Im Wahlkreis I geht Johanna Tiarks bei der Bundestagswahl für die Linke ins Rennen. Mit ihren 35 Jahren gehört sie zu den jüngeren Bewerbern.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Straßenwahlkampf muss man mögen. Wer den potenziellen Wählern seine Anliegen und Wahlbroschüren anträgt, muss damit rechnen, auch mal brüsk abgewiesen zu werden. Johanna Tiarks geht die Sache entspannt an. Freundlich reicht sie den Passanten die Wahlkampfwerbung („Sozial. Gerecht. Frieden. Für alle!“). Wer nicht will, kriegt trotzdem ein Dankeschön und „einen schönen Tag“ gewünscht.

 

Auf dem Marienplatz ist an diesem Samstagmorgen noch nicht viel los, das Interesse ist überschaubar. Die Reaktionen sind verschieden. „So ist’s recht“, sagt eine ältere Dame in schwarzem Dress mit roter, modischer Brille, greift nach dem Infoblatt und steigt hinab zur Stadtbahnstation. Ein junger Mann mit zwei bulligen Mastinos Napoletano im Schlepptau schimpft in Richtung der Kandidatin über die Frauenquote.

Mit roter Bluse und roten Ohrringen

Dass Johanna Tiarks für die Linke antritt, erkennt man nicht nur an der Aufschrift des Sonnenschirms am Stand. Die 35-Jährige trägt eine Art Wahlkampf-Look: grellrote Bluse, Hängeohrringe mit roten Kugeln, dazu, wenn sie unterwegs ist, eine rote Umhängetasche. Dabei ist sie noch gar nicht so lange in der Partei, seit etwa vier Jahren. Dass sie sich für andere einsetzen will, hat sie früh beschlossen, aber nicht aus politischen Motiven. Gesundheits- und Krankenpflegerin hat Johanna Tiarks deshalb gelernt. In der Zeit in der Onkologie des Katharinenhospitals hatte sie „keinen Kopf für Politik“. Sie musste auch, alleinerziehend, ihren heute neun Jahre alten Sohn versorgen. Das war, „positiv gesagt, herausfordernd“.

Richtung Politik ging Johanna Tiarks erst während ihres Pflegemanagement-Studiums in Esslingen, wo sie auch den Master in Pflegewissenschaften machte. Sie engagierte sich im Berufsverband für Pflegeberufe. Bei der Suche „nach einer Partei, die die Pflege anständig vertritt“, sei sie zur Linken gekommen, sagt die 35-Jährige. Die habe dazu „das inhaltsreichste Programm“. Heute ist Johanna Tiarks Lehrerin und stellvertretende Leiterin der Altenpflegeschule des Kolping-Bildungswerks.

Kinder fördern, nicht Eltern

Das Spektrum ihrer politischen Themen hat sich erweitert. Eine „solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung“, in die etwa auch Beamte und Politiker einzahlen, steht oben auf der Liste. Als Linke ist sie „für eine Vermögens- und eine gerechtere Erbschaftssteuer“. Als Teil einer „Ein-Eltern-Familie“, wie sie sagt, würde sie im Steuerrecht das Ehegattensplitting abschaffen: „Man sollte Kinder fördern, nicht Eltern.“

Als das Gespräch auf den heute so beliebten Marienplatz kommt, schaut sich Johanna Tiarks um und sagt in kritischem Ton: „Die Gentrifizierung hat hier so stark zugeschlagen, das es sich der Normalbürger gar nicht mehr leisten kann, hier zu wohnen.“ Und sie fügt hinzu: „Meine Freunde ziehen immer weiter raus. Wir brauchen eine Mietpreisbremse, die hält, was sie verspricht. “ Aber Themen wie diese werden im Straßenwahlkampf diesmal eher wenig debattiert. „Es finden keine Programmdiskussionen statt“, hat die Kandidatin festgestellt. Dafür wird sie als Linke auch nicht so angefeindet, wie das zum Teil noch bei der Landtagswahl der Fall war, als sie auch schon für ihre Partei ins Rennen gegangen ist.

Wenig Auseinandersetzungen

Natürlich gibt es auch diesmal politische Auseinandersetzungen. Zum Beispiel bei einer Podiumsdiskussion ein paar Tage zuvor im Gemeindepsychiatrischen Zentrum in Möhringen. Dort haben rund 60 Betroffene, Angehörige und Mitarbeiter die Kandidatinnen und Kandidaten von sechs Parteien befragt. Da konnte Johanna Tiarks gleich mit der Antwort auf die erste Frage aus dem Publikum punkten, als sie die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro forderte. Das hat zwar ein paar bissige Kommentare ihrer Mitbewerber eingebracht und auch Zuhörer merkten skeptisch an, ob das nicht ein leeres Versprechen sei und dass selbst dieses Niveau nicht reiche, um den Menschen später eine auskömmliche Rente zu sichern. Doch solcher Streit ficht Johanna Tiarks nicht an. Mit den anderen Kandidaten komme sie, von der AfD abgesehen, „gut klar“, das ist ganz offensichtlich. Eine verbiesterte Klassenkämpferin ist 35-Jährige jedenfalls nicht. Sie kann dem Wahlkampf etwas abgewinnen. „Mit den Menschen zu reden, das finde ich toll“, sagt sie.

Stückle auf der Wangener Höhe

Und wenn es ihr doch zuviel wird, geht die Wahlkämpferin, die in einem Hochhaus am Olgaeck wohnt, einfach auf ihr Gartenstückle mit kleinem Häuschen auf der Wangener Höhe. Und lässt Politik Politik sein. Hier verbringt sie im Sommer mit ihrem Sohn manchmal das ganze Wochenende. „Das ist wie Kurzurlaub – einfach supergenial.“