Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, fordert ein besseres Verständnis der Lehrer für die Arbeitswelt. Das duale Ausbildungssystem sei ihnen mitunter fremd, kritisiert die DGB-Vize.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Elke Hannack, hat gerade eine viertägige Sommertour durch Baden-Württemberg absolviert. Die Angebote der beruflichen Bildung im Land haben sie beeindruckt – bis auf wenige Ausnahmen.

 
Frau Hannack, die Landesregierung stellt Baden-Württemberg gern als Musterland für gute Arbeit dar – gilt dies zumindest für den Bereich der Ausbildung?
Ich denke schon, dass Baden-Württemberg ein Musterland ist für bestimmte Projekte im Bereich der Ausbildung und der beruflichen Weiterbildung. Das gerade erneuerte Ausbildungsbündnis hat sicher bundesweit vorbildliche Verabredungen getroffen.
Fast 6000 Ausbildungsplätze im Land sind unbesetzt. Was müssen die Firmen bieten, um die Lücken zu füllen?
Großbetriebe haben in dieser Hinsicht meist keine Probleme – selbst nicht im ländlichen Raum, siehe Ritter Sport. Die Unternehmen müssen den jungen Leuten heute sehr viel mehr bieten: attraktive Ausbildungsbedingungen, Aufstiegsmöglichkeiten, eine gute Entlohnung und ein Leitbild ihres Unternehmens, mit dem sich ein junger Mensch identifizieren kann. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss im Betrieb gelebt werden.
Wo sehen Sie Schwachpunkte?
Kleinstbetriebe müssen mehr ausbilden, also benötigen sie Unterstützung. Die assistierte Ausbildung ist in Baden-Württemberg erfunden und bundesweit ins Gesetz aufgenommen worden. Sie hilft bei der Auswahl von Jugendlichen und bei der Entwicklung von Ausbildungsplänen. Sie nimmt auch den Jugendlichen an die Hand, wenn er besonderen Förderbedarf hat. In diesem Jahr stellt die Bundesagentur für Arbeit bis zu 10 000 assistierte Ausbildungsplätze zur Verfügung und finanziert sie auch. Für Baden-Württemberg hat die Bundesagentur allerdings lediglich 311 Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Im nächsten Jahr soll es dann 600 assistierte Ausbildungsplätze im Land geben. Der DGB sieht jedoch einen weitaus höheren Bedarf bei 2000 bis 2600 Plätzen.
Wäre der Effekt deutlich spürbar?
Die Ausbildungsbetriebsquote liegt in Baden-Württemberg bei 25 Prozent – ein Viertel aller Betriebe bildet noch aus. Die Quote ist besser als auf Bundesebene, wo sie bei 20,7 Prozent liegt. Sie lässt sich über die assistierte Ausbildung kräftig steigern.
Sollten die Unternehmen auch im Süden Europas auf Nachwuchssuche gehen?
Deutschland bräuchte jedes Jahr 220 000 Einwanderer, nur um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken und die Sozialversicherungssysteme aufrecht zu erhalten. Über das Sonderprogramm MobiPro-EU haben wir seit dessen Beginn vor drei Jahren gerade 9000 junge Menschen angeworben. Wer wirklich seinen Fachkräftebedarf decken will, muss mehr auf die noch unerschlossenen Potenziale schauen. Dazu zähle ich vor allem Jugendliche mit einem Hauptschulabschluss und Zuwanderer, die bereits in Deutschland leben. Sie haben allzu oft keine Chance auf eine Ausbildung.