Was macht den baden-württembergischen Ministerpräsidenten zu einem ungewöhnlichen Politikertypus? Oder wer? Ein Blick in den Beraterkreis von Winfried Kretschmann.

Stuttgart - Er hat es wieder getan. Öffentlich hat sich Winfried Kretschmann gegen Positionen seiner Partei gestellt. Nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal. Dem grünen Ministerpräsidenten dürfte das öffentliche Lob für Angela Merkel eher genutzt als geschadet haben – zumindest außerhalb seiner Partei. Sein jüngster Fernsehauftritt passt ins Bild.

 

Das Bild zeichnet allen voran Rudi Hoogvliet. Der 58 Jahre alte gebürtige Holländer ist ein Kommunikationsprofi. Er weiß Kretschmann in Szene zu setzen. Eigentlich scheut der Sigmaringer mediale Großereignisse. Er sei halt kein Medientyp, klagte Kretschmann regelmäßig. Doch Hoogvliet weiß, welche Formate zu Kretschmann passen. Es sind die, in denen Kretschmanns Fähigkeit, die langen Linien zu ziehen, zur Geltung kommt. In Talkshows mit Zwei-Minuten-Statements ist der grüne Hobbyphilosoph fehl am Platze. Seine Stärke ist das direkte Gespräch. Hoogvliet hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kretschmanns Stärken zu stärken und die Schwächen möglichst wenig sichtbar werden zu lassen. „Man kann niemanden verändern“, das weiß der Medienprofi genau.

Vernetzter Strippenzieher

Hoogvliet kennt Kretschmann seit den 80er Jahren. Da arbeitete Hoogvliet schon für die Landtagsfraktion und für Fritz Kuhn - nicht gerade ein Intimus von Kretschmann. Die Zusammenarbeit mit Kretschmann begann, als dieser 2002 Fraktionschef wurde. Am Anfang fremdelten der Kommunikator, der in Botschaften denkt und der Sinnierer. Aber in all der Zeit hat Hoogvliet kaum Widersprüche in Kretschmanns Auftreten erkennen können. „Diese Glaubwürdigkeit zu befördern, das ist das A und O“, sagt der Politikwissenschaftler. Denn die Leute halten Glaubwürdigkeit für ein seltenes Gut. Ehe er Regierungssprecher in der Villa Reitzenstein wurde, zog Hoogvliet regelmäßig bei den Bundestagswahlkampagnen der Grünen in Berlin die Fäden. Er organisierte die Wahlkämpfe 2002, 2005 und 2009. In der Stuttgarter Fraktion ließ er sich jeweils für ein Jahr beurlauben, „um in Berlin auf Montage zu gehen“.

Auch 2010, beim ersten Anlauf von Joachim Gauck auf das Bundespräsidialamt, war Hoogvliet in der Kampagne dabei. Noch heute reibt er sich die Hände in Erinnerung daran, dass Gauck es wider Erwarten gegen Christian Wulff bis in den dritten Wahlgang geschafft habe. Dass Hoogvliet in Berlin extrem gut vernetzt ist, „das hilft sehr viel“, loben führende Landesgrüne.

Spannung vor den Parteitreffen

Was für Kretschmann gut ist, ist nicht immer für die Grünen gut. Davon weiß Theresa Schopper ein Lied zu singen. Die Staatssekretärin in der Villa Reitzenstein ist für den guten Draht zu den Grünen zuständig. Das ist nicht immer einfach, ist Kretschmann doch einer, über den die Grünen „schon immer gestolpert sind. Schopper war Landesvorsitzende der bayerischen Grünen und Abgeordnete im bayerischen Landtag. Besonders spannende Zeiten erlebt die politische Koordinatorin vor den Bundesdelegiertenkonferenzen der Grünen. Die Berater wissen nie so recht, ob der Realo-MP bei den Treffen rasiert oder gleich einen Kopf kürzer gemacht werde. Beim Parteitag zu den sicheren Herkunftsstaaten war die Besorgnis unnötig. Wie es diesmal ausgeht ist offen, Zwist droht unter anderem wegen der Vermögenssteuer, wegen Kretschmanns Äußerungen zu Merkel als Kanzlerkandidatin und wegen der Debatte um eine rot-rot-grüne Koalition.

Mit Hoogvliet ist sich Schopper einig, dass sich Kretschmann nicht verbiegen lässt. Gerade das macht Winfried Kretschmann in den Augen seiner Berater aus, seine hohe Authentizität, ein klares Wertekonzept, eine klare Verortung. Für die Spindoctors heißt das, dass er durchaus nicht immer den von ihnen aufgezeigten Alternativen folgt.

Die 55-Jährige Schopper soll den Kontakt zwischen der Regierungszentrale, der Landtagsfraktion und der Landespartei pflegen, dabei ist sie gar nicht von hier. Führende baden-württembergische Grünen sehen Kretschmanns Import aus dem Allgäu als den lebenden Beweis dafür, „dass Kretschmann die klassische Parteisozialisation fehlt“.

Kriminologin als Kontaktperson

Doch Schopper weiß, wie die Partei tickt und Kretschmann braucht jemanden, der das Vertrauen der Partei genießt. Die Kriminologin hat die Aufgabe von der früheren Staatsministerin und ehemaligen baden-württembergischen Grünenvorsitzenden Silke Krebs übernommen. Schopper kennt Kretschmann von Treffen des Parteirats der Bundesgrünen. Sie kam vor zwei Jahren als Grundsatzreferentin in die Villa Reitzenstein, sie tritt ausgleichend und vermittelnd auf. Vor den Koalitionstreffen telefoniert sie die Parteispitzen zusammen, zur Fraktion hält sie regelmäßig Kontakt. Obwohl sie im Staatsministerium auf einem Flur residieren, hält Schopper zusätzlich jede Woche einen Jour fixe mit dem Staatsminister Klaus-Peter Murawski. Selbst der selbstsichere Nürnberger nehme von Schopper gelegentlich einen Hinweis an, wenn sich eine seiner Positionen so gar nicht mit grünen Überzeugungen vereinbaren lasse, heißt es im Staatsministerium anerkennend über die Staatssekretärin.

Der wahre Vertraute

Klaus-Peter Murawski darf von allen engen Beratern Kretschmanns als der wahre Vertraute des Regierungschefs gelten. Der frühere Stuttgarter Bürgermeister hält dem Ministerpräsidenten den Rücken frei. Er entscheidet – manchen zu schnell, nicht wenigen zu selbstherrlich. „Murawski regiert das Land wie der schwarze Geist von Hamlets Vater.“ Das mutmaßt der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke im Landtag öffentlich. Der Anthroposoph Klaus-Peter Murawski („KPM“), wie stets in Schwarz gekleidet, lehnt sich, die Arme vor der Brust verschränkt, lächelnd zurück. „Dieses Sitzungsprotokoll lässt sich Murawski rahmen, das geht ihm runter wie Öl“, tönen die Exregierungsmitglieder aus den Reihen der SPD und spielen darauf an, dass „KPM“ nicht frei von Eitelkeiten ist.

Ob „KPM“ wie der Geist, der Hamlet zur Rache anstiftete, das Handeln Kretschmanns grundsätzlich bestimmt, ist unbestätigt, aber tatsächlich leitet er zumindest die Alltagsgeschäfte der Landesregierung. „KPM regiert vor sich hin“, heißt es aus Kabinettskreisen. Er war schon seit 2011 wichtig als Chef der Staatskanzlei und kam im Mai 2016 zu noch größeren Ehren als Staatsminister. Er teilt mit dem Ministerpräsidenten nicht nur den Geburtstag am 17. Mai (allerdings ist er zwei Jahre jünger), er bedient ganz die bürgerliche Seite des Regierungschefs. Mit den Grünen habe der gebürtige Erfurter eigentlich nichts am Hut, konstatieren führende Parteimitglieder. Er ist der CDU-Versteher, in einem Maß, das vielen Grünen viel zu weit geht. Regelmäßig trifft „KPM“ sich mit Julian Würtenberger, dem Amtschef und Martin Jäger, dem Staatssekretär, in Thomas Strobls Innenministerium. So schlägt er eine wichtige Brücke zum neuen Koalitionspartner der Grünen. Und selbst die, die ihn nicht mögen, erkennen an, Murawski sei ein herausragender Politmanager.

Niedersache als Berliner Außenposten

Den Beraterbund ergänzen Volker Ratzmann und Florian Hassler. Ratzmann ist Kretschmanns Statthalter in Berlin. Er kam 2012 als bundespolitischer Koordinator für den grünen Teil der Landesregierung in die Landesvertretung. Jetzt soll er als Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes beim Bund für Kretschmann in Berlin die Kastanien aus dem Feuer holen. Die Grünen haben in den Ländern an Einfluss gewonnen. Elf Länder kommen inzwischen zum „G-Kamin“, den Ratzmann koordiniert. Der 56-jährige Jurist aus Niedersachsen stehe Kretschmann nicht unbedingt persönlich sehr nahe, heißt es in Grünen-Kreisen, auch den baden-württembergischen Grünen nicht, aber er bespiele die Berliner Bühne gut.

Fußballer im Taktikstab

Ganz nah beim Ministerpräsidenten ist dagegen Florian Hassler, der Büroleiter. Der Fußballfreund ist von allen in Kretschmanns Hintermannschaft am meisten mit dem Regierungschef unterwegs. Er kam als ehemaliger Referent der Europaabgeordneten Heide Rühle zu Kretschmann. Der Maichinger (Jahrgang 1977) hätte 2011 in den Bundestag nachrücken können. Er zog es vor, Büroleiter bei Kretschmann zu werden und avancierte zu dessen rechter Hand und Mitglied im Taktikstab. Hassler verfüge sowohl über Kontakte nach Europa als auch in die Bundestagsfraktion und den grünen Bundesvorstand. Das stärkt seinen Einfluss und macht ihn zum Teil des engsten Beraternetzwerks.