Der Fußball-Weltverband Fifa sorgt rigoros für Anstand am Spielfeldrand: Wer „Motherfucker“ brüllt, ist neuerdings dran.

Stuttgart - Die Ethikbosse der Fifa haben ihre hohen moralischen Ansprüche dieser Tage wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt und den mexikanischen Nationaltrainer Juan Carlos Osorio knallhart für sechs Spiele gesperrt – also für den kompletten „Gold Cup“, die amerikanische und mittelamerikanische Kontinentalmeisterschaft.

 

Nein, es ging nicht um Korruption oder sonstige Kavaliersdelikte, die man womöglich mit einem mahnenden Augenzwinkern hätte abhaken können – die Sittenwächter des Fußballs knöpften sich Osorio vielmehr wegen seiner lodernden Leidenschaft im Spiel um Platz drei neulich beim Confed-Cup vor. Schon zuvor, gegen Neuseeland, hatte er etliche verbale Marschflugkörper gezündet, und vom Linienrichter über den vierten Schiedsrichter bis zum gegnerischen Trainer durfte sich jeder angesprochen fühlen bei Osorios wiederholt auf voller Breite abgefeuertem Brüller: „You Motherfucker!“

Es tat ihm sichtlich gut.

So ein Aggressionsabbau soll in Einzelfällen mehr als gesund sein, fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Im Übrigen folgte Osorio einer liebgewonnenen mexikanischen Tradition, denn schon sein Vorgänger Miguel Herrera hatte, wenn Not am Mann war, mit Vorliebe die Nerven verloren: Einem Reporter von „TV Azteca“ sprang er mit dem Hintern ins Gesicht und anschließend an die Gurgel. Auch Herrera fühlte sich danach besser – wurde aber dummerweise gefeuert.

Rustikale Redewendungen sind tabu

Spätestens nach dem jüngsten Fifa-Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Osorio steht fest: Die emotional veranlagten Trainer dürfen sich künftig getrost als Angehörige einer verfolgten Minderheit betrachten. Zu spüren bekommen hat den frischen Gegenwind schon der englische Exstar Paul Ince als Trainer des FC Blackpool: Sein tätlicher Angriff auf den vierten vierten Offiziellen in Tateinheit mit einem Flaschenwurf und (jetzt bitte kurz weghören) dem feurigen Grußwort „Flachwichser“ gegenüber dem Schiedsrichter reichten für fünf Wochen Zwangspause. Kein gutes Ende nahm auch David Moyes, der im Frühjahr kurz vor seiner Entlassung beim FC Sunderland der BBC-Reporterin Vickey Sparks für eine kritische Frage mit der Antwort dankte: „Das nächste Mal solltest Du ein bisschen aufpassen, dass Du nicht einen Schlag abkriegst, auch wenn Du eine Frau bist.“ Rustikale Redewendungen dieser Art werden ab sofort im Keim erstickt. Falls beispielsweise der Alt-Bayer Thorsten Fink als Trainer von Austria Wien nochmal wie vergangenen Mai in Bild und Ton zwei österreichische TV-Reporter beleidigen sollte („Sie kommen aus dem Skisport, Sie haben ja keine Ahnung!“), muss er nächstes Mal wegen Diskriminierung eines Bergvolks vermutlich sechs Wochen lang „sorry“ sagen. Wutreden werden jedenfalls nicht mehr als Narrenfreiheit geduldet, heutzutage würde Rudi Völler für seinen Zornausbruch gegen Netzer, Delling und Weizenbier-Waldi („Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören!“) in einem Heim für Schwererziehbare landen.

Oder in China. Roger Schmidt ist neulich dorthin geflüchtet. Der Ex-Trainer von Bayer 04 Leverkusen arbeitet jetzt beim Club Beijing Guoan und hat vergangenes Wochenende gleich mit einem Sieg begonnen, er lacht wieder. Das war in der Bundesliga nicht mehr so – letztes Jahr kosteten ihn sein versuchter Spielabbruch gegen Borussia Dortmund und eine virtuos vorgetragene Beleidigung des Hoffenheimer Kollegen Julian Nagelsmann („Spinner!“) alles in allem fünf Spiele Sperre und 35 000 Euro Geldstrafe. Spätestens da war klar: Vorbei sind die neckischen Zeiten am Spielfeldrand, als Jürgen Klopp noch dem vierten Schiedsrichter oder dem Bayern-Sportchef Matthias Sammer mit seiner spitzen Baseballkappe notfalls ungestraft ein Auge ausstechen durfte.

China lockt die Trainer

Der Trend galoppiert frontal gegen die Trainer, und angefangen hat alles mit den Coaching-Zonen. Obwohl die freilaufenden Hühner bekanntlich die glücklichsten sind und die dicksten Eier legen (oft sogar mit Doppeldotter), wurden die Trainer plötzlich von den Regelwächtern in dieses kleine, menschenunwürdige Rechteck vor der Bank gezwängt, hart entlang an der Freiheitsberaubung. Als nächstes kamen die Lippenleser. Sie machen den Trainern auch noch das Reden zur Qual, jedenfalls wispern die meisten ihre Anweisungen heutzutage sicherheitshalber nur noch durch die Faust und die offene Handmuschel. Keiner traut sich mehr was, den Bundestrainer sah man unlängst beim Tuscheln mit Co-Trainer Thomas Schneider – und ein Gesichtsausdrucksanalyst deutete hinterher an, dass der Dialog so verlief:

Schneider: „Sag mal, Jogi, ist heute Samstag?“

Löw: „Nein, Sonntag – aber das hast Du jetzt nicht von mir.“

Wer sich ungefiltert äußert, verbrennt sich den Mund, keiner kann mehr Dampf ablassen, und immer mehr Trainer sind reif für das von Pep Guardiola eingeführte schöpferische Sabbatjahr. Wer Thomas Tuchel nach seiner Dortmunder Leidenszeit sieht, fühlt sich sogar erinnert an Hape Kerkeling – ein Hörsturz und die Entfernung seiner Gallenblase sollen bei dem der Auslöser gewesen sein für seine Pilgerreise nach Santiago de Compostela („Ich bin dann mal weg“).

Doch für immer mehr Trainer führt der Jakobsweg inzwischen nach China, denken wir nur an Felix Magath, Capello, Eriksson, Lippi, Cannavaro, Scolari oder Roger Schmidt. Der schwärmte dort anlässlich seiner Vorstellung vergangene Woche: „Ich habe mich sofort in Peking verliebt“ – wobei durch den Schleier des Smogs zunächst nicht erkennbar war, ob es überhaupt Schmidt war.

Von selbst beantwortet sich an der Stelle die Frage, warum sich plötzlich auch viele Trainer in dieses Land verlieben: Nur dort können sie noch ungestraft Dampf ablassen – in der dicken Luft von Peking juckt es keinen, wenn zusätzlich noch Roger Schmidt für ein bisschen Stunk sorgt.