Darmstadt gilt als ein bedeutendes Zentrum des Jugendstils. Besonders viele sehenswerte Gebäude stehen auf der Mathildenhöhe.

Darmstadt - An lauen Sommerabenden tummeln sich die Pärchen auf Darmstadts Musenhügel Mathildenhöhe. „Einfach zum Chillen“, zum Entspannen, ist Sophie (17) aus Mainz mit ihrem Freund hergefahren und ergänzt: „Die Kunst hier inspiriert uns“. Hand in Hand schlendern die beiden durch den Platanenhain zum Schwanentempel und breiten eine Decke auf der Wiese oberhalb der Künstlervillen aus. Was zieht Jugendliche zum über 100 Jahre alten Jugendstil? „Die Anlage ist genial, mit Natur und ungewöhnlicher Architektur“, sagt die 16-jährige Lea, die am Rand des Lilienbeckens sitzt. Ihr 18-jähriger Freund Tobias musste in der Schule ein Referat über den Jugendstil halten und schwärmt von der „Aufbruchsstimmung von damals“.

 

Heute gleicht das Viertel einem Freilichtmuseum. Mit Blättchen und Blüten verzierte Torbögen heißen die Besucher auf dem Hügel im Osten der Stadt willkommen. Bizarr-schöne Türme strecken sich in den Himmel. Prächtige Häuser mit verschnörkelten und glasierten Kacheln rahmen den Park. Zig Skulpturen, im Jugendstil bevorzugt Darstellungen nackter Schönheiten, flankieren die Wege. Nacktheit war vor 100 Jahren ein reizvolles Tabu, besonders reizvoll, wenn man die Figuren in mehrere Meter großer Ausfertigung auf dem höchsten Punkt des Geländes platzierte.

Der Name des Turms erinnert an die Vermählung von Großherzog Ernst Ludwig

So tat es der Bildhauer Bernhard Hoetger mit seinen Werken „Mann“ und „Weib“, der außerdem den kompletten Platanenhain mit dutzenden Nackedeis bestückte. Erotisches Highlight der Mathildenhöhe sind zwei engelsgleiche Wesen auf dem Mosaik „Der Kuss“ von Friedrich Wilhelm Kleukens, zu bestaunen im Eingangsraum des Hochzeitsturms. Der Name des Turms erinnert an die Vermählung von Großherzog Ernst Ludwig, einem Enkel der britischen Königin Victoria, mit Prinzessin Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich. Ernst Ludwig haben die Darmstädter zu verdanken, dass ihre hessische Provinzresidenz neben Wien, Paris, Brüssel und Glasgow zu einem bedeutenden Zentrum des Jugendstils wurde.

Der Fürst scharte um 1900 sieben Künstler um sich, darunter Joseph Maria Olbrich, der bereits mit dem Bau des Wiener Secessionsgebäudes Ruhm erlangt hatte und mit nicht gerade bescheidenen Visionen nach Hessen kam: „Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze Stadt! Alles andere ist nichts.“ Gut, es wurde keine komplette Stadt, aber Olbrich plante die meisten Gebäude auf der Mathildenhöhe, einschließlich des 48,5 Meter aufragenden Hochzeitsturms, in dem man selbstverständlich heiraten kann - auf der 4. Etage im einstigen Zimmer der Großherzogin.

Ganz oben bietet eine Aussichtsplattform einen weiten Blick über die Stadt Fantastisch ist die Sicht auf die pittoreske Russische Orthodoxe Kirche Heilige Maria Magdalena, die ihre Existenz ebenfalls einer Hochzeit zu verdanken hat. Prinzessin Alix (Alexandra), eine Schwester von Ernst Ludwig, heiratete Zar Nikolaus II., und der ließ vom Petersburger Hofarchitekten Leontij Nikolavic Benois 1897 die Kapelle mit vergoldeten Zwiebelkuppeln und reichem Ornament im Stil der frühen Jaroslawer Kirchen auf mitgebrachter russischer Erde errichten. Schließlich wollte das Paar bei seinen Familienbesuchen in Darmstadt nicht auf russisch-orthodoxe Gottesdienste verzichten. 1901 fand dann die Ausstellung „Ein Dokument Deutscher Kunst“ statt, in der die sieben ersten Künstler das Ateliergebäude und ihre komplett eingerichteten Wohnhäuser präsentierten.

Äußerlich blieb die Villa des Malers Peter Behrens am besten erhalten

Für eine bessere Welt sollten alle Lebensbereiche schöner gestaltet werden, bis ins kleinste Detail, bis zur nackten Nixe auf dem Suppenlöffel. Alles sollte „künstlerisch durchdacht“, Möbel mit Pflanzenornamenten „begrünt“ werden. Es war die erste Rückbesinnung auf die Natur im Industriezeitalter, die Zeit der Wandervögel und früher Naturschützer mit dem Ruf nach Reformen und Lebenserneuerung. Der Großherzog versprach sich nebenbei durch die Verbindung von Kunst und Handwerk wirtschaftliche Impulse für sein Hessenland.

„Dass es so viel Behagen, so viel Heiterkeit und Anmut geben kann, wo künstlerischer Geschmack die Wege weist“, schwärmte ein Zeitzeuge. Aber es gab auch Kritik an der Exklusivität der teuren Künstlervillen, die bei drei weiteren Ausstellungen bis 1914 mit Beispielbauten für bezahlbares Wohnen entschärft werden sollte. Äußerlich blieb die Villa des Malers Peter Behrens am besten erhalten, der auf der Mathildenhöhe sein Erstlingswerk als Architekt entwarf. Möbel und Geschirr einiger Künstlervillen kamen ins Jugendstilmuseum, am Originalplatz blieb vom Interieur kaum etwas unverändert und öffentlich zugänglich.

Das einstige Wohnhaus von Joseph Maria Olbrich wird heute vom Deutschen Polen-Institut genutzt, im Haus Glückert residiert die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Immerhin, träumen kann man noch immer von dieser Welt, die „niemals war, noch jemals sein wird“. Einer Welt mit Traumhäusern - einem Bad, in dem „perlende Reinheit“ herrsche, einem Gastzimmer, ähnlich „einem frischen Morgen“, einem Schlafzimmer „einem ruhigen Abendlied gleichend“.

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Infos zu Darmstadt

Unterkunft
Hotel Jagdschloss Kranichstein: Ehemaliges Landgrafenschloss, am Waldrand. Doppelzimmer ab 79 Euro (Frühstück 16 Euro pro Person), Kranichsteiner Str. 261, 64289 Darmstadt, Telefon 0 61 51 / 13 06 70, www.hotel-jagdschloss-kranichstein.de .

Friends Hotel: Designhotel unweit der Künstlerkolonie. DZ ab 85 Euro (Frühstück 12,50 Euro pro Person), Spessartring 53, 64287 Darmstadt, Tel. 0 61 51 / 39 15 50, www.hotelfriends.de/ alle-standorte/darmstadt/

Allgemeine Informationen
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