Mehr als 2,4 Millionen Menschen sind bei der Sex-Community Joyclub registriert. Im Interview redet Joyclub-Sprecher Christian Schumann über die Ziele des Portals – und die ethischen Verpflichtigungen.

Leipzig - Outdoorsex, Swinger-Clubs, S&M: Mehr als 1,25 Millionen Mal haben sich im vergangenen Jahr Menschen zu Events mit sexuellem Charakter angemeldet. Und das allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Allermeisten kommen über Joyclub, das 2005 gegründet wurde und mittlerweile 90 Mitarbeiter beschäftigt, etwa 40 im Support und Community-Management.

 

Die Zentrale ist in Leipzig. Aktuell sind mehr als 2,4 Millionen Menschen registriert, Tendenz steigend. Christian Schumann (34) arbeitet seit 2009 für das Portal, ist seit 2013 Unternehmenssprecher und gleichzeitig verantwortlich für den Bereich Events. Im Interview erklärt der Unternehmenssprecher Christian Schumann, welche Ziele das Portal verfolgt.

Herr Schumann, früher gingen Menschen auf der Suche nach Partnern in eine Bar, heute gehen sie zu C-Date oder Tinder. Warum?
Es gibt eine Theorie, die besagt, dass die virtuelle Welt weit realistischer ist als die reale. Weil ich mehr von den Menschen erfahre. Im Netz ist die Hemmschwelle geringer, auch intime Sachen preiszugeben.
Ist diese Anonymität nicht ein Trugschluss? Viele Nutzer laden auf Joyclub äußerst pikante Bilder hoch, würden bei Facebook aber wohl nicht einmal ein Bikinibild posten.
Bei Facebook droht gesellschaftliche Ächtung, aber Joyclub ist ein geschützter Raum für Intimität.
Sexualpartner, verfügbar jederzeit, unendliche Auswahl – ist das nicht ein Mythos, eine vor allem männlich geprägte Fantasie?
Die Suche funktioniert im Netz prinzipiell wie im normalen Leben. Wenn ich im Internet plump erkläre, dass ich Geschlechtsverkehr suche, kann ich genauso gut im Kaufhaus ein entsprechendes Schild hoch halten – es wird nicht klappen. Allerdings kann ich im Netz die Schlagzahl erhöhen. Im Übrigen profitieren auch Frauen von diesen Möglichkeiten und nutzen sie mit zunehmendem Selbstbewusstsein.
Ist es wirklich ein Segen, dass heute jeder für alles einen Mitspieler findet?
Es ist jedenfalls so. Von Wollfetisch bis BDSM – alle diese Vorlieben gibt es nun einmal, aber ist das schlimm? Eine offene Gesellschaft sollte damit umgehen können. Eine unserer erfolgreichsten Gruppen heißt BDSM für Anfänger. Sadomasochismus ist sehr erfolgreich. Manches ist heftig, aber alles Teil einer Szene, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. (die Redaktion: BDSM kommt von den Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ und bezeichnet Spielarten des Sadomasochismus)
Sind die Deutschen enthemmter als früher?
Die Bereitschaft, sich mit seinen Fantasien auseinanderzusetzen, ist gestiegen. Früher gab es keine Swinger unter 40 Jahren, heute boomen Junge-Paare-Partys für Leute zwischen 20 und 25 Jahren. Auch manche Praktiken sind nicht mehr so verpönt.
Sexualität ist etwas Privates. Haben nicht Tabus auch ihre Berechtigung?
Natürlich. Aber heute wird man schief angeguckt, wenn man sagt, dass man Teil einer Sex-Community ist. Wenn wir einen gesellschaftlichen Auftrag haben, dann diesen: dass in unserer Gesellschaft weniger verklemmt über Sexualität gesprochen werden kann. Vielleicht lässt sich das nie erreichen, aber wir wollen es versuchen. Und bei uns ist klar: alles, was illegal ist, wird nicht toleriert.
Manches ist erlaubt, aber geächtet. Grenzenlose Offenheit kann niemand wollen.
Das ist richtig, aber es ist schwer, die Grenze zu definieren. Im Sadomasochismus gehören Striemen dazu, das akzeptieren wir. Es gibt andere Praktiken, die sind legal und werden von uns trotzdem nicht toleriert. Letztlich ist das eine rein unternehmerische Entscheidung.
Nicht auch eine moralische?
Es gibt Menschen mit diesen Neigungen, und ich finde, das muss man akzeptieren, so lange es einvernehmlich ist.
Ist es überhaupt möglich, ein derart großes Portal sauber zu halten?
Die online gestellten Inhalte werden von geschulten Mitarbeitern im Hinblick auf gesetzliche Vorgaben kontrolliert, bevor sie veröffentlicht werden. Außerdem ist unsere Community äußerst wachsam. Wer gegen unsere Regeln verstößt, fliegt raus.
In vielen Profilen liest man eine Mahnung an Männer: bitte zeigt Respekt. Das klingt nicht danach, als hätten alle Frauen nur gute Erfahrungen gemacht.
Das ist wie im realen Leben. Etwas anderes zu glauben, wäre naiv. In einer Bar werden Frauen leider auch manchmal plump angebaggert oder sogar belästigt. Es lässt sich nicht leugnen, dass es da ein Ungleichgewicht gibt.
Melden Sie Nutzer der Polizei?
Wenn es strafrechtlich relevant ist: natürlich. Aber das sind sehr wenige Fälle.
Wissen Sie, was Ihre Mitglieder im realen Leben sexuell treiben?
Natürlich nicht im Detail, aber vieles wird im Forum diskutiert. Wir wissen, dass sich ungefähr die Hälfte auch in der realen Welt trifft. Und das nicht nur bei Sexpartys.
Was ist der derzeit wichtigste Trend?
Dass Sexualität zu einem Teil der Eventgastronomie wird. Die Leute gehen aus, genießen ein tolles Essen, tanzen – und haben Sex. Swinger-Clubs mit rustikaler Eiche, in denen die Gäste in Badelatschen herumlaufen, gibt es noch, aber das wird weniger.
Wie groß ist diese Szene?
Es ist eine wachsende und vielfältige Szene. Bei uns sind derzeit 775 Clubs und Veranstalter registriert. 2016 haben sich über das Portal mehr als 1,25 Millionen Menschen zu Veranstaltungen angemeldet. Es gibt professionelle Partys mit tausend Gästen an einem Abend, aber genauso gibt es zahlreiche kleine, intime Events. Es ist eine riesige Parallelwelt.