Prima, wenn einer so wie Thomas (Devid Striesow) in „Nichts passiert“ niemandem etwas Böses möchte. Aber was, wenn andere seinen Lieben Böses tun? Ist dann mit Thomas zu rechnen?

Stuttgart - Im Prinzip eine nette Idee: mit der Reise in ein Schweizer Skigebiet will Thomas (Devid Striesow) seiner Frau Muße für deren Schriftstellerei schenken, während ihre Tochter Jenny (Lotte Becker) bei sportlicher Betätigung nicht nur Spaß haben, sondern auch Babyspeck loswerden soll. Seinem Chef tut er nebenbei noch etwas Gutes, indem er ihm dessen Problemkind Sarah (Annina Walt) für ein paar Tage abnimmt. Thomas ist selbst ganz begeistert von seiner Umsicht und Fürsorge. Nur die anderen sind es leider nicht.

 

Dieser liebenswerte Waschlappen von einem Ehemann, Vater und Arbeitnehmer kann einem zu Beginn von Micha Lewinskys Tragikomödie „Nichts passiert“ ehrlich leidtun. Denn gerade weil er sich bemüht, es jedem recht zu machen, liegt Thomas ständig daneben. Gattin Martina (Maren Eggert) wäre lieber allein zu Hause geblieben und äußert unverhohlen Trennungsgedanken. Tochter Jenny findet zwar den Skiurlaub toll, nicht aber Sarah, die schlanker und viel beliebter bei den Dorfjungen ist.

Wenn Harmoniesucht übel wird

Es scheint zunächst, als wolle Lewinsky eine typische kleine Familienfarce mit wenigen Strichen auf die Leinwand werfen. Doch schnell wird klar, dass er sehr viel mehr in petto hat. Thomas, der niemals Nein sagen kann, wird zum Dreh- und Angelpunkt eines kompliziert gebauten Vergewaltigungsfalles, in dem Sarah das Opfer ist und Thomas eigentlich Stellung beziehen müsste.

Interessant daran ist, wie Lewinsky mit Hilfe von Devid Striesow glaubwürdig den Charakter eines Mannes entwickelt, der gerade aufgrund seiner hilflosen Harmoniesucht zum Mittäter wird. Striesow, der in „Ich bin dann mal weg“ Hape Kerkeling spielte, beweist Fingerspitzengefühl und manövriert seine Figur souverän am Rande des Nervenzusammenbruchs entlang; es dreht einem den Magen um, wenn Thomas selbst dann noch lächelt, wenn ihm schon Tränen in den Augen stehen, oder sich durch das Traurige ein diabolisches Blitzen in seinen Gesichtsausdruck drängt.

Nichts als Stichwortgeber

Doch weil sich Lewinsky auf Thomas als Protagonisten fokussiert, verliert er seine anderen Figuren aus dem Blick. Maren Eggert bekommt nur wenig Gelegenheit, ihre Martina abseits des Frauenklischees einer zwischen Mutterschaft und künstlerischer Berufung Zerrissenen zu spielen. Und auch die Figuren der beiden Teenager sowie die der in den Fall verwickelten Dorfbewohner wirken neben Striesow wie blasse Stichwortgeber, deren Charaktere nur rudimentär angelegt sind.

Lewinsky hätte in „Nichts passiert“ geradezu mustergültig vorführen können, wie sich Menschen allgemein durch Ignoranz und mangelnde Courage gegenseitig die Hölle heiß machen. Dass er nur einem dieser Biedermänner ganz nah zu Leibe rückt, ist also nicht ganz konsequent, auf ungemütliche Weise aber unterhaltsam.

Nichts passiert. Schweiz 2015. Regie: Micha Lewinsky. Mit Devid Striesow, Maren Eggert, Lotte Becker, Annina Walt, Max Hubacher. 88 Minuten. Ab 12 Jahren.