Der Student Josef S. aus Jena hat im Januar gegen den Akademikerball in Wien demonstriert. Seitdem sitzt er in U-Haft. Sein Anwalt, Clemens Lahner, glaubt, dass es der Anklage mehr um die Bewertung einer Demonstration gehe als um seinen Mandanten.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Wien - Wie bei Kafka, heißt es schnell, oft zu schnell, wenn jemandem der Prozess gemacht wird, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht. So ist das ja bei Franz Kafkas Josef K.: er ist sich nicht bewusst, etwas Böses getan zu haben – und wird trotzdem verhaftet. Was das Schicksal von Josef S. aus Jena betrifft, reicht „wie bei Kafka“ als Beschreibung für den Fall aber kaum aus. Und es ist keine finstere Fiktion, sondern grauer Rechtsalltag in Wien.

 

Josef S., Student der Werkstoffwissenschaften aus Jena, ist am 24. Januar dieses Jahres bei Freunden in der österreichischen Hauptstadt zu Besuch. Er hat eine linke Sozialisation bei den Falken hinter sich, ist ein Sohn, an dem es nichts auszusetzen gibt, und gilt an der Universität als ein „höflicher Mensch“, wie der Direktor mitteilen lässt. Keine Vorstrafen, keine sonstigen Auffälligkeiten außer einem politischen Bewusstsein.

Ein Treffpunkt rechtsgerichteter Netzwerker

Als Josef S. in Wien mitbekommt, dass gegen den sogenannten Akademikerball demonstriert wird, reiht er sich ein beziehungsweise ist dabei. Es ist ihm, wie er im bisher einzigen Interview bekannte, das er geben konnte (dem investigativen österreichischen Magazin „Vice“), nicht bewusst, in was er da eigentlich hineingerät. Seit Jahren verursacht der mittlerweile von der FPÖ veranstaltete Akademikerball als Burschenschaftlerauftrieb und Treffpunkt rechtsgerichteter Netzwerker – auch inszeniertes – Chaos in der Wiener Innenstadt. Wo sich dann gerne Leute schlägern, denen wurst ist, worum es eigentlich auf den teils genehmigten Demonstrationen geht. Jahr für Jahr jedenfalls ist eine Deeskalation auch Prestigeangelegenheit der Republik, Jahr für Jahr geht dabei einiges schief. 6000 Demonstranten, darunter viele aus Deutschland, stehen heuer 2000 Polizisten gegenüber. Manches in der Kärntner Straße geht, fast brauchtumshaft, zu Bruch. Es gibt zahlreiche Festnahmen, aber nur ein Mann bleibt in Untersuchungshaft – bis heute, das ist Josef S.

In der Anklageschrift steht, dass Zivilbeamte bereits gegen 18 Uhr an diesem Abend Josef S. als „Kopf der deutschen Krawall-Touristen“ ausgemacht haben wollen. Weil er eine schwarze Kapuzenjacke mit der Aufschrift „Boycott“ trägt, ist er leicht zu verfolgen. Auf den Videos der Polizei und auf Rohmaterial des ORF ist Josef S. später jedoch nur einmal zu sehen. Auf den ersten Blick schaut es aus, als wolle er einen großen Abfalleimer stemmen, auf den zweiten Blick sieht man, dass er ihn lediglich an den Straßenrand zurückstellt – das Gegenteil von Randale.

Ein umstrittener Paragraf

Sein deutscher Anwalt, Clemens Lahner, glaubt, dass es in der Anklageschrift nicht um Josef S. gehe, vielmehr stehe „eine ganze Demonstration zur Bewertung“. Festgesetzt wird Josef S., weil ein Zivilpolizist aussagt, es handle sich um einen Hauptverantwortlichen für hernach produzierte Gewalt seitens der Demonstranten. Beim ersten Gerichtstermin Anfang Juni stellt sich heraus, dass die Stimme von Josef S. nicht identisch ist mit der Stimme, die der Polizist will „Weiter, weiter!“ haben rufen hören. Rechtliche Grundlage für die lange und andauernde U-Haft ist der § 274 des österreichischen Strafgesetzbuches: eher vage wird darin der Landfriedensbruch thematisiert. Seit ein paar Jahren wird der § 274 gerne hergenommen, um bei Auseinandersetzungen von Fußballfans (oft von Rapid Wien) härter durchgreifen zu können. Es dürfen Personen bestraft werden, denen man unterstellt, im Wissen gehandelt zu haben, dass es in ihrer Umgebung zu Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen kommen könnte. Das ist ein weites Feld. Die Grünen haben im April im Nationalrat einen Antrag eingebracht, diese historische Passage aus dem Strafgesetzbuch zu tilgen. Passiert ist nichts.

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl ist überzeugt davon, dass mit dem sich hinziehenden „absurden“ Prozess gegen Josef S. eine „Einschüchterung“ tendenziell von Antifaschisten stattfinden solle. Gestraft werde Josef S., „gemeint sind wir alle“, schreibt sie im „Standard“. Mittlerweile ist die kritische Öffentlichkeit sensibilisiert, was den Fall Josef S. angeht.

Gestraft im Sinne eines Urteils ist aber noch nicht. Gleichwohl bleibt – dies dann schon wie bei Kafka – nicht ersichtlich, warum und auf welcher Beweisgrundlage ihm der Prozess gemacht wurde und wird. Der nächste Verhandlungstag ist am 21. Juli.