Ist Sebastian Schippers „Victoria“ nicht deutsch genug? Vielleicht. Auf jeden Fall geht jetzt nicht der erfolgreichste Film des Jahres, sondern das Auschwitz-Drama „Im Labyrinth des Schweigens“ für die Oscars ins Rennen.

München - Wer es schafft, beim Deutschen Filmpreis sechs Lolas zu ergattern, der sollte doch so etwas wie der natürliche Kandidat für den deutschen Oscar-Beitrag sein - könnte man meinen. Seit Donnerstag aber ist klar: Sebastian Schippers „Victoria“ wird von German Films, der Auslandsvertretung des deutschen Films, aber nicht auf große Reise nach Hollywood geschickt.

 

„Dieses Gremium ist dazu da, den Film unter den eingereichten deutschen Filmen auszuwählen, der nach dem Fachwissen und der Expertise der Jury die größten Chancen hat, den Oscar zu gewinnen“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende von German Films, Peter Herrmann, am Donnerstag in München. Und diese Chancen tendierten für „Victoria“ wohl gegen Null - wegen neun Prozentpunkten.

Keine Ausnahme für „Victoria“

Denn wer sich für die Kategorie „Bester nicht englischsprachiger abendfüllender Kinofilm“ bewirbt, muss nun mal einen nicht englischsprachigen Film vorzuweisen haben. In „Victoria“ wird aber laut German Films zu 49 Prozent statt der erlaubten 40 Prozent Englisch gesprochen. Eine beantragte Ausnahmegenehmigung aus Hollywood „lag nicht vor“, wie die Jury mitteilte. Ob die Entscheidung unter anderen Umständen für „Victoria“ ausgefallen wäre, will Jury-Sprecherin Dagmar Hirtz nicht sagen. Das seien Interna.

Die strengen Kriterien der US-amerikanischen Academy sind Pech für Regisseur Schipper - und Pech auch für German Films. Mit dem im Berlin von heute spielenden Echtzeit-Thriller „Victoria“ hätte der deutsche Film zeigen können, dass die Regisseure hierzulande auch noch etwas anderes können, als sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Diese Chance verpasste German Films auch schon, als die Jury zur Oscar-Verleihung 2014 den DDR-Film „Zwei Leben“ von Regisseur Georg Maas zum deutschen Kandidaten erkor - und nicht das gefeierte Kino-Debüt „Oh Boy“ von Jan Ole Gerster, der darin einen jungen Mann (Tom Schilling) in „Fänger im Roggen“-Manier bei seiner ziellosen, grandios erzählten Herumstromerei durch das Berlin von heute begleitet.

„Im Labyrinth des Schweigens“ geht ins Rennen

So wird auch dieses Mal mit dem Drama „Im Labyrinth des Schweigens“ über den Frankfurter Auschwitz-Prozess ein Film ins Rennen geschickt, der den Erwartungen der US-Jury an einen deutschen Oscar-Kandidaten eher entsprechen dürfte. Denn Geschichtsdramen aus Deutschland haben erfahrungsgemäß gute Chancen bei der US-amerikanischen Academy. Von zehn Filmen, die in den vergangenen Jahren von der Auslandsvertretung eingereicht wurden, bekamen vier eine offizielle Oscar-Nominierung. All diese Beiträge (darunter auch Florian Henckel von Donnersmacks oscarprämiertes „Leben der Anderen“) setzten sich mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinander.

Im Jahr 2003 holte Caroline Links „Nirgendwo in Afrika“ über eine jüdische Familie, die aus Nazi-Deutschland nach Kenia flieht, den Oscar für den besten ausländischen Film nach Deutschland. 2005 war Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“ über Hitlers letzte Tage im Bunker nominiert. Nur ein Jahr später war es mit „Sophie Scholl - Die letzten Tage“ wieder ein Stoff aus der Zeit des Nationalsozialismus, 2007 dann der große Oscar-Erfolg für „Das Leben der Anderen“.

Im Jahr 2009 nominierte die Academy den RAF-Film „Baader Meinhof Komplex“, ein Jahr später Michael Hanekes „Das weiße Band“, das die Kindheit der Generation beschreibt, die später Adolf Hitler an die Macht bringen sollte. Das Leben einer Türkin im Deutschland von heute („Die Fremde“ von Feo Aladag), Fatih Akins „Auf der anderen Seite“ oder der Schiller-Film „Die geliebten Schwestern“ von Dominik Graf schienen die amerikanische Jury weniger zu interessieren. Möglich, dass dieses Schicksal „Victoria“ auch dann ereilt hätte, wenn darin genug deutsche Sätze gefallen wären.

All das heißt natürlich keinesfalls, dass „Im Labyrinth des Schweigens“ den qualitativen Ansprüchen für einen potenziellen Oscar-Kandidaten nicht genügt - ganz im Gegenteil. Der Film von Regisseur Giulio Ricciarelli ist ein spannendes und berührendes Drama über ein wenig bekanntes Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte: den Auschwitz-Prozess von Frankfurt. Die Geschichte ist toll erzählt und Hauptdarsteller Alexander Fehling brilliert als junger, engagierter Staatsanwalt, der unter der Last der Verbrechen seiner Elterngeneration beinahe zusammenbricht, dessen Suche nach dem mörderischen KZ-Arzt Josef Mengele zur Besessenheit wird. Völlig zu Recht sagt Jury-Sprecherin Dagmar Hirtz: „Ich finde den Film einfach unglaublich wichtig.“