Für ausländische Internet-Apotheken gilt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Preisbindung nicht mehr. Der Handel in Stuttgart befürchtet negative Folgen für das Geschäft – und die Kunden.

Stuttgart - Unter der historischen Holzdecke von 1889 schwebt ein Engel, in den Regalen stehen Porzellangefäße mit lateinischen Aufschriften sowie viele Schachteln mit Medikamenten. Am Tresen nehmen der Apotheker Jens Wöhrn und seine Mitarbeiter die Rezepte der Kunden persönlich entgegen.

 

Der Arzneihandel im Internet ist im historischen Ambiente der Engel-Apotheke an der Ecke Rotebühl-  und Hasenbergstraße im Stuttgarter Westen trotz des aktuellen Urteils des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Versandhandel kein Thema. „Die Kundschaft spricht uns bis jetzt nicht auf die richterliche Aufhebung der Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente von ausländischen Versendern an“, so Wöhrn.

Nach seiner Ansicht wirkt sich das Urteil nicht „heute oder in sechs Monaten, aber in einigen Jahren negativ für uns aus“. Viele Apotheker arbeiteten bereits jetzt finanziell am Limit – vor allem auf dem Land. Dort gebe es in vielen Gebieten bereits zu wenige oder gar keine Hausärzte mehr: „Wenn Arztpraxen geschlossen werden, weil sich keine Nachfolger finden, können auch noch vorhandene Apotheken bald einpacken.“ Dadurch verschlechtere sich die Versorgungslage für Ältere und Kranke, die nicht mehr so mobil seien, erheblich.

Werbeoffensive der Versandapotheken erwartet

„Wir Apotheker arbeiten für die eigene Tasche, aber auch für die Gesellschaft“, betont Wöhrn. Man müsse ein Pflichtsortiment an Arzneimitteln vorhalten. Versandapotheken hingegen beschafften dringend benötigte Arznei nicht mehrmals am Tag innerhalb kurzer Zeit und machten auch keinen Notdienst. „Um weiterhin eine flächendeckende Beratung und Versorgung mit Medikamenten sicherzustellen, ist jetzt die Politik gefordert.“

Nach dem EuGH-Urteil erwartet der Apotheker eine Werbeoffensive ausländischer Versandapotheken im Internet: „Ich rechne mit Lockangeboten, Gutscheinen und Geschenken.“ Ausländische Anbieter seien wegen ihrer niedrigeren Preise im Vorteil. „Ein Internetversender braucht nur eine Fachkraft um Lieferungen zu unterzeichnen“, so Wöhrn. In seinem Geschäft seien hingegen drei Apotheker und zwei weitere Fachkräfte beschäftigt. Etwa 80 Prozent des Umschlags entfielen auf verschreibungspflichtige Medikamente. „Das EuGH-Urteil kann uns hart treffen.“

Medikamente gibt es nicht immer von der Stange

In der Engel-Apotheke gehen aber nicht nur pharmazeutische Fertigprodukte über den Ladentisch. Jeden Tag ist auch Handarbeit angesagt. Denn nicht immer hat die Pharmaindustrie das heilende Mittel zur Hand. „Ich muss heute für eine Kundin noch eine Salbe gegen Akne herstellen“, sagt Wöhrn. Da der Wirkstoff nur drei Monate haltbar sei, habe kein Pharmakonzern das Mittel im Angebot: „Solche Individualrezepturen, die nicht kostendeckend sind, gehören auch zu unserem Pflichtprogramm.“ Auch für empfindliche Kleinkinder gebe es nicht immer die passenden Medikamente von der Stange.

Wöhrns Stammkunde Karl Kesenheimer möchte auf seine Apotheke um die Ecke nicht verzichten. Medikamente aus dem Internet sind für den Rentner kein Thema. „Selbst wenn ich einen Computer hätte, würde ich da keine Medizin kaufen. Mit meinem Apotheker kann ich reden, mit dem Internet nicht.“