Beim „Dialog der Generationen“ ist über den Kalten Krieg, den Nato-Doppelbeschluss und vor allem über die Aktionen der Friedensbewegung im Filstal gesprochen worden: ein spannender Nachmittag für alle Beteiligten

Region: Andreas Pflüger (eas)

Göppingen - In den 1980er Jahren sind in Deutschland Hundertausende gegen das Wettrüsten der beiden Supermächte Sowjetunion und USA auf die Straße gegangen. Am 22. Oktober 1983 wurde das Filstal zum Zentrum der Friedensbewegung. Von Stuttgart bis Neu-Ulm und damit quer durch den Stauferkreis zog sich eine Menschenkette, die sich gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckraketen richtete. Auf den Tag genau 32 Jahre später hat sich der 16. Dialog der Generationen im Göppinger Bürgerhaus dieses Themas angenommen. Die Klasse 10 b der Hermann- Hesse-Realschule nutzte die Gelegenheit, um mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen – und aus erster Hand zu erfahren, was es mit dieser und mit vielen weiteren Aktionen auf sich hatte.

 

Zum Einstieg schauten sich Alt und Jung gemeinsam den Film „Unser Mut wird langen – nicht nur in Mutlangen“ an, der in eindrucksvollen Rückblenden über die Aktivitäten am dortigen Pershing-II-Raketenstandort, keine 20 Kilometer Luftlinie von der Hohenstaufenstadt entfernt, informierte. Die Blockaden durch Musiker und Senioren, Richter und Prominenten, aber eben auch durch die vielen ganz gewöhnlichen Menschen lieferten die Vorlage für ein angeregtes Frage- und Antwortspiel in kleinen Schüler-Gruppen. Dabei ging es um die konkret empfundene Bedrohung, um zivilen Ungehorsam, um die Sanktionen, die Teilnehmer von Seiten des Staates zu befürchten hatten, aber auch um die Schwierigkeiten, Aktivitäten, wie ebendiese Menschenkette, zu organisieren – in einer Zeit, in der es weder Handys noch Internet gab, wie einer der Schüler anmerkte.

Ist der Kalte Krieg wirklich vorüber?

An die Dramatik, die durch die US-Raketen-Stationierung entstanden war, erinnerte sich Christa Hell vom Stadtseniorenrat: „Wir wussten zwar um die Vernichtungskraft, haben aber erst viel später erfahren, dass wir wirklich am Rand eines Atomkriegs gestanden haben.“ 1990 sei dann davon gesprochen worden, dass der Kalte Krieg beendet sei. „Wenn man auf die vergangenen beiden Jahre blickt, können einem daran aber doch ernsthafte Zweifel kommen“, fügte sie hinzu.

Armi Roth-Bernstein, eine der Aktivistinnen in der Mutlanger Heide, gab sehr persönliche Einblicke in ihre damaligen Beweggründe. „Es war eine Befreiung, etwas zu tun und dem unsinnigen Machtdenken der Großen im Kleinen etwas entgegenzusetzen“, sagte sie. Die Aktionen seien zwar zum allergrößten Teil gewaltfrei gewesen. „Wir wussten aber, dass unser Tun Konsequenzen nach sich ziehen wird“, erklärte die frühere Mitarbeiterin der Göppinger Stadtbibliothek, die seinerzeit nur wegen ihrer Schwangerschaft einer Gefängnisstrafe wegen Nötigung entging.An die Menschenkette wiederum erinnerte sich Roth-Bernstein ebenso gerne wie Jutta Kalder. „Als sie um die Mittagszeit über eine Strecke von mehr als 100 Kilometern stand, war das ein echtes Glücksgefühl“, betonte die ehemalige Lehrerin des Heisenberg-Gymnasiums. Und Armi Roth-Bernstein ergänzte: „Nach einem Jahr Vorbereitung waren wir einfach nur froh, es geschafft zu haben und dabei auch noch viele Leute auf die Straße zu bringen, die sich mit ihren Ansichten ansonsten eher im Hintergrund gehalten hatten.“

„Live-Geschichtsstunde“ war ein Erlebnis

Für die Schülerinnen und Schüler, war die „Live-Geschichtsstunde“ derweil ein Erlebnis. „Es ist gut, mit Leuten reden zu können, die dabei waren“, sagte die 16-jährige Helena. Und ihre gleichaltrige Freundin Katja fand, „dass auf diese Weise viel mehr Emotionen rüberkommen“. Auch der 15 Jahre alte Denis konnte sich für das Thema begeistern: „Das kommt ganz nah an einen ran.“ Seine Kumpels Michael und Steven stellten fest: „Auf alle Fälle besser und eindrücklicher, als darüber zu lesen.“

Der Klassenlehrer Dirk Marmann unterstrich zum Abschluss, „dass mich dieser Nachmittag sehr ergriffen hat und ein Schmuckkästlein des Unterrichts darstellt“. Zudem sei es unbedingt notwendig, sich immer noch mit dieser Sache zu beschäftigen. „In Deutschland lagern ja offenbar immer noch Atomraketen. „Und wenn man sich überlegt, dass von Stuttgart-Vaihingen aus, wo einst die Menschenkette ihren Anfang nahm und heute die Eucom sitzt, nach wie vor Kriege gesteuert werden, ist das umso wichtiger“, fuhr er fort.