Die DFB-Elf liefert sich beim 2:2 gegen Ghana einen denkwürdigen Schlagabtausch. Nun folgt das Duell mit den USA, das Endspiel gegen Jürgen Klinsmann – wobei die DFB-Auswahl mit einem Unentschieden auf jeden Fall in das Achtelfinale einziehen würde.

Fortaleza - Da sitzen, liegen und stehen sie und ringen vergeblich nach Luft. Benedikt Höwedes: bäuchlings auf dem Rasen. Thomas Müller: ausgeknockt im Strafraum. Bastian Schweinsteiger: die Hände auf die Knie gestemmt, obwohl er nur 20 Minuten gespielt hat. Noch immer schreien die Zuschauer, begeistert und mitgerissen von einem spektakulären Fußballspiel. Und die Ghanaer schleppen sich hinüber zu ihren Fans. Die Deutschen hingegen: sie schaffen kaum mehr das. Mit etwas Verspätung haben sie gerade erfahren müssen, was es heißt, eine Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien zu spielen.

 

Eine wilde, urwüchsige und hemmungslose Schlussphase

Federleicht war er gewesen, der 4:0-Sieg gegen Portugal, dieses perfekt verlaufene Auftaktspiel mit den frühen Toren und der Roten Karte, die es dem deutschen Team sogar erlaubt hatte, die Kräfte zu schonen. Knüppelhart erkämpft dagegen war nun das 2:2 gegen Ghana in der Hitze von Fortaleza. Das Unentschieden lässt der DFB-Auswahl vor dem letzten Gruppenspiel am Donnerstag gegen die USA zwar alle Chancen, das Achtelfinale zu erreichen. Es hat aber auch mit Nachdruck gezeigt, welch langer und beschwerlicher Weg es bis zum ersehnten Titel ist. „Das Gute ist: jetzt wissen wir endgültig, was uns hier erwartet“, sagt der Abwehrspieler Per Mertesacker, „das war eine Superprüfung für den weiteren Turnierverlauf.“

Diese wilde, urwüchsige und hemmungslose Schlussphase, sie wird in Erinnerung bleiben. 15 Spielminuten wie diese sind wohl nur unter diesen besonderen Umständen in Brasilien möglich: wenn die Hitze und der Kraftverlust alle Sinne vernebeln, wenn das Publikum wie in einer Stierkampfarena den finalen Treffer herbei brüllen will und die Beine der Spieler nur noch zu einem Weg imstande sind, immer nach vorne, nicht aber zurück. „Das ist das Bild der gesamten WM“, sagt der Teammanager Oliver Bierhoff: „Anders als ich es erwartet hatte, spielen alle Mannschaften mit offenem Visier.“

Wie zwei Boxer ohne Deckung, bei denen in der zwölften Runde der Lucky Punch und der K.o dicht beieinander liegen, so standen sich am Ende beide Teams gegenüber, alle taktischen Fesseln über Bord geworfen. Nahezu ungehindert durften sich die Deutschen in den gegnerischen Strafraum kombinieren und verpassten es entschlossen zu vollenden. Und genau so leichtfertig ließen die Ghanaer die Konterchancen liegen, die sich dank der völlig entblößten DFB-Defensive ergaben. Mit vier Mann stürmten sie einmal auf zwei Deutsche zu – und spielten den Ball ins Abseits.

In jeder Sekunde lag das entscheidende Tor in der Luft

Man habe gesehen, dass die Mannschaft „unbedingt gewinnen wollte“, sagt Philipp Lahm. Das ist seine positive Botschaft. Die negative: „richtig clever“ sei es nicht gewesen, wie sich das Team am Ende angestellt habe: „So offen wollten wir das Spiel nicht gestalten.“ Kein Zeichen großer Qualität sei es, wenn ein Spiel so hin- und herwogt und das Mittelfeld preisgegeben wird – im Gegenteil. „Dann spielt man taktisch nicht gut, denn dann ist eine Mannschaft zweigeteilt in Defensive und Offensive.“

In jeder Sekunde lag in dieser Phase das entscheidende Tor in der Luft; reiner Zufall war es, dass es nicht fiel. Von einem „irrsinnigen Tempo“ spricht Joachim Löw hinterher, von einem „offenen Schlagabtausch, bei dem beide Mannschaften bedingungslos auf Sieg gespielt haben“. Für die Zuschauer sei es „ein faszinierendes Spiel“ gewesen, sagt der Bundestrainer. Für ihn selbst war es das nicht. Im hohen Bogen kickte er kurz vor Schluss sichtlich erregt den Ball weg, was irgendwie passte zu dieser aberwitzigen Schlussphase, die auch der Torwart Manuel Neuer mit einem verunglückten Abwurf bereicherte.

Es ist ursprünglich ganz anders vorgesehen gewesen. Gegen bemerkenswert disziplinierte Ghanaer gehörte es durchaus zum Plan, in der ersten Hälfte mit gebremstem Schaum ans Werk zu gehen. In der zweiten schien er aufzugehen, als Mario Götze die perfekte Flanke von Thomas Müller verwertete. Die Räume eng zu machen, auf Konter zu lauern und die Entscheidung herbeizuführen, das wäre nun Teil drei des Planes gewesen. Er wurde schnell hinfällig, als Shkodran Mustafi, für den angeschlagenen Jerome Boateng ins Spiel gekommen, das Kopfballduell verweigerte und der Ausgleich fiel. „Das darf nicht passieren, wir hätten länger die Führung halten müssen“, sagt der Mittelfeldspieler Toni Kroos.

Das Endspiel gegen Jürgen Klinsmann

Nun begannen die Probleme – und nun zeigte sich, dass es nicht immer so reibungslos laufen kann wie gegen Portugal. Die Abwehr, bei dieser WM fast völlig neu formiert, begann zu wackeln. Und das zentrale Mittelfeld gab keinen Halt, sondern sorgte für den nächsten Tiefschlag: Ein riskantes Zuspiel von Lahm auf Sami Khedira leitete das 1:2 ein. Nicht der einzige Fehler des Kapitäns, der schon gegen Portugal bislang unbekannte Schwächen gezeigt hatte. Und nicht das einzige Mal, dass Khedira einen Schritt zu spät kam.

„Sami ist bei diesem Tempo an seine Grenzen gekommen“, sagt Löw. Es ist kaum vorstellbar, dass der frühere Stuttgarter nach seinem Kreuzbandriss ein komplettes Turnier durchsteht. Dass bei Schweinsteiger schon ein Kurzeinsatz genügte, um in den dunkelroten Bereich zu geraten, macht die Sache nicht einfacher. Immerhin: als Zeichen „guter Moral“ wertet es Löw, dass sein Team mit dem Ausgleich durch Miroslav Klose wieder zurückkam, ehe die wilde Hatz in den Schlussminuten begann.

Nun folgt also das Duell mit den USA, das Endspiel gegen Jürgen Klinsmann – wobei die DFB-Auswahl mit einem Unentschieden auf jeden Fall in das Achtelfinale einziehen würde. „Das wollten wir vermeiden“, sagt Sami Khedira, während Philipp Lahm die Nation beruhigt: „Ich sehe keine Gefahr, dass wir nach Hause fahren.“