Bei der Fußball-WM treffen am Donnerstag Joachim Löw und Jürgen Klinsmann aufeinander. Beide sind befreundet – und beide benötigen nur noch einen Punkt fürs Weiterkommen. Das weckt Erinnerungen an die Weltmeisterschaft 1982.

Santo André - Vor ein paar Tagen hat Jogi Löw erzählt, dass seine Freundschaft mit Jürgen Klinsmann intakt ist, im Vorfeld des nahenden WM-Duells in Recife aber ein bisschen ruht – „wir hatten zuletzt keinen Kontakt“, verriet der Bundestrainer, „und werden vor dem Spiel vermutlich nicht mehr telefonieren.“

 

Jetzt sind alle gespannt.

Denn schlagartig hat sich eine Situation ergeben, in der gute Freunde durchaus mal wieder zum Hörer greifen könnten – um über das brasilianische Wetter, die dortigen schönen Frauen oder die Reize eines Unentschiedens zu reden. Der unwiderstehliche Charme einer solchen Punkteteilung bestünde beispielsweise am Donnerstag darin, dass Deutschland und die USA dann bombensicher im Achtelfinale wären, da könnten die Portugiesen und Ghanaer spielen wie sie wollen und wären draußen, selbst wenn sie am Anstoßkreis im Handstand ein Bier trinken.

Sie glauben nicht an solchen Spuk?

Ich auch nicht. Aber die journalistische Sorgfaltspflicht zwingt mich, an jenen holländischen Kollegen zu erinnern, der sich am 25. Juni 1982 vor dem WM-Vorrundenspiel Deutschland gegen Österreich im Stadion „El Molinon“ im spanischen Gijon neben mich setzte und sagte: „Die werden sich einigen.“ Es hat mich viel Mühe gekostet, ihn vom Gegenteil zu überzeugen – dass nämlich die Deutschen sich an den Wienern grausam rächen würden für die gerade vier Jahre alte „Schmach von Cordoba“. Und auf der Gegenseite hatte der Torwart Friedl Koncilia tags zuvor gedroht: „Wir schicken die Deutschen wieder heim.“

Absprachen zwischen Deutschen und Österreichern

Die Ausgangslage war so: Deutschland hatte gegen Algerien verloren und erst einen Sieg auf dem Konto, die Österreicher hatten ihre beiden Spiele gewonnen, und es gab nur ein einziges Ergebnis, das beide an den Nordafrikanern vorbei in die Zwischenrunde hieven würde – 1:0 für Deutschland. Horst Hrubesch schoss das 1:0, in der elften Minute.

„Und nun pass auf“, sagte der Holländer.

Als einer der letzten überlebenden Augenzeugen des Unfassbaren, das danach geschah, bleibt mir unvergesslich, dass die restlichen 79 Minuten weitgehend so abliefen: Der Ball wurde in der eigenen Hälfte minutenlang hin- und hergeschoben und, damit die nicht einschliefen, irgendwann zu den Torhütern Schumacher und Koncilia zurückgespielt. Die nahmen ihn mit der Hand auf, was bei Rückpässen damals noch erlaubt war, spazierten mit dem Ball unter dem Arm eine Weile durch ihren Strafraum, schossen ihn dann nach vorne, und jetzt war der Gegner dran. Kurz: man war sich stillschweigend einig, am günstigen Ergebnis nicht mehr zu rütteln. Zweikämpfe fanden nur noch alibimäßig statt, aus tabellarischen Vernunftsgründen erschien ein Schuss aufs Tor nicht mehr ratsam, und alle hielten sich dran.

Bis auf Schoko.

Walter („Schoko“) Schachner, der aufrechte Steiermärker, hat tatsächlich versucht, den Ausgleich zu schießen und sich später bitter beklagt: „Ich bin da vorne gelaufen wie ein Wahnsinniger und war richtig ang’fressen, denn die haben mich nicht angespielt.“ Sogar zu einer Gelben Karte hat er es in seinem Übereifer geschafft. Er kapierte als Letzter, was lief. Schachner: „In der Pause hat es zwischen ein paar wichtigen Spielern beider Teams, die sich gut verstanden, Absprachen gegeben, dass man es bei diesem Resultat belassen soll. Ich hab’ aber nix mitgekriegt.“

Unvermeidlich kam es deshalb zu diesem legendären Zwischenfall, als Schoko den Nichtangriffspakt brach und knallhart abzog. Freund und Feind waren fassungslos. Der deutsche Vorstopper Karlheinz Förster soll seinen Gegenspieler Krankl mit einem „Hei, Hansi!“ sofort angespitzt haben, worauf der zu Schachner ungefähr hinüberdrohte: „Schoko, wannsd’ dös no amol mochst . . .“

Algerier wedeln im Stadion mit Geldscheinen

Während der deutsche TV-Kommentator Eberhard Stanjek empört von einer „Schande“ sprach und sein Wiener Kollege Robert Seeger die Zuschauer zum Abschalten aufforderte, wedelten 40 000 entrüstete Spanier im Stadion mit weißen Taschentüchern und brüllten „Küsst Euch!“ Die Algerier winkten derweil mit Geldscheinen, was den österreichischen Delegationsleiter Hans Tschak vollends in den Tiefpunkt des Tages trieb, hören wir nochmal kurz rein: „Natürlich ist heute taktisch gespielt worden. Aber wenn deswegen hier 10 000 Wüstensöhne im Stadion einen Skandal entfachen wollen, zeigt das, dass die zu wenig Schulen haben. Da kommt so ein Scheich aus einer Oase, darf nach 300 Jahren mal WM-Luft schnuppern und glaubt, jetzt die Klappe aufreißen zu können.“

Es ist, Sie erraten es, beim 1:0 geblieben. Die Lokalzeitung „El Commercio“ veröffentlichte die Spielanalyse anderntags im Polizeibericht, und ein weiteres Blatt wurde im Wühlkorb der Geschichte fündig und titelte: „El Anschluss“. Umso lockerer sagte Hansi Krankl im Namen aller Spieler: „Ich weiß nicht, was man will. Wir sind qualifiziert.“

Der holländische Kollege hat mir beim Schlusspfiff dann übrigens grinsend auf die Schenkel geklopft – und würde, getrieben von seinen grässlichen Hintergedanken, jetzt womöglich nicht ausschließen, dass Löw und Klinsmann doch noch telefonieren, etwa so:

Klinsmann: „Hallo, Jogi!“

Löw: „Mensch, Jürgen, wann machen wir mal wieder was zusammen?“