Kritiker fordern, dass der Bund als Eigentümer der Bahn Qualitätsstandards für die Reinigung von Bahnhöfen sowie die Reparatur von Aufzügen und Rolltreppen setzt und diese auch durchsetzt.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Zugenagelte Fenster und Türen, bröckelnder Putz, beschmierte Wände - der Bahnhof Lohmen in Sachsen bietet einen trostlosen Anblick. Davon können sich alle Mitarbeiter der Deutschen Bahn (DB) in der Konzernzeitung „DB Welt“ überzeugen. Gudrun Graf hat der Redaktion das Foto für das Leserforum geschickt, wo es bemerkenswerterweise groß veröffentlicht ist. Und zwar unter der Überschrift: „Wo bleibt die Wirklichkeit?“ Das nämlich fragt sich die Bahnangestellte regelmäßig, wenn sie die üblichen Hochglanzberichte in der DB-Zeitung liest.

 

Der traurige Zustand vieler der 5400 deutschen Bahnhöfe ist ein Reizthema, zu dem auch Reisende und Pendler ganze Fotogalerien füllen könnten. Vor allem kleinere Stationen auf dem Land verfallen teils seit Jahrzehnten. Der Politiker Matthias Gastel sieht diese Entwicklung mit Sorge. Der bahnpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag fährt selbst häufig mit dem Zug. Seine Forderung: „Der Bund als DB-Eigentümer muss endlich eine Mindestqualität für Bahnstationen festlegen und durchsetzen.“ Bisher nämlich könne der Betreiber – fast immer die Bahntochter DB Station + Service – weitgehend selbst entscheiden, welche Leistungen tatsächlich erbracht werden.

Bei seinem Vorstoß geht es Gastel, der auch Mitglied im Eisenbahninfrastrukturbeirat ist, um Missstände wie wochenlang defekte Aufzüge, Rolltreppen und Anzeigetafeln oder überquellende Abfalleimer. Die Beschwerden der Fahrgäste darüber landen meist bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), die dafür aber gar nicht direkt zuständig sind. In der liberalisierten Schienenwelt sind die Verhältnisse weit komplizierter als früher zu Zeiten der Bundesbahn.

Jedes zugelassene EVU kann sich um ausgeschriebene Verkehrsverträge bewerben. Wer den Zuschlag erhält, muss mit dem Bahnkonzern, der die bundeseigene Infrastruktur weiterhin verwaltet, einen Nutzungsvertrag schließen. Für die Bahnhöfe ist dort die DB Station + Service zuständig. Deren Leistungen sind auf 35 Seiten Kleingedrucktem geregelt: den Infrastrukturnutzungsbedingungen Personenbahnhöfe (INPB). In wichtigen Punkten vermissen Kritiker hier seit Jahren konkrete Qualitätsvorgaben. Zur Reinigung heißt es dort nur unverbindlich, diese erfolge „abhängig vom Reisendenaufkommen und der Größe der Station“. Faktisch bleiben die Intervalle also der DB Station + Service überlassen. Die Abfallbehälter wiederum sollen „in regelmäßigen Abständen“ geleert werden. Und für die rasche Reparatur von Aufzügen und Rolltreppen fehlen Vorgaben gänzlich.

Kein Wunder daher, dass auch die Aufgabenträger der Bundesländer, die Verkehrsverträge vergeben und bezahlen, bei Bund und Bahn seit Jahren auf Nachbesserung der INPB dringen. Die recht einseitigen Nutzungsbedingungen sind vor allem für die bundeseigene DB von Vorteil. Denn wenn konkrete Vorgaben fehlen, können Ansprüche gegen den Stationsbetreiber bei schlechter Leistung kaum durchgesetzt werden. Auch die Aufgabenträger fordern daher Mindeststandards an Bahnhöfen. Die Kritiker haben deshalb die Bundesnetzagentur eingeschaltet, die für fairen Wettbewerb im Schienenverkehr sorgen soll. Die Aufsichtsbehörde berief eine Arbeitsgruppe von EVU und Stationsbetreibern, die ein verbessertes Anreizsystem entwickelt hat. So soll die DB Station + Service zum Beispiel bei der Störung von Aufzügen und Rolltreppen 15 Prozent des Stationsentgelts an die Bahnen zurückzahlen, wenn die Anlagen nicht nach einem Tag wieder funktionieren.

Doch die Bahntochter hat das verbesserte Anreizsystem bis heute nicht umgesetzt, wie die Aufsichtsbehörde auf Anfrage bestätigte. Man würde die Aufnahme von Qualitätsstandards in die INPB begrüßen, heißt es bei der Netzagentur. Unklar sei allerdings, ob man das konkret anordnen könne. Die Prüfung laufe noch, ob die DB Station + Service das Anreizsystem bisher so unzureichend gestaltet habe, dass „von einer Verfehlung der gesetzlichen Vorgabe gesprochen werden kann“.

Der Bahnkonzern weist die Vorwürfe gegenüber der Stuttgarter Zeitung zurück. Die aktuellen INBP, die seit April gelten, habe die Aufsichtsbehörde „geprüft und nicht beanstandet“. Die gesetzlichen Anforderungen würden erfüllt. „Leistungslevel“ habe man in den Verträgen mit Dienstleistern vereinbart, die wie die DB Services GmbH zum Beispiel die Stationen säubern. Hier gehe man „bedarfsorientiert“ vor. Das sei effektiver, als starre Intervalle festzulegen. Der Staatskonzern räumt immerhin ein, dass für die Beseitigung von Störungen bei Aufzügen, Fahrtreppen und Infosystemen keine Fristen definiert sind. Man habe aber zahlreiche Maßnahme umgesetzt, um „möglichst kurze Zeiträume für Reparaturen zu gewährleisten“. Die gesetzliche Vorgabe von Mindeststandards für den Zustand von Bahnhöfen lehnt die DB ab. Schon jetzt gebe es eine Vielzahl von Anforderungen an Betreiber von Bahninfrastruktur, die weit über Vorschriften für Wettbewerber wie Fernbusse hinausgingen. Auch eine Nachbesserung der Nutzungsbedingungen sei „nicht vorgesehen“, betont der Konzern. Die Prüfung der Netzagentur sieht die Bahn gelassen. Es sei „nicht Aufgabe der Regulierungsbehörde, Leistungsstandards für Eisenbahninfrastrukturunternehmen festzulegen“. Und weiter: „Diese Definition obliegt den Unternehmen selbst.“

Der Wunsch der Netzagentur, defekte Aufzüge spätestens innerhalb von vier Stunden zu reparieren, würde zu „exorbitanten Kostensteigerungen“ führen, warnt die Bahn. Die höheren Kosten hätten steigende Stationspreise zur Folge, die wiederum die EVU zahlen müssten. Das aber würde den Bahnverkehr insgesamt weiter verteuern und so weniger attraktiv machen.

Bahnexperte Gastel betont, dass es nicht darum gehe, generell höhere Leistungen von der Deutschen Bahn zu fordern, sondern darum, dass für die bisher bezahlten Stationsgebühren „eine klar definierte Leistungsqualität gewährleistet wird“. Unzureichende Leistungen der Bahn müssten endlich angemessen sanktioniert werden können. Bisher sei das nicht der Fall, kritisiert der Abgeordnete.

Diesen Missstand belegt auch die Statistik der Bahn selbst. Demnach werden pro Jahr im Schnitt zwar 4000 „preisnachlassrelevante Mängel“ an Stationen registriert, zum Beispiel mangelnde Schneebeseitigung oder ausgefallene Beleuchtung. Doch insgesamt muss der Konzern dafür insgesamt nur eine mittlere fünfstellige Eurosumme an die EVU zurückzahlen - pro Fall also im Schnitt kaum mehr als zehn Euro.