In einer „Orientierungshilfe“ empfiehlt die Evangelischen Kirche, gleichgeschlechtliche Partnerschaften wie herkömmliche Ehen vor dem Altar zu segnen. Sie sollen also nicht weniger wert sein als die traditionelle Ehe. Konservative Christen sind empört – etwa die Protestanten in Württemberg.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Nikolaus Schneider, der oberste Repräsentant von rund 23 Millionen Protestanten in Deutschland, hat geahnt, dass die 160-Seiten-Schrift Ärger bringen würde – bei der katholischen Kirche, bei den Orthodoxen und bei den traditionell Gesinnten in seiner Kirche. Deshalb stapelte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schon bei der Präsentation des Dokuments tief: Das Papier, an dem immerhin eine Kommission unter der ehemaligen Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) rund drei Jahre lang gearbeitet hatte, sei kein lehramtliches Schreiben, sondern nur ein Beitrag zur Diskussion. Die freilich ist nun auf eine Weise befeuert, wie es Schneider vermutlich nicht recht sein dürfte.

 

Die katholische Kirche, bei der die Ehe anders als bei den Protestanten als ewig gültiges Sakrament gilt, reagiert zum Beispiel besorgt. Die EKD relativiere mit dem Text die Ehe als bis zum Tod eines Partners dauernde Gemeinschaft von Mann und Frau. „Glaubt man nicht mehr daran, dass lebenslange Treue möglich ist?“ fragt der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Eltz, der die Familienkommission der Deutschen Bischofskonferenz führt. Ebenso eindeutig, aber in der Wortwahl noch heftiger fällt die Ablehnung bei konservativen Protestanten aus. „Das Ideal der bürgerlichen Familie ist das Feindbild, an dem sich die EKD abarbeitet“, rügt Steffen Kern, der württembergische Vorsitzende des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes „Die Apis“. Evangelikale beklagen zudem, dass „unkritisch“ eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefordert, der Ausbau der Ganztagsbetreuung gewünscht und das „Muttersein“ nicht ausreichend gewürdigt werde.

Württemberg lässt die Segnung der Homo-Ehe nicht zu

Tatsächlich enthält die Schrift unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ für das traditionelle Milieu revolutionär anmutende Passagen. So werden homosexuelle Partnerschaften auf eine Stufe mit der Ehe von Mann und Frau gehoben. Die Bibel rufe vor allem „nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander, nach einer Treue, die der Treue Gottes entspricht“, heißt es im Papier. Vor diesem Hintergrund seien „gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, als gleichwertig anzuerkennen“. Die Autoren gehen sogar noch weiter: Diese Homo-Ehen sollten auch vor dem Altar gesegnet werden, empfehlen sie. Ein solches Ritual freilich ist längst nicht überall erlaubt. In Württemberg etwa lässt die Landeskirche derartige Segnungen zumindest offiziell nicht zu.

Daneben nimmt die „Orientierungshilfe“ die neuen Familienformen positiv auf und erweitert so das bisherige evangelische Leitbild der Ehe. Andere Möglichkeiten privaten Zusammenlebens – Patchworkfamilien oder Alleinerziehende – werden anerkannt, das Scheitern von Beziehungen wird mit einkalkuliert und auf diese Weise wird der veränderten Wirklichkeit sowie der vielfachen Praxis protestantischer Seelsorge Rechnung getragen. Die Ehe ist zwar laut dem Papier „eine gute Gabe Gottes“. Sie kann aber, „wie das Neue Testament zeigt, nicht als einzige Lebensform gelten“. Vielmehr verdienten „alle familiären Beziehungen, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten“, die Unterstützung der evangelischen Kirche.

Die EKD setzt auf das Ende der Diskriminierung

Nikolaus Schneider weist denn auch gegenüber der Stuttgarter Zeitung die Kritik zurück. Es gebe hier weder einen Kurswechsel, noch verabschiede sich die EKD vom Ideal der auf Dauer angelegten Ehe. Allerdings solle künftig nicht mehr der Status einer Beziehung zählen, sondern deren Qualität. Zudem solle der „moralisch erhobene Zeigefinger“ weg. Der habe in der Vergangenheit Leid über Menschen gebracht, die dem gesellschaftlichen Raster nicht entsprachen, meint Schneider. Er denkt da zum Beispiel an die frühere Diskriminierung unehelicher Kinder.