Nirgendwo wird die Adventszeit inbrünstiger zelebriert als im sächsischen Mittelgebirge zwischen Seiffen und Annaberg. Ein Werkstattbesuch.

Seiffen - Wenn es so etwas wie ein Weihnachtsgen geben sollte, dann muss es im Erbgut der Erzgebirgler so dominant sein wie bei keiner anderen Population in Deutschland. Sobald am ersten Advent in der ganzen Region die Schwibbögen leuchten, die Rauchermännchen um die Wette qualmen und sich auf jedem Dorfplatz die Holzfiguren-Pyramiden drehen, verfällt die Bevölkerung in einen kollektiven Weihnachtsenthusiasmus.

 

Für die Erzgebirgler ist Weihnachten der unumstrittene Höhepunkt des Jahres, die Adventszeit die „fünfte Jahreszeit“, eine Art Karneval der Ruhe und Besinnlichkeit. „Heymlischkeit“ ist die wichtigste Zutat der ganz besonderen Gemütsverfassung, die Groß und Klein erfasst: das heimelige, gemütliche Beisammensein, sei es auf dem Weihnachtsmarkt, sei es beim „Hutznohmd“ (Hochdeutsch: Hüttenabend), bei dem man sich trifft, singt, musiziert und gerne auch das eine oder andere Holzfigürchen schnitzt. Auch als Reisender kann man daran teilhaben: Der Holzbildhauer Frank Salzer etwa lädt regelmäßig zu seinen „Hutznohmden“ in Kühnheide bei Zwönitz. Salzer ist einer der Letzten seiner Zunft und verfügt neben seinen handwerklichen Fähigkeiten auch über ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein. Spätestens bei ihm lernt man, dass kein Gen für die besinnliche Stimmung verantwortlich ist, sondern dass die Weihnachtsstimmung, wie so vieles im Erzgebirge, „vom Bergbau her kommt“. „Im Winter fuhren die Bergleute morgens bei Dunkelheit in die Stollen ein, schufteten dort im Dunkeln, und wenn die Schicht zu Ende war, war es draußen auch schon wieder dunkel“, erklärt Salzer. „Unter diesen Bedingungen entwickelte sich eine große Sehnsucht nach Licht.“

„Wir sind alle beieinander, niemand ist zurückgeblieben“

Unter Tage trugen die Kumpel kleine Lampen bei sich, die der Schichtführer am Ende des Tages über dem bogenförmigen Stolleneingang aufhängte. So konnte er kontrollieren, ob auch alle Kumpel wieder nach oben gekommen waren. Die berühmten Schwibbögen mit ihren aufgesetzten Kerzen, die zur Weihnachtszeit in die Fenster gestellt werden, ahmen diese Form nach. „Wir sind alle beieinander, niemand ist zurückgeblieben“, lautet ihre Botschaft. Zwar war es das ganze Jahr über wichtig, mit einem Licht im Fenster den Bergmännern heimzuleuchten, doch zur Adventszeit entwickelten die frommen Kumpel geradezu einen Kult des Lichts. Bis heute reagieren viele Erzgebirgler bestürzt auf Beleuchtungsverweigerer oder Menschen, die mit ihrer Weihnachtsdeko zu weit vom Wege der Tradition abirren und sich LED-beleuchtete Weihnachtsbäume in den Vorgarten stellen.

Es gibt Orte, an denen der Bürgermeister persönlich neu Zugezogene aufsucht, um sie sanft, aber nachdrücklich über die Lichtsitten der Region aufzuklären. Eine abendliche Fahrt über die Dörfer und Kleinstädte des Erzgebirges kommt einer Tour durchs Weihnachtswunderland gleich, zumal meistens auch das Wetter mitspielt und der Region schon im Dezember reichlich Schnee beschert: Alle Fenster sind sanft erleuchtet, die Dächer oft mit dicken Schneehauben versehen. Wer diese Fahrt dann noch in der von einer Dampflok gezogenen Fichtelbergbahn unternimmt, kommt sich endgültig vor wie in einem Spielzeugland. Doch auch das lässt sich noch steigern: Wer am Abend mit der Grubenbahn zur Mettenschicht in den Markus-Röhling-Stolln in Annaberg-Buchholz einfährt, rumpelt geradewegs ins Herz des erzgebirgischen Weihnachtskults. Traditionell waren die Mettenschichten die letzten Schichten des Jahres, an denen nicht mehr gearbeitet, sondern auf Kosten der Grubenbesitzer gegessen, getrunken und gesungen wurde. Auch wenn die Gruben heute allesamt stillgelegt sind - auf den Mettenschichten geht es zünftig zu wie eh und je, mit Linsensuppe und „Fettbemmen“ (Butterbroten), mit Glühwein und Geschunkel zu heimischem Liedgut.

Heimische Kräuterschnäpse und Liköre

Oft gibt es ein kleines Unterhaltungsprogramm mit Gesang und Komik - je später der Abend, desto derber die Einlagen. Spätestens, wenn heimische Kräuterschnäpse und Liköre die Runde machen, zeigen die Erzgebirgler, dass sie auch anders können als besinnlich. Auch das weltberühmte Holz-Kunsthandwerk des Erzgebirges kommt „vom Bergbau her“, genauer: von den zahlreichen Krisen, die die Branche schon im Mittelalter heimsuchten. Wann immer die Vorkommen an Silber, Zinn oder Eisen erschöpft waren oder die Preise fielen, wichen die Bergarbeiter auf Holzarbeiten aus. Das Schnitzen und Drechseln von Figuren wurde zu einer Spezialität des Erzgebirges.

In vielen Figuren haben sich bergmännische Motive erhalten, etwa in den Uniformen der Nussknacker. Auch die Figuren, die sich auf den berühmten Weihnachtspyramiden drehen, sind zumeist Bergleute - wie auch die verschiedenen Ebenen der Pyramiden häufig unter Tage in die Gruben führen. Kumpel, die nach Unfällen nicht mehr unter Tage arbeiten konnten, gestalteten häufig „Buckelbergwerke“ - geschnitzte Miniaturstollen mit mechanisch bewegten Figuren, die sie in Schaukästen auf dem Rücken umhertrugen und gegen Geld in Bewegung setzten. Zu sehen bekommt man diese und andere Miniaturwelten in der „Manufaktur der Träume“ in Annaberg-Buchholz, die die Sammlung der Wella-Erbin Erika Pohl-Ströher auf einfallsreiche Weise ausstellt.

Die Stadt Annaberg ist ohnedies ein schöner Anlaufpunkt für Weihnachtsreisende: Sie ist nicht so überlaufen wie etwa Seiffen, und sie punktet mit einem kleinen, aber feinen Weihnachtsmarkt - vor allem aber mit der weithin sichtbaren St. Annenkirche. Ihr prachtvolles Inneres kündet von Zeiten, in denen Annaberg mehr war als ein Bilderbuchstädtchen mit Miniatur-Attraktionen: Zur Zeit des Silber-Bergbaus im 16. Jahrhundert rangierte sie in der Einwohnerzahl weit vor anderen sächsischen Städten wie Dresden oder Leipzig. Lang ist’s her!

Infos zum Erzgebirge

Anreise
Mit dem Auto von Stuttgart über Nürnberg, Hof und Chemnitz auf der A 9 nach Annaberg-Buchholz. Mit dem Zug über dieselben Stationen.

Übernachtung
Die auf fast 1200 Meter gelegene, markante Sachsenbaude nahe des Kurorts Oberwiesenthal war einstmals ein „vornehmes Berghotel“, dann Sanatorium, heute ist es ein Wellness-Hotel. Doppelzimmer ab 146 Euro, Telefon: 03 73 48 / 13 90, www.sachsenbaude.de .

Buchstäblich saugemütlich geht’s im Hotel Am Sauwald zu, einem schönen, alten Fachwerkbau in einem Waldstück bei Tannenberg nahe Annaberg-Buchholz. Der gleichnamige Waldgasthof im Hause bietet lokale Wild-Spezialitäten - saulecker, versteht sich. Doppelzimmer ab 63 Euro, Telefon 0 37 33 / 56 99 90, www.sauwald-hotel.com .

Wo es am schönsten weihnachtet
„Hutznohmde“ bei Holzbildhauer Frank Salzer, www.salzerhaus.de , Telefon 03 77 54 / 7 58 44.

Mettenschichten im Markus-Roehling-Stolln, www.roehling-stolln.de , Telefon 0 37 33 / 5 29 79.

Fichtelbergbahn: www.fichtelbergbahn.de .

Manufaktur der Träume: www.manufaktur-der-traeume.de , Telefon 0 37 33 / 1 94 33.

Bergparaden
Aus der Entfernung sieht es aus, als sei aus dem nächstgelegenen Spielzeugmuseum eine Kompanie Holzfiguren ausgebrochen: Bei den Bergparaden zur Weihnachtszeit spielen die Traditionskapellen in voller Uniform-Pracht auf. Eine Übersicht über die Paraden, Infos zu den Mettenschichten der verschiedenen Bergwerke und eine Liste der Weihnachtsmärkte findet man unter www.erzgebirge.de/advent/ .

Einem der letzten Reifendreher kann man im Erzgebirgischen Freilichtmuseum Seiffen bei der Arbeit zusehen. Die historische, einst von einer Wassermühle betriebene Werkstatt ist eine Außenstelle des Spielzeugmuseums in Seiffen, in dem man auch einiges über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Spielzeugherstellung im Erzgebirge erfährt, www.spielzeugmuseum-seiffen.de , Telefon 03 73 62 / 82 39.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall kleine Atelier-Läden suchen. In den großen Weihnachtsdeko-Manufakturen stehen sich zur Adventszeit manchmal ganze Busladungen an Besuchern auf den Füßen. In den kleinen Ateliers in den Nebengassen von Seiffen und Annaberg-Buchholz findet sich das originellere Handwerk - und die Kunsthandwerker sind oft persönlich ansprechbar.

Auf keinen Fall über Weihnachtsbeleuchtung lästern. Schwibbögen, Lichterketten und Co - manchem mag die Dekowut der Erzgebirgler übertrieben erscheinen. Aber hüten Sie Ihre Zunge vor allzu despektierlichen Kommentaren: Man meint es sehr ernst mit dem Adventsschmuck!

Allgemeine Informationen
www.erzgebirge-tourismus.de