Das Leichte liege den deutschen Filmemachern nicht, heißt es gerne. Witz, Herz und Intelligenz bekämen sie einfach nicht zusammen. Percy Adlon ist eine der großen Ausnahmen von dieser Regel. Seine Werke wie „Zuckerbaby“ und „Out of Rosenheim“ kann man jetzt neu entdecken.

Stuttgart - Die Liebe ist für die Schlanken da, bläuen uns Hollywood und die Werbeindustrie seit Jahrzehnten fleißig ein. Dass das Quatsch ist, hat kaum je einer so vergnüglich gezeigt wie der deutsche Filmemacher Percy Adlon 1985 in seiner Komödie „Zuckerbaby“. In der spielt Marianne Sägebrecht die einsame, übergewichtige Mitarbeiterin eines Beerdigungsinstituts, die beim Heimpendeln von Amors Pfeil durchbohrt wird. Sie rückt einem U-Bahnfahrer auf die Pelle, stellt ihm nach, putzt sich heraus, wird forsch wie noch nie und bekommt den Verheirateten in ihr Leben und in ihr Bett.

 

Seit dem vielen Lob für Maren Ades Komödie „Toni Erdmann“ beim Filmfestival von Cannes wird wieder darüber diskutiert, warum den Deutschen die Kombination von Humor und Intelligenz, Stil und Menschenfreundlichkeit im Kino sonst oft schwer fällt. Percy Adlon sollte in diesem Zusammenhang als Ausnahme von der Regel ständig genannt werden. „Zuckerbaby“ ist ein fröhlicher Film in brausebunten Bildern, der ein paar klitzekleine märchenhafte Züge aufweist, aber nie in die Schaumbadberge der handelsüblichen Romanze entschwindet. Doch leider ist Adlon beim Publikum und auch bei Kritikern und Kollegen weitgehend vergessen.

Werke ohne Zugangsschwellen

Vergangenes Jahr hätte sich das theoretisch ändern können. Percy Adlon feierte am 1. Juni achtzigsten Geburtstag, wozu eine schöne kleine Werkschau-Box mit 10 DVDs herauskam. Der Haken an der Sache? Wer kauft schon eine 10er-Box mit Filmen eines Regisseurs, dessen Name ihm noch nie untergekommen ist?

Glücklicherweise lässt das Label Arthaus dem Paket für die Überzeugten nun Einzelausgaben für die Zögerlichen folgen, die jeweils einen Spiel- und einen Dokumentarfilm enthalten. So kann man sich langsam hineintasten ins Werk eines Mannes, dem trotz vielfältiger Interessen nichts so fremd ist wie das Hochmauern von Zugangsschwellen.

Von sich selbst sagt er ironisch: „Ich habe immer mehrere kleine Begabungen, die für eine große nicht reichen, gebündelt und daraus den Filmemacher zusammengesetzt.“ Tatsächlich wurde mit dem Stimmbruch klar, dass der Sohn des Operntenors Rudolf Laubenthal nicht Bayreuth erobern würde. Der Paul Rudolf Parsifal Getaufte wurde nach Versuchen als Schauspieler und als Sprecher beim Rundfunk schließlich Dokumentarfilmer. Über 150 kleinere und größere Werke hat er gedreht, bevor seine Lust am Inszenieren durchbrach.

Einfach mal das Glück wagen

Das stur Geradlinige war seine Sache also nie, darum hat er kein Problem mit abrupten Richtungswechseln im Film, findet lebensumwälzende Entscheidungen seiner Figuren nie ein Problem. In „Out of Rosenheim“, seinem auch international noch immer größten Erfolg aus dem Jahr 1987, spielt wieder Marianne Sägebrecht die Hauptrolle. Ihre Figur beendet während eines Amerika-Urlaubs spontan eine unglückliche Ehe, steigt mitten im Nirgendwo aus dem Auto und marschiert ins Unbekannte los. In einem maroden Motel schließt sie Freundschaft mit der afroamerikanischen Inhaberin und den randständigen Figuren, die sich hier versammeln.

Das klingt wie eine jener gewollten Hauruck-Beglückungen, wie sie - auch dank Adlons Erfolg – müde Routine im deutschen Wohlfühlfernsehen geworden sind. Bei Adlon aber sind das Prickelnde, das Frische, das Ungewisse und das Scheiternsnahe so einer Verrücktheit immer zu spüren. Adlon selbst siedelte damals übrigens mit seiner Frau und Mitarbeiterin Eleonore selbst dauerhaft in die USA über. Das sei die Erfüllung eines alten Traums gewesen, und sie hätten es nie bereut, sagt er. Und seinen Figuren will er nicht prinzipiell verweigern, was er selbst hinbekommen hat.

Fruchtgummibunt, aber ohne Schablone

Mit Neonfarben zu arbeiten, ganze Szenen einzufärben wie Fruchtgummitierchen, Popmusik eine tragend miterzählende Rolle zukommen zu lassen – das sind Adlon-Markenzeichen jener Jahre. Mit dem verbissenen, weltuntergangsfinsteren Oppositionskino der deutschen Autorenfilmerschule scheint das zunächst wenig zu tun zu haben. Aber der Mann, der in „Fünf letzte Tage“ von Sophie Scholl und in „Salmonberries“ von einer deutschstämmigen Waise in Alaska auf der Suche nach ihrer Herkunft erzählt, mag wie die Autorenfilmer nicht nach Schablone arbeiten. Die Filmindustrie brauche erfolgreiche Muster, gesteht er ein. Aber es brauche auch „ein paar Leute, die Neues ausprobieren, Ungewöhnliches, sonst läuft das Publikum davon. Nummer-sicher-Filme langweilen die Leute auf Dauer.“ Nummer-Sicher-Filme hat Percy Adlon darum nie gedreht.