Die deutsche Bildungslandschaft soll digitaler werden. Doch viele Pädagogen, Wissenschaftler und Politiker haben ganz andere Sorgen, als das Schulheft der Schüler durch Tablet-PCs und Notebooks zu ersetzen.

Stuttgart - Jacob Bohmann ist Lehrer an einer Hamburger Schule und überzeugt davon, dass neue Technologien den Unterricht bereichern: „Smart-Boards setzen sich immer mehr durch in deutschen Schulen. Ich beobachte aber auch teilweise, dass Smart-Boards in den Schulen angeschafft und dann nicht genutzt werden. Viele Lehrer wissen einfach nicht so richtig, wie sie die digitalen Tafeln in ihren Unterricht integrieren sollen. Zum Teil scheitert es schon an der Bedienung.“

 

Aus diesem Grund steht der Junglehrer in diesem Jahr auf der Didacta in Stuttgart am Stand von Smart Technologies, einem der führenden Anbieter von Technologielösungen für das Klassenzimmer, und erläutert seinen Kollegen die Vorteile der digitalen Tafeln. „Das Interesse an interaktiven Medien ist sehr hoch. Die Didacta hat uns in diesem Jahr aber auch gezeigt, dass Bildschirmlösungen – sprich große, berührungsempfindliche Fernseher – als Tafelersatz inzwischen sogar beliebter sind als White-Boards mit ihren Projektoren“, berichtet Bohmann.

„Unsere Kinder wachsen in einer medialen Welt auf“

Auf den ersten Blick scheint es so, als ob die Digitalisierung der Bildung die Messe dominieren würde. So betonte Didacta-Präsident Wassilios Fthenakis schon in seiner Eröffnungsrede, dass das Internet die Organisation der Bildung völlig verändert habe und Bildungsprozesse zunehmend kommunikativ ablaufen. „Unsere Kinder wachsen in einer medialen Welt auf“, so Fthenakis. Dieser Entwicklung würde das deutsche Bildungssystem nicht gerecht und habe im Vergleich zu anderen Ländern Europas im digitalen Bereich einen „deutlichen Nachholbedarf “.

Bei den Podiumsdiskussionen, die die Didacta begleiten, wird indes schnell deutlich, dass die Pädagogen, Wissenschaftler und Politiker derzeit noch ganz andere Sorgen umtreiben, als die Schulhefte ihrer Schüler durch Tablet-PCs zu ersetzen – zum Beispiel die frühkindliche Bildung. Gerade in Städten sind gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher Mangelware. Dietmut Kucharz von der Goethe-Universität Frankfurt am Main führt dies auf ein historisch in Deutschland gewachsenes Defizit zurück: „Gymnasialer Bildung wird hierzulande seit jeher der höchste Wert beigemessen, was sich sowohl in der Ausbildung als auch in der Bezahlung der Lehrkräfte widerspiegelt. Das ist absurd, weil allgemein bekannt ist, wie prägend Bildung gerade in den ersten Lebensjahren ist.“

„Anerkennungsdefizit“ bei Erzieherinnen

Ihre Kollegin Iris Nentwig-Gesemann ergänzt: „Eben dieses Anerkennungsdefizit, verbunden mit der geringen Bezahlung, führt dazu, dass wir nach wie vor eine zu geringe Akademisierungsquote im Bereich der frühkindlichen Bildung haben.“ Deutschlandweit gibt es inzwischen rund 60 Studiengänge, die Kindertagesstätten mit multiprofessionellen Teams bestehend aus Erzieherinnen und Kinderpädagogen versorgen sollen – aber nur wenige Absolventen. Und auch innerhalb der Studiengänge gibt es Probleme: „Vier Tage Theorie und ein Tag in der Kita, um diese anzuwenden: das ist einfach zu wenig“, klagt ein Student, der die Diskussion mitverfolgt hat.

Gute Stimmung bei den Ausstellern

Ungetrübt ist die Stimmung dagegen bei den Ausstellern: „Wir sind absolut zufrieden mit den ersten drei Tagen. Wir spüren, dass die Pädagogen sehr interessiert sind, und freuen uns vor allem auf den Samstag, an dem dann auch mehr Eltern und Schüler die Didacta besuchen“, berichtet Cornelsen-Verlagssprecher Klaus Holoch. Auch am Stand von Baden-Württembergs Kultusministerium sieht man keinen Grund zur Klage: „Der Dienstag lief etwas schleppend an, aber inzwischen ist der Besucherandrang hoch. Wir freuen uns über die zahlreichen interessierten Fachbesucher – vor allem unser gläsernes Klassenzimmer steht bei ihnen hoch im Kurs“, so Hermann Tasci vom Landesinstitut für Schulentwicklung. Die angestrebte 100 000-Besucher-Marke wird die Didacta in diesem Jahr voraussichtlich allerdings nicht knacken, wie Messesprecherin Anja Bräutigam am Donnerstag vermutete. „Der Andrang war geringer als erwartet. Genaue Zahlen liegen uns aber erst am Samstag vor.“