Die Partei AfD kommt mit Wählern in Sachsen nur schwer ins Gespräch. Das muss ihre Chancen bei den Landtagswahlen am 31. August nicht schmälern. Ihr Einzug in das Landesparlament ist wahrscheinlich.

Leipzig - In Leipzig-Grünau befindet sich die größte Plattenbausiedlung der aufstrebenden Großstadt. Sie stammt unverkennbar aus DDR-Zeiten. 40 000 Menschen wohnen in diesem Stadtteil. Sie kommen auf dem Weg zu ihren Wohnungen an Läden mit der Aufschrift „Mäc Geiz“ und Imbissen mit Holzbänken vorbei. In Grünau hängen auch viele Wahlplakate der rechtsextremen NPD, die auf die Landtagswahl in zehn Tagen hindeuten. An diesem Abend kommt Frauke Petry, die 39-jährige Spitzenkandidatin der sächsischen Alternative für Deutschland (AfD), ins Vereinsheim „Völkerfreundschaft“. Ungefähr 50 Stühle sind aufgereiht, Plakate mit Wahlslogans wurden an die Wand gelehnt. Zur Vorbereitung der Wahlkampfauftritte bleibt der jungen Partei wenig Zeit, denn sie will in vielen sächsischen Städten und auf dem Land präsent sein. „Wir fangen wie immer mit Verspätung an“, begrüßt der AfD-Generalsekretär Uwe Wurlitzer die Zuhörer. Dass es erst 20 Minuten später losgeht, liegt daran, dass die AfD-Leute auf Nachzügler hoffen. Doch es finden sich nicht mehr als 20 Leute ein, die Vorstandsmitglieder der Partei mit eingerechnet.

 

Der Wahlkampf in Sachsen schleppt sich dahin, was die AfD vor allem auf die Urlaubszeit zurückführt. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat die Wahl auf den 31. August, den letzten Ferientag, gelegt. Dass es in der Urlaubszeit noch schwieriger als sonst ist, Menschen auf Politik anzusprechen, erlebt auch die AfD. Die Spitzenkandidatin Frauke Petry wollte zu Wochenbeginn Wahlkampf im kleinen Ort Kohren-Sahlis machen, der von Leipzig etwa eine Autostunde entfernt liegt. Doch weil auf den Straßen kaum Menschen unterwegs waren, musste Petry ihren Auftritt kurzfristig absagen. Sie nimmt es gelassen: Das seien die Mühen des Wahlkampfes.

Wahlkampf zu Lande und in der Luft Foto: dpa-Zentralbild

An diesem Abend spricht Petry vor allem über Bildung. Die promovierte Chemikerin und Mutter von vier Kindern ist in der männergeprägten AfD eine Ausnahmeerscheinung. Sie ist nicht nur redegewandt und schlagfertig, sondern hat bei Bundesparteitagen auch bewiesen, dass sie chaotische Debatten in Bahnen zu lenken weiß. Die Bildungsthemen liegen ihr am Herzen. Petry will die Drei-Kind-Familie zum Leitbild machen, das Familienwahlrecht einführen, 1500 zusätzliche Lehrer in Sachsen einstellen und eine „Disziplin-Offensive“ an Schulen starten. Wie das alles umgesetzt werden soll, bleibt zwar offen, doch das stört in Wahlkampfzeiten niemanden. Petry ist dabei, die eurokritische Partei breit aufzustellen.

Über den Euro wird im sächsischen Landtagswahlkampf kaum gesprochen. Auf ihren Plakaten umwirbt die AfD stattdessen den Mittelstand. Außerdem sollen zusätzliche Polizisten angestellt werden, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Die junge Partei will Themen ansprechen, die von anderen Parteien vernachlässigt worden sind. Doch die anderen stellen sich schnell um.

Selbst die Regierungspartei CDU sieht angesichts der verbreiteten Angst vor Einbrüchen und Drogen Handlungsbedarf. Petry ist zufrieden, dass die AfD wie bei der Sicherheitspolitik Themen gesetzt habe. Ähnlich sei das auch bei der Zuwanderung. Die AfD will erreichen, dass in der Einwanderungspolitik stärker darauf geachtet wird, was dem Land nützt. Die AfD sieht Kanada mit seiner gezielten Einwanderungspolitik als Vorbild. In der Asylpolitik spricht sich die AfD dafür aus, die Zahl der Asylbewerber zu senken. Petry, die mit einem Pfarrer verheiratet ist, formuliert sachlich und vermeidet scharfe Töne. Es sei unchristlich, zu viele Asylbewerber ins Land zu lassen und sie zu kasernieren, sagt Petry. In die rechte Ecke will sie sich nicht stellen lassen.

Frauke Petry strampelt sich ab. Foto: dpa-Zentralbild

Genau dieser Verdacht begegnet der AfD oft. Als Petry tags darauf Handzettel in der Fußgängerzone von Markkleeberg bei Leipzig verteilt, kommt eine junge Frau auf den AfD-Stand zu: „Ich finde es schlimm, dass sie hier Werbung machen dürfen“, sagt die Frau aufgewühlt. „Sie sind eine rassistische Gruppe.“ Petry reagiert auf die Vorwürfe ruhig und versucht, mit der Dame ins Gespräch kommen. Doch die Kritikerin wendet sich schnell wieder ab. „Ich finde es schade, dass sich manche Leute andere Meinungen nicht einmal anhören“, sagt Petry. Eine Diskussion sei so nicht möglich.

Beim Straßenwahlkampf in der Fußgängerzone hält sich das Interesse der Passanten in Grenzen. Nur wenige ältere Menschen, die einkaufen, bleiben stehen und hören kurz zu. Auch die AfD-Politiker geben sich zurückhaltend, verschanzen sich die meiste Zeit über hinter ihrem Stand. Die Spitzenkandidatin ist ohnehin fast die ganze Zeit damit beschäftigt, Interviews zu geben. Mit den Bürgern kommt die Partei an diesem Vormittag kaum ins Gespräch. Immerhin erfährt die AfD auch Zuspruch. Eine ältere Frau eilt heran und fragt, ob sie einen Stapel mit Wahlprogrammen mitnehmen dürfe. Sie bezeichnet sich als Sympathisantin und erzählt, sie habe einen Marktstand und werde dort die Wahlwerbung auslegen.

Petry lässt sich vom geringen Interesse nicht irritieren. Für sie ist es inzwischen der dritte Wahlkampf und sie sagt, von der Beteiligung an Wahlveranstaltungen könne man nicht viel ableiten. Vor der Europawahl im Mai hatte die AfD zu einer Diskussionsrunde im sächsischen Bautzen eingeladen. Als niemand gekommen sei, sei sie „schwer frustriert“ gewesen, sagt Petry. Bei der Wahl holte die AfD in Bautzen dann ein zweistelliges Resultat. Die AfD ist eine Protestpartei.

Der Ministerpräsident und seine Herausforderer Foto: dpa-Zentralbild
Auch wenn der Wahlkampf nur schwer auf Touren kommt, gibt sich die AfD selbstbewusst. In den Umfragen liegen die Euroskeptiker in Sachsen bei mehr als sechs Prozent. „Unser Hauptziel ist, in den Landtag zu kommen“, sagt Petry. Dass dies gelingt, halten die meisten Demoskopen für sehr wahrscheinlich. Sachsen ist eine Hochburg, bei der Bundestagswahl im September 2013 schnitt die AfD hier mit 6,8 Prozent überdurchschnittlich ab. Intern hatte die Partei sogar das Ziel ausgegeben, ein zweistelliges Ergebnis sei machbar. Das klingt inzwischen bescheidener. Die Spitzenkandidatin räumt ein, dass das gute Abschneiden bei der Europawahl nicht automatisch auf Landtagswahlkämpfe übertragen werden könne. „Wir werden vor allem als Partei mit europäischen Themen wahrgenommen.“ In der Landespolitik werde die junge Partei ihre Kompetenz erst noch unter Beweis stellen. Der Einzug in den Dresdner Landtag soll der Auftakt zu einer Erfolgsserie werden. Bisher war die AfD bei der Landtagswahl in Hessen vor knapp einem Jahr angetreten. Damals scheiterte die Partei an der Fünfprozenthürde. Der Einzug ins sächsische Parlament soll Schub für die Wahlkämpfe in Thüringen und Brandenburg geben, wo im September gewählt wird. Über die ostdeutschen Landtage will die AfD stärker in der deutschen Politik mitmischen. „Dann wird man uns nicht mehr totschweigen können“, sagt Petry. Als sie diesen Satz sagt, ist sie von einer Reporterschar umgeben.

Wie schnell die AfD aufgestiegen ist, wird auch daran deutlich, dass sie im Landtagswahlkampf als möglicher Koalitionspartner genannt wird. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) schließt eine Koalition mit der AfD jedenfalls nicht aus. Dass sich die junge Partei an der nächsten Landesregierung beteiligt, glaubt Petry dennoch nicht. „Wir brauchen noch Zeit, um uns zu etablieren“, sagt sie. Natürlich werde die Partei bei einer Offerte nicht von vornherein Nein sagen. „Wenn Herr Tillich unsere Forderungen erfüllt, können wir reden“, sagt Petry. Das sei unwahrscheinlich.

Die zielstrebige Frau will nichts überstürzen. Sie hat ohnehin privat einiges um die Ohren. Noch ist Petry Geschäftsführerin eines Betriebs mit sieben Mitarbeitern, der Reifenfüllungen herstellt. Nachdem das Unternehmen in Konkurs gegangen war, musste Petry Privatinsolvenz anmelden. Der Betrieb fand neue Geldgeber, das private Insolvenzverfahren ist aber nicht abgeschlossen. Petry blendet das zurzeit aus. Dass eine Unternehmerin scheitern könne, liege in der Natur der Sache, meint sie. „Ich habe das alles offengelegt: Die Wähler wissen, worauf sie sich einlassen.“