Irmgard Mayer ist seit 15 Jahren in der Justizvollzugsanstalt Stammheim im Kirchlichen Dienst tätig. Schülern der Paulinenpflege hat sie von ihrer seelsorgerischen Arbeit berichtet, in der die Wertschätzung des anderen von eminenter Bedeutung ist.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Winnenden - Über den Alltag in einem Gefängnis und die Menschen, die dort inhaftiert sind, kursieren viele falsche Vorstellungen“, sagt Irmgard Mayer. Sie muss es wissen, schließlich arbeitet sie seit 15 Jahren in Stammheim, der zumindest dem Namen nach wohl bekanntesten Justizvollzugsanstalt Deutschlands. „Im Kirchlichen Dienst sind dort ein katholischer und ein evangelischer Pfarrer, eine katholische Schwester und ich tätig“, berichtet die Diakonin einer Klasse des Berufskollegs der Paulinenpflege. Deren Religionslehrer Dietrich Hub hat Irmgard Mayer eingeladen, um den Schülern einen Einblick in eine Lebenswelt zu gewähren, die den meisten Menschen glücklicherweise verschlossen bleibt.

 

Das Interesse der jungen Leute ist groß, und das Angebot der Diakonin, Fragen zu stellen, wird rege angenommen. „Ist das nicht gefährlich, wenn Sie jemanden in seiner Zelle besuchen“, will eine Schülerin wissen. „Ich bin in der ganzen Zeit, seit ich in Stammheim arbeite, nie angegangen worden“, berichtet Mayer. „Die Männer sind immer sehr höflich und freundlich zu uns. Das liegt daran, wie man jemandem begegnet, wenn man Wertschätzung zeigt, egal, was jemand gemacht hat.“

In der Haft wird oft klar, wer ein wirklicher Freund ist

In Stammheim sind ausschließlich Untersuchungshäftlinge, die Strafhaft findet in anderen Gefängnissen statt. Zurzeit seien rund 300 Männer dort, die zum ersten Mal in Haft seien. „Sie müssen sich vorstellen, dass sie in einer außerordentlichen Situation sind und nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.“

Zur Ungewissheit, wie die anstehenden Strafverfahren ausgehen, treibe die Männer vor allem um, wie ihre Frauen, ihre Familien, Freundinnen und Freunde zu ihnen stünden. „Es gibt viele junge Männer, die vorher in großen Cliquen unterwegs waren, die dann merken, wer wirklich ihre Freunde sind“, sagt Irmgard Mayer. Oft seien es nur wenige, die weiterhin Kontakt hielten. Und dann sei noch für viele die quälende Frage, ob die Frau oder die Freundin sie in der Zeit verlassen werde, während der sie eingesperrt seien.

Hilfe für Menschen aller Konfessionen und Religionen

„Wir sind für Menschen aller Konfessionen und Religionen da“, sagt Irmgard Mayer. Wie soziale und pädagogische Dienste seien auch die kirchlichen Mitarbeiter ständig präsent. „Ich habe ein schönes großes Büro, das sich eignet für Familienbesuche. Gerade kleine Kinder leiden sehr darunter, wenn der Vater nicht da ist.“ In dem Raum sei es dann möglich, dass eine Familie ungestört zusammen sein könne.

Nachdem sie hauptamtlich in der Jugendarbeit und anschließend in Mariaberg mit behinderten Menschen tätig gewesen sei, habe sie sich nach einer seelsorgerischen Aufgabe umgesehen, berichtet Irmgard Mayer. „Das war immer mein Ziel. Als die Stelle ausgeschrieben war, habe ich dort hospitiert, und mir hat sehr imponiert, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Seelsorger im Haus bewegt haben.“

Wie ihre Kollegen ist auch Irmgard Mayer nun in dem großen Gebäude unterwegs, das in der Zeit von 1960 bis 1963 gebaut wurde, 1964 in Betrieb ging und in den 70er-Jahren traurige Berühmtheit durch die RAF-Prozesse bekam. „Die waren doch da inhaftiert“, fragt eine Schülerin nach. „Nein, die waren damals auch in U-Haft, während der Prozess stattfand, der sehr lange gedauert hat“, antwortet Irmgard Mayer.

Die Gespräche mit den Seelsorgern sind vertraulich

Wenn ein Häftling einen Seelsorger sprechen wolle, müsse er einen Antrag stellen. Dann kämen die Seelsorger in die Zelle. „Die Gespräche sind vertraulich, für uns gilt auch das Beichtgeheimnis.“ Es gibt aber auch noch weitere Angebote. „Die meisten wollen über etwas anderes als den Alltag im Gefängnis sprechen“, sagt die Diakonin. So organisiert sie auch einen Philosophie-Gesprächskreis. Im Vordergrund stehe für sie jedoch immer die Seelsorge, „eine Selbstverständlichkeit im Auftrag Jesu“.