selbst zu stürzen.

Auch die Kammern engagieren sich

In der DGV sind die Griechen vor allem am konkreten ökonomischen Nutzen interessiert. Daher wurden auch die Kammern zueinandergebracht – ein Schlüssel zum Erfolg, wenn es um die Beratung für Start-ups oder die Umschichtung von Darlehen geht. Otto Kentzler, einst Präsident des Handwerksverbandes, hat da viele Türen geöffnet. Der jüngste Treffer sind Schweißerlehrgänge der Kammer Dortmund auf Kreta – jeder Absolvent hat eine Anstellung gefunden.

Viel kritisiert werden die verheerenden Zustände in den Flüchtlingslagern. Auch da hat sich die DGV stärker eingebracht, weil die Griechen mit dem Desaster nicht alleingelassen werden wollen. So hat die Präsidentin der German Doctors, die Stuttgarter Psychotherapeutin Elisabeth Kauder, in Nordgriechenland eine psychologische Betreuung für Minderjährige aufgebaut. Zudem haben von Flüchtlingsströmen betroffene Kommunen Rettungswagen erhalten. Und deutsche Kommunalverbände helfen den Griechen in Brüssel, an europäische Fördermittel zur Integration zu kommen.

Die achte Jahrestagung soll daher auf der Ägäis-Insel Lesbos stattfinden, die massiv unter der Flüchtlingskrise leidet. Diesen Plan wertet Tatoulis als „großes politisches Signal“. Und Kehle ergänzt, dies zu tun sei richtig, „auch unter der Gefahr, dass wir dort mit heftigen Demonstrationen zu rechnen haben“. Nur durch Erfolge könne man die Bevölkerung überzeugen.