Alle, die in Bayerns Schulpolitik etwas zu sagen haben, wollen das G9 zurück. Nur die Regierenden eiern herum. Ministerpräsident Horst Seehofer hat das Gymnasium jetzt zur Chefsache gemacht, aus Angst vor dem Zorn der Wähler.

München - Was bei der Diskussion über die Gestalt des bayerischen Gymnasiums herauskommen werde, meinte Finanzminister Markus Söder neulich, das wisse er auch nicht so genau: G8, G9, G9-plus . . . „Ein G20 vielleicht?“, frotzelte einer in der Runde. „Na, das ist was ganz anderes“, knurrte Söder zurück.

 

Wenigstens das ist also geklärt. Alles andere harrt immer noch einer Antwort. Selbst ein Krisentreffen von Staatsregierung und CSU-Landtagsfraktion brachte kein Ergebnis, sondern erteilte wieder einmal nur einen Prüfauftrag: Bis Ostern erwartet man von Kultusminister Ludwig Spaenle ein Papier mit „Eckpunkten“. Und Ministerpräsident Horst Seehofer, der das Thema angesichts der bevorstehenden Wahlen – im Bund dieses Jahr, in Bayern 2018 – möglichst schnell vom Tisch haben will, schäumt vor Ungeduld.

Denn die verlangten Eckpunkte gibt’s längst: Alle, die in Bayerns Schulpolitik institutionell was zu sagen haben – Lehrer, Eltern, Kommunen – sind unglücklich mit der achtjährigen Variante des Gymnasiums, welche unter Edmund Stoiber (CSU) 2003 eingeführt wurde. Das geschah dermaßen überfallartig, sogar für die CSU-Fraktion im Landtag, dass die Wunden dieses selbstherrlichen Regierungsstils bis heute nicht verheilt sind.

Das G8 – ein Flickwerk

Das Gemurre damals schwoll in Bayern bis zur Landtagswahl 2008 so an, dass die absolute Mehrheit der CSU darüber baden ging. Diverse Reparaturen am G8 waren die Folge, das Flickwerk heute begeistert niemanden. Auch ist die erste praktische Abstimmung zur Reform des „Turbogymnasiums“ eindeutig ausgefallen: An den 47 Projektschulen, die seit 2015 eine verlängerte „Mittelstufe Plus“ anbieten, haben sich fast 70 Prozent der Schüler genau für diesen Modellversuch entschieden – und damit faktisch für eine neunjährige Gymnasialzeit. Gerechnet hatten die Politiker damit, dass nur ein Drittel der Schüler diese entspanntere Variante wählen würde.

Lehrer, Schulleiter und Eltern verlangen heute mit Dreiviertel- oder noch stärkeren Mehrheiten rundweg eine Rückkehr zum G9. Allein die Regierenden eiern herum, weil sie – so sagt man– nicht zugeben wollten, dass das G8 letztlich ein Flop sei und weil sie damit einen Weg beschreiten müssten, den die Opposition im Landtag mit diversen Gesetzesanträgen schon begangen hat. Dann würde die mit wiedergewonnener absoluter Mehrheit regierende CSU ja eingestehen, dass auch SPD, Grüne und Freie Wähler einmal recht haben könnten. Diese Schmach tut sich eine CSU nicht an – niemals.

Keiner will als Wendehals gelten

Im Juli vorigen Jahres verfiel die Landesregierung in ihrer Not auf die Idee, die Entscheidung auf die einzelnen Gymnasien abzuwälzen und es ihnen – à la Hessen – freizustellen, ob sie G8 oder G9 anbieten wollten. Das sei „die feigste aller Möglichkeiten“, schallte es aus den Schulen zurück; und in der Fraktion ging das Murren wieder los, weil dieser „Kompromiss“ allein zwischen Ministerpräsident und Kultusminister ausgehandelt worden war und weil die Abgeordneten fürchteten, genauso überrollt zu werden wie von Stoiber im Jahr 2003.

Danach schmollte jeder auf seine Weise. Kultusminister Spaenle hielt sich mit eigenen Initiativen zurück, weil er sagte, eine Entscheidung liege beim Landtag, also bei der CSU-Fraktion mit ihrer absoluten Mehrheit. Die Fraktion wiederum wollte sich nicht entscheiden, weil sie die Bezeichnung „Wendehälse“ nicht auf sich bezogen sehen mochte. Außerdem gibt’s in der Fraktion durchaus unterschiedliche Meinungen zur Sache, zu Spaenle sowieso. Und die Abgeordneten wollten diesmal eine Entscheidung „auf Dauer“. Sie wollten sie so lange wie möglich ausdiskutieren, sonst könnte das Volk ja wieder meckern.

Und Seehofer schaute zu. Vor ein paar Wochen allerdings stellte er „helle Aufregung“ im Land über die G8/G9-Frage fest, kanzelte seinen Kultusminister ab und erklärte das Thema zur Chefsache.

Jetzt hat er die CSU auch noch auf eine Weise düpiert, wie sie in Bayern lange nicht mehr gesehen worden ist. Zur Verblüffung der Abgeordneten setzte Seehofer einen „Kabinettsausschuss“ zur Schulreform ein und erteilte diesem einen eindeutigen Auftrag: Rückkehr zum G9 mit individuellen „Überholspuren“ für schnelle Schüler. Nichts mehr von parallelen G8-/G9-Zügen an den Schulen oder von deren Entscheidungshoheit. Und die Fraktion vernimmt erstaunt, dass die Entscheidung gar nicht mehr offen ist. Was sie befürchtet hat, ist eingetreten: Seehofer hat sie ausgebootet.

Nur eine Frage ist in Bayern keine. 1000 neue Lehrer wird man brauchen für das neue G9; ein paar Hundert Millionen Euro sind für Baumaßnahmen nötig. Aber Finanzminister Söder, der soeben neue Rekordeinnahmen an Steuern vermeldet, sagt: Was die Politik beschließe, das werde auch bezahlt. Wenn’s nicht auf ein „G20“ hinausläuft natürlich. Aber das ist ja sowieso was ganz anderes.