Weil die Verleihfirmen immer höhere Gebühren verlangen, weigern sich viele Kinos in Deutschland, den Blockbuster „Avengers: Age of Ultron“ zu zeigen – ein Krisensignal.

Stuttgart - Früher oder später musste der Streit kommen. Hollywood investiert in seine großen Spektakelfilme immer aberwitzigere Summen, in Produktion wie in Werbung, und gibt sich nur nach außen froh und zuversichtlich. Hinter den Kulissen herrscht oft genug banges Nägelkauen, wenn eines der 300-Millionen-Dollar-Vehikel einen mauen Start hinlegt wie etwa 2013 Walt Disneys „The Lone Ranger“.

 

Hollywoods Verantwortliche begreifen sich als Hochrisikozocker, sie möchten darum einen höheren Anteil vom Kinokartenpreis als bislang. Das am deutschen Markt durchzusetzen, bemüht sich Disney gerade. Für „Avengers: Age of Ultron“ wurden die Konditionen für Kinos an kleineren Standorten verändert. Bisher führten sie 47,7 Prozent des Eintrittsgeldes an den Verleih ab, bei „Avengers: Age of Ultron“ verlangt Disney aber den Großstadtsatz von 53 Prozent.

Geld machen die Kinos mit Popcorn

Mit Wehklagen aus Deutschland hat man gerechnet, aber mit viel Widerstand kaum. Dass nun trotzdem 686 Kinos in 193 Orten den voraussichtlich umsatzstärksten Film des Jahres boykottieren, zeigt, wie ernst die Kinos den Vorstoß nehmen. Vom Eintrittskarten-Erlös können sie schon lange nicht mehr existieren, ihren Gewinn erwirtschaften sie mit Nebenumsätzen wie Getränken und Popcorn. Die Preistoleranz der Filmfreunde für Tickets und Süßigkeiten aber gilt als ausgereizt. Ans Publikum können Lichtspielbetreiber die veränderten Bedingungen schwerlich weitergeben.

Aus Verleiherkreisen heißt es, die neue Regelung sei nur gerecht. Früher seien Land- und Kleinstadtkinos mit Kopien später beliefert worden als die Großstadthäuser. Im Zeitalter digitaler Distribution, in denen Filme als Datenpakete auf Festplatten ins Kino kommen, starte ein Film wie „Avengers: Age of Ultron“ in ganz Deutschland am selben Tag. Jedes Kino profitiere also in gleichem Maße von der maximalen Aufmerksamkeitsmassierung durch teure Werbung auf allen Kanälen.

Die neue Technik kostet – und drückt auf die Bilanz

Auf diese Argumentation reagieren die Kinobetreiber geradezu geschockt. Die Hauptlast der Umrüstung auf digitale Technik, die vor allem den Verleihern Ersparnisse bringt, haben die Kinos getragen. Gerade in den Kleinstadtkinos aber sind die neuen Projektoren und Server noch nicht abbezahlt – während in der Branche schon wieder von Weiterentwicklung geredet wird, vom Aufrüsten auf neue Standards. PC-Besitzern, vor allem Computerspielern, dürfte dieser Technikwettlauf – jeder Neuerwerb ist beim Testlauf schon veraltet – bekannt vorkommen.

Disney wird den Boykott verschmerzen, und vermutlich werden die anderen Filmverleiher ebenfalls die Leihmietenschraube anziehen. Denn die Verleiher halten es ihrerseits für eine große Ungerechtigkeit, dass sie an Nachos und Cola nicht mitverdienen – die ja nur über die Theke gehen, weil das Publikum in ihre Filme strömt. Dass die Gesamtbesucherzahl kontinuierlich zurückgeht, dass ein floppender 300-Millionen-Film in einem schwachen Jahr ein Studio in die Krise reißen kann, egal, wie viel Prozent des Kartenpreises abgeführt werden, wird verdrängt. Vielleicht ist das der eigentliche Sinn des Streits: die Verleiher möchten sich, indem sie aus früheren Erhöhungsrunden bekannte Argumente und Reaktionen abrufen, einreden, es sei im Kino des Netflix-Zeitalters alles noch beim Alten und Abschätzbaren.