Die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) fristet nur noch ein Nischendasein in der Betriebslandschaft. Ein Besuch in der Stuttgarter Hauptverwaltung.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Jubelbotschaft vermittelt den Eindruck einer Erfolgsgeschichte. „Herausragende Ergebnisse“ habe die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) bei den Betriebsratswahlen erzielt. „In vielen Betrieben konnten wir Mandate hinzugewinnen, in manchen Betrieben sind wir erstmals vertreten“, verkündet die Stuttgarter Hauptverwaltung. Beispielhaft genannt werden Bosch in Ansbach, ZF in Schweinfurt, Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen, Opel in Kaiserslautern und Rüsselsheim. Bei Audi in Neckarsulm wurden zwei weitere Sitze errungen. Bei Daimler in Sindelfingen gab es sechs Mandate, in Untertürkheim einen Sitz.

 

Es ist der Versuch, aus einer Maus einen Elefanten zu machen. Verglichen mit der IG Metall, die bundesweit drei von vier Betriebsräten in ihren Branchen für sich verbucht, fällt die Bilanz dürftig aus. Immerhin: gäbe es die Betriebsratswahlen nicht, die CGM fiele gar nicht mehr auf.

Die Organisation hat eine lange Tradition zu verteidigen. 1899 wurde sie in Duisburg als Christlicher Metallarbeiterverband gegründet – eine Antwort auf die sozialistisch geprägten Verbände. Ihr letztes Hoch hatte die CGM vor acht Jahren, als sie vom Bundesarbeitsgericht als tariffähige Gewerkschaft geadelt wurde. Damals tat das der IG Metall noch weh, heute bekümmert es den Goliath kein bisschen mehr, wenn David es noch wagen sollte, ein Steinchen herüberzuwerfen. Die IG Metall kann es sich leisten, den Mitbewerber zu übersehen. Kleinere Scharmützel auf Betriebsratsebene gibt es zwar noch hier und da. Von großen Rechtsstreitigkeiten lässt die IG Metall nun die Finger, und auch Klagen über die „Dumpingverträge der Christen“ hört man schon lange nicht mehr. Die CGM fristet ein Dasein als Schattengewächs.

Vergangene Schlachten

Selbst die Mitglieder haben Mühe mit der Kontaktaufnahme. Die Drehtür zur Hauptverwaltung nahe dem Degerlocher Albplatz ist defekt, weshalb der wenig einladende Eingangsbereich von der Sekretärin geöffnet werden muss. Das kann dauern. Vor etwa zehn Jahren hat die CGM den mit Waschbetonplatten verkleideten Bau aus den siebziger Jahren gekauft. Er ist ihr ganzer Immobilienbesitz. Derweil gehört der IG Metall ein Imperium: 107 Immobilien in 86 Städten. Neun der 39 hauptamtlichen Kräfte arbeiten in der CGM- Zentrale. Ein paar Büros sind untervermietet – immerhin eine kleine Einnahmequelle für die Organisation, während der Krösus IG Metall jährlich allein 500 Millionen Euro an Beitragseinnahmen kassiert. Dort zahlt ein Mitglied durchschnittlich 27 Euro im Monat, die CGM kommt auf etwa sechs bis zehn Euro.

Ganz oben im fünften Stock residiert, wenn er in Stuttgart ist, der Vorsitzende Adalbert Ewen. Der Saarländer – 62 Jahre alt, Jurist, CDU-Mitglied – reist sporadisch aus seiner Heimat an. Hier, in Höhenlage der baden-württembergischen Kapitale, gewährt ihm die breite Fensterfront einen Weitblick. Ewen weiß es zwar zu schätzen, dass mal jemand Interesse an der CGM zeigt. Erhalten ist jedoch das aus vergangenen Schlachten herrührende Misstrauen, wonach jedes offene Wort Schaden verursachen könnte. Die Pressesprecherin Monica Wüllner – eine langjährige Kommunalpolitikerin und im Bundesvorstand der CDU – ist stets auf der Hut, bei den Antworten Ewens korrigierend einzugreifen.

Dabei lauern die Gegner wohl nur noch in den eigenen Reihen: Organisatorisch abgewirtschaftet und (tarif-)politisch auf dem Abstellgleis – dieser Eindruck von der CGM vermittelt sich, wenn Kritiker wie Hans Maurer auspacken. Der 64-Jährige war von Oktober 2010 bis Ende 2011 stellvertretender Bundesvorsitzender. Zuvor, von September 2001 bis Juli 2009, stand er als Geschäftsführer für Südwürttemberg/Südbaden auf der Lohnliste. Einst hat er viele Jahre für die Angestellten-Gewerkschaft DAG gearbeitet. „Da konnte ich noch gestalten“, sagt Maurer. Bei der CGM sei er „ständig gegen die Mauer gerannt“. Nie zum Beispiel habe sie ein eigenes Thema gesetzt. Verächtlich spricht Maurer von einer Pseudogewerkschaft – sofern er sich nicht noch abfälliger ausdrückt. Am liebsten würde er all die Interna ausbreiten.

Vieles bleibt im Nebel

Schon bei der zentralen Frage, wie viele Menschen die CGM organisiert, tun sich Abgründe auf. „Unsere aktuelle Mitgliederzahl beträgt circa 95 000 bundesweit – davon sind etwa 40 Prozent Baden-Württemberger“, stellt Monica Wüllner fest. Maurer widerspricht vehement: „Wir kommen hundertprozentig nicht über 25 000 Mitglieder“, sagt er. Das wüssten alle Mitarbeiter in Stuttgart und alle Geschäftsführer. Beweisen könne er dies mangels schriftlicher Dokumente nicht, „aber ich kann rechnen“. Sollte dies stimmen, wäre das Bundesarbeitsgericht 2006 von falschen Annahmen ausgegangen. Damals musste die CGM ihre Mitgliederzahl nicht nachweisen. Dem Gericht reichte die Erkenntnis, dass die Arbeitgeber mit ihr Tarifverträge abschließen.

Rechenschaftsberichte gebe es, aber sie würden nicht offengelegt, verteidigt Ewen die Geheimniskrämerei. „Der Mitgliederbestand umfasst auch Rentner, und im Hinblick auf die früheren Gewerkschaftsverfahren müssen wir sehr Obacht geben, was von uns veröffentlicht wird und was verifizierbar gemacht werden kann“, windet er sich und äußert die Sorge vor einem neuen „beinharten Wettbewerb“ mit der IG Metall. „Insoweit sind wir vorsichtig und würden keine Luftbuchungen machen wollen.“ Bald werde man die Zahl aktuell feststellen.

So bleibt vieles im Nebel – schwer angreifbar. Reinhardt Schiller, ein Vorgänger Ewens, reagiert ähnlich sibyllinisch: „Was macht die Mächtigkeit einer Partei aus: die Zahl der Mitglieder oder das Wahlergebnis?“, kontert er mit einer Gegenfrage. Eine Gewerkschaft sei daran zu messen, wie viele Verträge sie zustande bringe und ob sie ihre Mitglieder satzungsgemäß bediene. „Alle diese Anforderungen erfüllen wir uneingeschränkt.“ Im Übrigen „sind die anderen auch nicht ganz so ehrlich, wie man vielleicht glaubt, bloß weil sie jedes Jahr etwas präsentieren“, fügt er an. Wisse er doch, welche Werte die IG Metall bei den internationalen Organisationen angebe.

Flagge zeigen

Nach zehn Jahren als Vorsitzender ist Schiller 2009 zurückgetreten. Er fühlte sich über Monate hintergangen und wurde schließlich vom geschäftsführenden Vorstand überstimmt. Machtkämpfe sind den „Christen“ nicht fremd – da immerhin ergibt sich eine Parallele zur IG Metall. Gut acht Monate habe der abrupte Rückzug noch wehgetan, sagt Schiller. Heute sieht er sich von vielen darin bestätigt, dass sich die damalige Führung habe blenden lassen. „Ich vermag nicht festzustellen, dass sich diese Personalrochade so positiv ausgewirkt hat, wie es damals von Vorstandsmitgliedern gedacht war“, sagt er.

Der Bundesverdienstkreuzträger Schiller hat seinerzeit Schwung in den Laden gebracht. „Früher waren wir eher zurückhaltend mit Demonstrationen“, sagt Schiller. Er habe dann seine Leute aufgefordert, Flagge zu zeigen – auch wenn es der IG Metall anfangs nicht gefiel. Dazu wurde Ausrüstung beschafft: „Handfahnen, Trillerpfeife und was so dazugehört.“ Damit die CGM noch mehr wahrgenommen werde.

Der Friedrichshafener IG-Metall-Bevollmächtigte Enzo Savarino schildert, dass die CGMler bei Aktionen vor den Toren von ZF gerne mitlaufen würden. Dies störe nicht weiter, zuweilen würden sie belächelt. Jeder wisse: einen selbstständigen Tarifkampf hätten sie nie geführt. Bei ZF seien sie mittlerweile bedeutungslos.

Vorwurf des Tarifdumpings

Ewen zufolge hat man sich 1984 am Streik in der Metallindustrie beteiligt. Das war’s offenbar. Folgt man Hans Maurer, dann hat die CGM in der Metallindustrie auch „noch nie einen originären Tarifvertrag abgeschlossen, sondern nur Gefälligkeitsabkommen“. Wo habe sie sich jemals für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung eingesetzt, fragt er. Sie habe genommen, was die Arbeitgeber vorgegeben hätten.

Der Vorsitzende Ewen spricht hingegen von Hunderten Tarifverträgen, die seine Organisation über Jahre abgeschlossen habe. „Im Elektrohandwerk sind wir in Einzelbereichen originärer Tarifpartner“, versichert er. In der Tat hat sich die CGM in Baden-Württemberg wirkungsvoll mit dem Fachverband Sanitär-Heizung-Klima zusammengetan. In der Metall- und Elektroindustrie jedoch schließt sie lediglich Anschlussverträge mit Südwestmetall ab – also Ableger der IG-Metall-Abkommen.

Auch in der Zeitarbeit mischte die CGM kräftig mit – als Billigheimer sozusagen mit Konditionen deutlich unter dem künftigen gesetzlichen Mindestlohn. Vor gut einem Jahr folgte nach einem diesmal ungünstigen Urteil des Bundesarbeitsgerichts der Ausstieg aus diesem Bereich. „Wir haben Fehler in der Zeitarbeit gemacht und unsere Lehre daraus gezogen“, sagt der Vorsitzende Ewen. Den Vorwurf des Tarifdumpings – für einen Verband mit dem „C“ im Namen eigentlich besonders schmerzhaft – sieht Ewen nicht mehr gerechtfertigt. Immerhin gebe es seit zwei Jahren eine Selbstverpflichtung – „einen Qualitätsstandard als Messlatte unseres Handelns. Nun können wir mit Stolz sagen, dass wir keine Tarifverträge mehr abgeschlossen haben, die unter dem Niveau von 8,50 Euro liegen, auch nicht im Handwerksbereich“.

Der Lieblingsgegner Steinkühler

Seit drei Jahren führt Adalbert Ewen die Gewerkschaft, davor war er sehr lange Vize, ist also Teil des Systems. Ob er im Oktober 2015 erneut kandidiert, lässt er offen. Dies macht er auch von der Konsolidierung der Organisation abhängig. Ein neuer Slogan ist schon gefunden: „Persönlich. Menschlich. Nah.“ Doch nachdem die Tariflandschaft und der Goliath IG Metall wieder gefestigt erscheinen, hat der David CGM anscheinend seine Orientierung verloren. Reinhardt Schiller trauert alten Zeiten hinterher, als der damalige IG-Metall-Chef Franz Steinkühler polarisierend die verbale Keule geschwungen habe. Heute „tun wir uns schwerer, uns von dem abzusetzen, was die IG Metall macht“, resümiert er.

Schillers ehemaliger Lieblingsgegner Steinkühler hätte auf die Auseinandersetzungen mit der CGM gut verzichten können. „Die Christen haben Opposition um der Opposition willen gemacht“, erzählt der Ex-Gewerkschaftsführer. Nervig seien sie gewesen. „Die haben gestört, aber wir konnten sie ja nicht verbieten.“