Einst prägte der Rote Porphyr vom Rochlitzer Berg die Städte Mittelsachsens. Beim Bildhauerseminar arbeiten sich heute Laien daran ab - mit großem Vergnügen.

Noch sind beide Daumen intakt. Noch liegt der rötlich-gelbe Steinblock, 30 mal 20 mal 15 Zentimeter im Umfang, unberührt auf dem stabilen Holzbock. Dieser Stein trägt ein Geheimnis in sich: In ihm verborgen ruht eine Vogeltränke. „Sie muss nur noch freigelegt werden“, sagt Peter Stahns, „und dazu arbeiten wir, anders als beim Modellieren mit Ton, immer von außen nach innen.“ Der 66-jährige Steinmetz und Bildhauer, der mit seiner Frau Maggie zusammen das Seminar leitet, hat in die zwei oberen Ecken der beiden Längsseiten des Steins einen Kreis gezirkelt. Hier soll eine Rundung, ein Wulst entstehen. Beiderseits der Querkante zieht er einen Strich und verbindet die beiden diagonal zu einem Dreieck. Dieses überflüssige Material gilt es jetzt wegzuhauen. Bedächtig setzt er die ersten Schläge, sichert so die Ecken, und dann hält der Neuling selbst den Knüpfel, den halbrunden Holzhammer, und das Zahneisen, ein an der Schneide mehrmals durchbrochenes Stemmeisen, in der Hand. Vorsichtig schlägt er zu. Es funktioniert. Steinsplitter spritzen, die scharfe Kante verschwindet. Der Platz für diese Arbeit ist bestens gewählt. Der Rochlitzer Berg ragt nur wenig aus den sanften, weizengelben Hügeln Mittelsachsens hervor, Mischwald bedeckt die Kuppe.

 

Entstehung und Verarbeitung des Steins

Fünf Interessierte sind diesmal angereist. Christine, ehemalige Erzieherin, arbeitet an einem mit einer Schnecke verzierten Wasserbecken. Peter, der sonst Holzfußböden verlegt, versucht sich an einer flachen Schale. Ute, die Kunstlehrerin, wagt sich an einen weiblichen Torso. Und Gunar, Wirtschaftsberater, hat sich einen steinernen Kopf in seinen eigenen gesetzt. Allmählich entwickelt sich ein Gespür für Werkzeug und Material und es stellt sich ein Gefühl ein, was die Eisen ausrichten und was sie anrichten können. Splitter fliegen, der Mut wächst, bald hat jeder seinen Rhythmus gefunden. Geradezu meditativ wird die Arbeit jetzt, die Gedanken können auf Reisen gehen. Vor rund 270 Millionen Jahren ist der Rote Porphyr entstanden, der den Rochlitzer Berg bildet. In einer Glutwolke stieß ein Vulkan Magma aus, das sich in einer Schicht von bis zu 80 Meter Stärke ablagerte - Ignimbrit sagen die Geologen dazu. Einsprengsel von Luft und Quarzen machen es porös und gut zu bearbeiten und verleihen ihm sein Farbenspektrum von Rosa bis Violett. Vor etwa 1000 Jahren begann man, den Stein abzubauen.

Der Porphyr-Lehrpfad auf dem Berg zeigt mehrere Stationen dieser Geschichte. An rötlichen Felswänden prangen die Zeichen verschiedener Steinmetze. Im Gleisbergbruch fallen die Wände schnurgerade 60 Meter in die Tiefe ab. Auf Fotos ist zu sehen, wie die Arbeiter einst mit dem Zweispitz, einem Pickel, Rinnen in das Gestein schlugen und Keile hineintrieben, um die Blöcke zu lösen. Die Arbeit an der Vogeltränke schreitet mittlerweile voran. Nachdem die Rundung geglättet und geschliffen ist, wird das Becken herausgearbeitet. Mit dem Spitzeisen treibt man eine Reihe von Rillen längs hinein, darauf eine quer, wieder und wieder und wieder. Peter Stahns geht von einem zum anderen, gibt hier eine Anregung, korrigiert dort mit ein paar entschlossenen Schlägen eine Linie oder regt einfach zum Selberdenken an. Wer hier tätig wird, weiß sich in einer reichen Tradition.

Werke in Rotem Porphyr

Von diesem Berg aus ging der Stein als Rohstoff für den Palast der Republik bis nach Berlin, für ein Bismarck-Denkmal nach München und für das Grabmal von Immanuel Kant nach Königsberg. Am lang gezogenen Marktplatz von Rochlitz, der im 16. Jahrhundert angeblich der größte Europas war, tragen viele der klassizistischen Bürgerhäuser Fensterstürze oder Torumrandungen aus Porphyr. Ein mit besonders viel Heimatliebe und etwas weniger Geschmack gesegneter Bürger hat in seinem Garten die Türme der Burg nachgebaut und die Wand der Garage rot verkleidet. Auch im Rochlitzer Schloss feiert der rote Stein Triumphe: Als Arnold von Westfalen Ende des 15. Jahrhunderts die alte Burg zu einem repräsentativen Wohnsitz umgestaltete, probierte er all die Maßwerke aus, die er später an seinem Meisterwerk, der Albrechtsburg in Meißen, zur Vollendung brachte. Eines der schönsten Werke in Rotem Porphyr aber entstand schon um 1230, der Lettner in der Stiftskirche Wechselburg. Die durchbrochene Wand, die die Kirche teilt, ist komplett aus Rochlitzer Stein gearbeitet: Zwischen dunkelroten Säulen stehen in dunkelroten Nischen in hellerem Rot Abraham und andere biblische Gestalten, unterschiedlich filigran und unterschiedlich gekonnt ausgearbeitet. Am Abend ist die Vogeltränke fertig. Erstaunlich, was sich an nur einem Tag mit einem Stück Stein anstellen lässt. Auch am Torso, an der Schnecke, der Schale und dem Kopf sind enorme Fortschritte festzustellen. Alle Teilnehmer sind bestens gelaunt. Blaue Daumen sind nicht zu beklagen - aber das kann ja noch kommen. Morgen beginnt sie wieder, die harte Arbeit am weichen Stein.