Italien sendet ein Notsignal nach dem anderen aus, um mit der immer größeren Zahl von Flüchtlingen auf der Mittelmeerroute nicht allein gelassen zu werden. Die anderen EU-Staaten müssen mehr helfen – auch Deutschland, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Verzweiflung der Italiener über den wachsenden Flüchtlingsstrom in ihrem Land ist nicht zu übersehen. In kurzen Abständen ersinnen sie immer neue mögliche Auswege, um andere Staaten an ihre Solidaritätspflichten zu erinnern. Nun wollen sie ein neues Mandat für die EU-Marine-Mission „Sophia“ blockieren, die Schleusern auf der zentralen Mittelmeerroute das Handwerk legen soll. Rom sendet ein Notsignal nach dem anderen, doch die übrigen EU-Staaten stellen mehr oder weniger auf stur.

 

Die Statistiken zeigen: Während in den meisten EU-Staaten die Zahl der Neuankömmlinge gesunken ist, kommen von Libyen immer mehr Menschen übers Meer – fast alle landen sie in einem italienischen Hafen, und kaum jemand kann noch weiterziehen. So wächst der Druck in einem Land, das bisher europafreundlich dastand, nun aber zu wanken beginnt. Es wäre fahrlässig, den Italienern nicht zu helfen.

Paris und Madrid zum Beispiel verweigern Rettungsschiffen das Anlaufen französischer und spanischer Häfen. Und Hardliner in Wien, wie Außenminister Sebastian Kurz, würden am liebsten den Brenner mit Panzer absperren. Die Strategie der Abschottung zeigt eine hohe Dynamik. Die Unterschiede zu den rechtspopulistischen Grenzzaun-Erbauern in Osteuropa werden immer kleiner.

Massive Vorwürfe gegen die privaten Seenotretter

Und die Bundesregierung? Die vom Streit über Flüchtlingsobergrenzen geschüttelte Union zeigt ein Problembewusstsein, will aber vor allem erreichen, dass die Boote möglichst nicht mehr europäisches Festland erreichen. Besonders bizarr ist es, bei den privaten Seenotrettern die Schuld zu suchen, weil diese angeblich immer neue Notleidende zur Flucht animieren und das Schleppergeschäft beleben. Bewiesen ist dies nicht. Wer, wie es in der CSU heißt, einen „Shuttleservice“ beklagt, ist zynisch. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unterstellt den Nichtregierungsorganisationen gar eine Kooperation mit den Menschenschmugglern auf See, ohne Belege vorzulegen.

Hilflos erscheint auch der Beschluss der EU-Außenminister, den Export von Schlauchbooten und Außenbordmotoren, geeignet zum Transport weiterer Flüchtlinge, zu beschränken. Als ob mafiöse Schleuserbanden sich nicht woanders ausstatten könnten. Außerdem löst die Maßnahme kein einziges Problem, sondern könnte dazu führen, dass Flüchtlinge in noch weniger seetüchtige Kähne gesetzt werden. Ähnlich beim libyschen Küstenschutz: Er muss verbessert werden. Aber die Frage „Wohin mit den Migranten?“ ist damit nicht beantwortet. Ihr Schicksal interessiert in diesem staatlichen Schwarze-Peter-Spiel kaum, nur ihre nackte Zahl.

Ginge es um die Betroffenen, würde man mit aller Macht für menschenwürdige Lager in Nordafrika kämpfen – so kompliziert dies in einem anarchischen Staat wie Libyen auch ist. Bis jetzt landen die Geflüchteten in KZ-ähnlichen Camps, in denen Hunger sowie Folter und Vergewaltigungen durch Milizen an der Tagesordnung sind. Freilich bleibt dies den Blicken der europäischen Öffentlichkeit verborgen. Den Politikern ist es recht, denn es erleichtert das Aussitzen der Probleme.

Den Blicken der Öffentlichkeit verborgen

Es geht aber nicht nur um Einzelschicksale, sondern auch um die Zukunft Europas als Wertegemeinschaft. Wie viele Opfer in den Lagern und wie viele Ertrunkene kann sie sich noch leisten, ohne sich selbst als solche infrage zu stellen? So viel politische Brisanz die Wanderungsströme auch in die EU-Staaten bringen, so muss Menschlichkeit doch oberste Leitlinie politischen Handelns sein. Um das Elend im Mittelmeer nicht immer größer werden zu lassen, braucht es nicht nur mehr Einigkeit in Europa, sondern auch einen höheren finanziellen und personellen Einsatz. Deutschland sollte ungeachtet des Bundestagswahlkampfes beispielhaft vorangehen.