Den Triumph in Brasilien hat sich die deutsche Nationalmannschaft hart erarbeitet.Trotz mancher Tiefschläge ließ das DFB-Team in den vergangenen Jahren nie locker.

Rio de Janeiro - Als das bunte Feuerwerk verpufft und das Konfetti wieder gelandet ist, als die Medaillen vergeben und die Lieder gesungen sind, da ist es noch einmal so wie damals: Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski stehen Arm in Arm vor der Fankurve und machen Späße. Sie winken, sie tanzen, sie klatschen. Und zwischendurch tun sie so, als würden sie sich gleich küssen, und lachen selbst am meisten darüber. Für einen Moment sind sie also noch einmal zurückgekehrt, die unbeschwerten Jungs von damals.

 

Man kennt diese Bilder, es ist lange her. Heim-Weltmeisterschaft 2006, Schweini und Poldi, zwei Lausbuben von Anfang 20, für jeden Scherz zu haben. Blond gefärbt war Schweinsteiger damals, inzwischen sind seine Schläfen in Ehren ergraut. Und Podolski hat jetzt einen Sohn an der Hand, er heißt Louis und ist fünf Jahre alt. Erwachsen sind beide geworden – doch das ist nicht der einzige Unterschied zu damals. Der andere: jetzt sind sie endlich angekommen am Ziel ihrer langen gemeinsamen Reise, jetzt sind sie die Könige des Fußballs.

Das Sommermärchen 2006 ist mit achtjähriger Verspätung nun doch noch Realität geworden, der große Traum vom Titel ist in Erfüllung gegangen. 1:0 nach Verlängerung gegen Argentinien, Deutschland ist Weltmeister, die goldene Generation hat sich die Krone aufgesetzt. Und niemand könnte ernsthaft behaupten, dass dieser triumphale Erfolg in Brasilien nicht hart erarbeitet worden sei.

Nicht nach diesen denkwürdigen 120 Endspielminuten im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro; nicht nach diesen fünf Wochen in Brasilien. Und schon gar nicht nach diesen zehn Jahren, in denen die deutsche Nationalmannschaft manchen Tiefschlag einstecken musste und trotzdem nie locker gelassen hat.

Der Weltmeistertrainer im Glück

„Wir wussten: irgendwann würden wir die Sache zu Ende bringen“, sagt Joachim Löw, aus dem an diesem Spätnachmittag ein Weltmeistertrainer geworden ist. Von „tiefen Glücksgefühlen, die für alle Zeiten bleiben werden“, spricht Löw und fügt selbstbewusst an: „Wenn irgendjemand diese Krönung verdient hat, dann diese Mannschaft.“

Seit der blamablen Europameisterschaft 2004, als der deutsche Fußball am Boden lag, haben sie es gemeinsam versucht: Joachim Löw, erst Assistent, dann Bundestrainer, und die Generation Bastian Schweinsteiger (29), Philipp Lahm (30), Per Mertesacker (29) und Lukas Podolski (29), erst Nachwuchsspieler, dann Führungskräfte. Und jedes Mal sind sie kurz vor der Ziellinie ins Straucheln geraten, jedes Mal haben sie verloren, wenn um alles oder nichts ging.

Verspottet als Schönwetterspieler

Die Folge: als Weichlinge wurden sie verspottet, als Schönwetterspieler, die nicht in der Lage seien, auch gegen Widerstände anzukämpfen und zu gewinnen. Zur Symbolfigur des Scheiterns wurde Bastian Schweinsteiger, vom Boulevard vor ein paar Jahren höhnisch zum „Chefchen“ ernannt. „Herr Löw, schicken Sie Männer auf den Platz“, das schrieben Zeitungen noch während des Turniers in Brasilien.

Der Champions-League-Sieg 2012 mit den Bayern, er mag eine Befreiung für Lahm und Schweinsteiger gewesen sein. Die ersehnte Erlösung aber konnte nur der Titelgewinn bei einer Weltmeisterschaft bringen. In Brasilien bot sich die mutmaßlich letzte Chance. „Ihr müsst so viel geben, wie noch nie in eurer Karriere“, das rief Joachim Löw vor dem Finale seinen Spielern zu, „dann werdet ihr das bekommen, was ihr noch nicht habt.“

Schweinsteiger als Symbolfigur des Siegeswillens

Keiner hat in Rio mehr gegeben, als Bastian Schweinsteiger, der diesmal die Symbolfigur des unbedingten Siegeswillens war. Durch die blutende Platzwunde im Gesicht ließ er sich nicht aufhalten, auch nicht durch die Krämpfe in den Beinen. Jedes Mal rannte er wieder entschlossen zurück aufs Feld und schmiss sich in die Zweikämpfe, bis der Schiedsrichter endlich abpfiff. Schweinsteiger war kein Chefchen, sondern der große Chef. „Bastian ist ein Löwe“, sagt der Teammanger Oliver Bierhoff und spricht vom „beeindruckendste Spiel, das ich je von ihm gesehen habe“.

Niemand wird auch mehr behaupten können, diese von Schweinsteiger und Lahm angeführte Mannschaft lasse sich von unerwarteten Widrigkeiten aus ihrem Konzept bringen. Denn daran hat es am Sonntag nicht gefehlt. Sami Khedira: konnte nicht mitspielen, weil ein paar Minuten vor dem Anpfiff die Wade schmerzte. Sein Vertreter Christoph Kramer: musste nach einem schweren Zusammenprall schon sehr früh benommen vom Feld geführt werden. Die Argentinier: hart und kompromisslos, teils über die Grenze des Erlaubten hinaus.

Ein riesiger Druck von außen und hohe eigene Ansprüchen

Man muss erstmal einen kühlen Kopf bewahren, wenn so viel am Anfang schiefläuft. Man muss erstmal gewinnen, wenn so viel auf dem Spiel steht. Die Mannschaft hat dem riesigen Druck von außen und den hohen eigenen Ansprüchen standgehalten, sie ist Weltmeister geworden. „Deutschland kann stolz sein auf diese Mannschaft“, sagt Joachim Löw.

Lange dauert es, bis die Spieler hinterher aus der Kabine kommen. Erst haben sie mit der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten gefeiert, jetzt freut sich jeder aus der Sommermärchengeneration auf seine ganz eigene Weise. Per Mertesacker, der sonst so zurückhaltende Niedersachse, läuft singend durch die Interviewzone und trommelt mit den Händen an die Wände. Lukas Podolski schlägt mit jedem ab, der ihm die Hand entgegenstreckt. Und Philipp Lahm schwebt förmlich durch den Raum und sagt: „Ich werde das still genießen, ich werde aber auch schreien und sicher auch noch eine Träne verdrücken.“

Die Augen von Bastian Schweinsteiger sind schon jetzt ganz feucht. Normalerweise lässt er die Reporter nach den Spielen stehen und geht wortlos davon. Nun aber, da er am Ziel aller Träume ist und alles gewonnen hat, was es im Fußball zu gewinnen gibt, ist es anders. Eine schwarz-rot-goldene Fahne hat er sich um die Beine gewickelt und holt tief Luft.

Eine Mannschaft, die Großes erreichen kann

„Ich habe früh gespürt, dass bei diesem Turnier etwas möglich ist, ich wusste, wir haben die Mannschaft, die Großes erreichen kann“, sagt Schweinsteiger, „jetzt sind wir den letzten Schritt gegangen und haben die Leute glücklich gemacht.“ Er selbst könnte glücklicher nicht sein: „Wir haben uns endlich belohnt, speziell Philipp, Per, Lukas und ich – wir Spieler, die den ganzen langen Weg mitgemacht haben.“ Dann entschwindet auch Bastian Schweinsteiger hinaus in die Partynacht von Rio de Janeiro.

Sie werden vermutlich dunkle Sonnenbrillen tragen, wenn die Lufthansa-Sondermaschine LH 2014 die Fußballhelden am Dienstagvormittag in Berlin abliefert. Vom Flughafen geht es dann direkt zum Brandenburger Tor, wo wieder Hunderttausende von Menschen auf ihre Helden warten werden, so wie nach dem Sommermärchen 2006. Noch einmal werden Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski ein paar Späße machen, es wird noch einmal so wie damals. Und doch ist diesmal alles anders: Keine frechen Jungs werden auf der Bühne stehen, sondern Weltmeister.