Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde der Bosch-Manager Albrecht Fischer als Mitverschwörer verhaftet. Das Todesurteil schien unabwendbar.

Stuttgart/Berlin - Der Führer Adolf Hitler ist tot!“ Mit diesen Worten begann am späten Nachmittag des 20. Juli 1944 ein Fernschreiben, in dem Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben mitteilte, den Oberbefehl über die Wehrmacht und die vollziehende Gewalt im Reichsgebiet übernommen zu haben.

 

Kurz zuvor hatte Oberst Claus Schenk von Stauffenberg seinen Mitverschwörern versichert, der Diktator müsse der von ihm im ostpreußischen Führerhauptquartier Wolfschanze deponierten Bombe zum Opfer gefallen sein, so dass die für den politischen Umsturz konzipierten „Walküre“-Befehle ausgegeben werden könnten.

Die „Walküre“-Befehle wurden aber in keinem Wehrkreis außer ansatzweise in Wien und im besetzten Paris befolgt, da schon am frühen Abend der Deutschlandsender die Nachricht verbreitete, dass Hitler das Attentat überlebt habe, und wenig später bei den militärischen Dienststellen Gegenbefehle von Wilhelm Keitel eingingen, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Am späten Abend des 20. Juli wurden Stauffenberg und seine Mitverschwörer überwältigt. Zuvor hatten sie in Fernschreiben noch Politische Beauftragte für die Wehrkreise benannt: „Der Politische Beauftragte für den Wehrkreis V ist: Fischer, Stuttgart, Hauptmannsreute 132.“

Der Weg zur Rober Bosch GmbH

Der Baurat Albrecht Fischer wurde noch in der Nacht in seiner Wohnung festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis in der Archivstraße eingeliefert. Am 18. August 1944 brachte man ihn nach Berlin in eine von der Gestapo genutzte Abteilung des Gefängnisses Moabit. Von dort wurde Fischer fast täglich in das Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht und dort von Beamten der „Sonderkommission 20. 7.“ verhört. In ihrem Abschlussbericht erklärten ihn die Gestapo-Beamten nicht nur für überführt, „Mitwisser eines Gewaltunternehmens“ gewesen zu sein. Sie hoben auch hervor, dass Albrecht Fischers „Einstellung entwicklungsgemäß stockliberalistisch“ und „scharf reaktionär und vom Nationalsozialismus völlig unberührt“ sei. Deswegen müsse er auch „unabhängig von seiner Beteiligung am Umsturzversuch und seiner leitenden wirtschaftlichen Stellung in einem weltbekannten Industrieunternehmen als gefährlicher Staatsfeind“ gelten.

Albrecht Fischer, 1877 in Stuttgart geboren, war nach einem Chemiestudium in die Dienste des württembergischen Landesgewerbeaufsichtsamts in Stuttgart getreten. Da er nach der Novemberrevolution nicht im Dienst eines von der politischen Linken dominierten Staates bleiben wollte, bat er 1919 um seine Entlassung als Beamter und übernahm zunächst die Geschäftsführung des Verbandes Württembergischer Metallindustrieller, später die der Vereinigung Württembergischer Arbeitgeberverbände. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste Fischer aus dem Vorstand der württembergischen Landesversicherungsanstalt ausscheiden und 1934 auch die von ihm geführten wirtschaftlichen Interessenverbände auflösen.

Ein neues Tätigkeitsfeld fand Fischer in der Robert Bosch GmbH, bei der er die Leitung eines Büros für wirtschaftspolitische Fragen übernahm. Hier arbeitete er eng mit dem Firmengründer Robert Bosch, dessen Privatsekretär Willy Schloßstein und dem geschäftsführenden Direktor Hans Walz zusammen, die wie er dem NS-Regime zunehmend kritisch gegenüberstanden. Mit Hilfe Fischers und auf Anregung des Leipziger Oberbürgermeisters Carl Goerdeler versuchte Bosch im Herbst 1936, Reichskriegsminister Werner von Blomberg zum Widerspruch gegen die Rüstungspolitik des Reiches zu bewegen. Nach dem Scheitern des Versuchs ließ er Informationen über die Hochrüstungspolitik an die Westmächte weiterleiten, um diese zu Gegenmaßnahmen zu veranlassen und den Krieg zu verhindern. Fischer war auch an Hilfsmaßnahmen des Unternehmens für Juden und andere Verfolgte beteiligt, fungierte als Mittelsmann, als die Bosch GmbH von dem Jahr 1938 an jüdischen Organisationen große Beträge zukommen ließ, mit denen mittellose Juden bei der Auswanderung unterstützt wurden.

Verschwörung gegen Hitler

Kurz nach seinem Rücktritt als Oberbürgermeister wurde Carl Goerdeler 1937 von der Firma Robert Bosch als Verbindungsmann zu Berliner Regierungsstellen verpflichtet. Im offiziellen Auftrag des Unternehmens konnte Goerdeler so zahlreiche Auslandsreisen unternehmen und für den Widerstand wichtige Kontakte knüpfen. Zu seinen Ansprechpartnern in der Bosch-Firmenleitung gehörte auch Albrecht Fischer. Im Frühjahr 1944 wurde er von Goerdeler gefragt, ob er bereit sei, nach einem erfolgreichen Umsturz als ziviler Vertrauensmann der militärischen Verschwörung gegen Hitler für Württemberg zu fungieren. Er sagte unter der Bedingung zu, dass die zivilen Vertrauensleute erst dann öffentlich in Erscheinung treten dürften, wenn die Militärs die Lage vollkommen unter Kontrolle hätten.

Die Gestapo-Beamten der „Sonderkommission 20. 7.“ konnten Fischer nicht nur das Fernschreiben der Verschwörer mit seinem Namen vorhalten. Ihnen lagen auch die nach der Verhaftung Goerdelers gefundenen Notizbuchaufzeichnungen und ihm abgepresste Aussagen vor, die Fischer belasteten. Am 22. November klagte ihn der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof wegen Hochverrats an.

Schon unmittelbar nach der Verhaftung waren seine Bosch-Kollegen aktiv geworden, um seine Freilassung zu erreichen und weiteren Schaden von der Firma abzuwenden. Willy Schloßstein hatte Fischers Büro durchsucht und belastende Unterlagen entfernt. Hans Walz hatte schon Ende Juli in Berlin Gottlob Berger aufgesucht, der als Chef des SS-Hauptamtes einer der engsten Mitarbeiter Heinrich Himmlers und als der „Allmächtige Gottlob“ bekannt war. Er war weitläufig mit Robert Bosch verwandt und fühlte sich diesem auch schon deswegen verbunden, weil ihre Väter sich aus der gemeinsamen Militärdienstzeit gekannt hatten.

Der Berliner Prozess

Um Eingriffe von Parteistellen in Firmenbelange abwehren zu können, waren Walz und Schloßstein Fördermitglieder der SS geworden. Obwohl sie von Ende 1938 an aus Empörung über den Judenpogrom keine Beiträge mehr gezahlt hatten, konnte sich Walz bei Berger nun auf diese Mitgliedschaft berufen. Berger wies das Hilfeersuchen für Fischer zunächst mit der Begründung zurück, dass Hitler allen Würdenträgern der Partei die Fürsprache für am Umsturzversuch Beteiligte strengstens untersagt habe. Im Oktober 1944 ließ er Hans Walz aber wissen, dass mit einem Todesurteil gegen Albrecht Fischer gerechnet werden müsse. Schließlich erklärte sich Berger auch bereit, Roland Freisler, dem Vorsitzenden des Volksgerichtshofes, zu signalisieren, dass Fischer bei der SS „gut angeschrieben“ sei.

Dass dieser Hinweis die gewünschte Wirkung hatte, legt der Verlauf der Hauptverhandlung gegen Fischer nahe, die am 12. Januar 1945 stattfand. Der Jurist Sievert Lorenzen, der für die NSDAP-Parteikanzlei über die Berliner Prozesse berichtete, konstatierte einerseits „widerspruchsvolle Angaben“ und ein „wenig ansprechendes Verhalten“ Fischers, andererseits „manchen Rettungsanker, den Freisler ihm zuwarf“. Fischer behauptete, er habe Goerdeler nur zugesagt, auf Nachfrage dem Stuttgarter Wehrkreiskommando als industriepolitischer Berater zur Verfügung zu stehen. Einen Putsch des Heimatheeres hätte er sich ohnehin niemals vorstellen können. Widersprüche zu Fischers Aussagen bei der Gestapo erklärte Freisler kurzerhand mit der Feststellung, Fischer rede eben „nicht exakt“. Schließlich entschied der Volksgerichtshof auf Freispruch.

Dennoch wurde Albrecht Fischer von der Gestapo weiter in Haft gehalten. Als man ihn am 20. Februar 1945 aufforderte, sich zum Transport fertig zu machen, konnte er gerade noch seinen Anwalt, dem er zufällig auf dem Gefängniskorridor begegnete, bitten, noch einmal bei Gottlob Berger zu intervenieren, dann wurde er nach Sachsenhausen transportiert, wo er als Häftling Nr. 134568 registriert und in den Eingangsblock 13 des Anfang 1945 völlig überfüllten Konzentrationslagers eingewiesen wurde. „Es hätte in unsrer Abteilung vielleicht für 150 Mann Platz gehabt“, so schrieb er später nieder, „meist waren aber doppelt so viel da, besonders wenn des Nachts ein neuer Transport ankam, der noch hereingeworfen wurde ohne Rücksicht darauf, ob schon alles belegt war. Einmal hieß es, alles lag schon: Zusammenrücken! Auf jede Liegestelle zwei Mann!“

Lebensfeindliche Verhältnisse

Da sich die im Zusammenhang mit dem 20. Juli Inhaftierten aus ihrem Berufsleben oder gemeinsamer Haft bereits kannten, halfen sie sich gegenseitig, zogen dafür aber die besondere Wut der als Stubenälteste eingesetzten kriminellen Häftlinge auf sich, die sich keine Gelegenheit entgehen ließen, gegen die „vornehme Bagage“ vorzugehen. Viel schlechter ging es aber den mit der Evakuierung der Vernichtungslager nach Sachsenhausen gelangten Juden.

Anfang März 1945 kam Albrecht Fischer aus dem Eingangsblock in einen regulären Block, der weniger überfüllt war und dessen Stubenältester das Los seiner Mithäftlinge zu erleichtern suchte. Hatte Fischer bis dahin Kupferkabel entkernen müssen, wurde er jetzt dem Häftlingskommando der Lagerschreibstube zugeteilt. Dort erfuhr er, dass sich 22 000 Häftlinge im Lager und weitere 12 000 in Außenlagern bei Rüstungsbetrieben oder Bombenräumkommandos befanden, von denen monatlich 3000 als „verstorben“ oder als „auf Transport“ in Todeslager wie Bergen-Belsen von der Lagerstärke abgesetzt wurden.

Auch im Lager selbst aber waren die Verhältnisse bei viel zu leichter Bekleidung und mangelhafter Ernährung extrem lebensfeindlich. Mitte März wurde zudem bei einem alliierten Bombenangriff die Abwasserleitung des Lagers beschädigt. Da die Klosetts deswegen nicht mehr benutzbar waren, wurde hinter jeder Baracke eine offene Grube mit einem Balken darüber ausgehoben. „Die Ärzte bekamen Bedenken, und es wurde deshalb eine allgemeine Impfung gegen Typhus angeordnet, wobei nur die Häftlinge deutscher Staatsangehörigkeit geimpft werden sollten“, schrieb Albrecht Fischer.

Zurück nach Schwaben

Diese Impfung erlebte er aber nicht mehr mit, da inzwischen Gottlob Berger bei der Gestapo seine Entlassung aus dem KZ durchgesetzt hatte. Am späten Abend des 3. April 1945 wurde er von zwei Mitarbeitern Bergers abgeholt und in dessen unterirdisches Hauptquartier in Berlin gebracht, wo ihn der SS-Führer mit den Worten begrüßte: „So, Baurat, da bist du ja. Ihr Schwaben habt eben immer besondere Dickköpfe, und dann macht ihr hin und wieder eine Dummheit . . . Wenn der alte Bosch dich nicht so geschätzt hätte, so hätte ich auch nichts für dich tun können.“

Mit von Berger ausgestellten Papieren trat Fischer am nächsten Tag die Heimreise an und traf nach mehrtägiger Fahrt mit der Eisenbahn und per Anhalter am 8. April 1945 in Ottendorf bei Schwäbisch Hall ein, wo seine Familie Zuflucht gesucht hatte.

Gottlob Berger ging als „militärischer Beauftragter des Führers“ noch Ende April 1945 nach Bayern, wo er in einem Jagdrevier Boschs im Tannheimer Tal von alliierten Truppen festgenommen wurde. Im amerikanischen „Wilhelmstraßen-Prozess“ wurde er 1949 zu einer Haftstrafe von 25 Jahren verurteilt, die nach einem Gnadengesuch 1951 auf zehn Jahre reduziert wurde. Wegen guter Führung wurde Gottlob Berger aber bereits im gleichen Jahr aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Landsberg entlassen. In seinem anschließenden Entnazifizierungsverfahren wurde er nachhaltig von der Robert Bosch GmbH unterstützt, die Berger auch finanziell immer wieder unter die Arme griff, indem sie ihm etwa im Jahr 1964 den gut honorierten Auftrag erteilte, seine Lebenserinnerungen zu schreiben. Schließlich sorgte die Firma auch dafür, dass Gottlob Berger bis zu seinem Tode im Jahr 1975 eine Pension für seine Tätigkeit als Lehrer vor 1933 beziehen konnte.

Ehrung durch den Bundespräsidenten

Für diese Unterstützung des ehemaligen SS-Führers und unverbesserlichen Nationalsozialisten zeichnete sicher auch Albrecht Fischer verantwortlich, der von Herbst 1945 an dem Aufsichtsrat der Robert Bosch GmbH angehörte und zeitweise dessen Vorsitzender war. Wenige Jahre vor seinem Tod am 19. Januar 1965 verfasste Fischer einen Bericht über seine „Erlebnisse vom 20. Juli 1944 bis 8. April 1945“. Dazu schrieb ihm Bundespräsident Theodor Heuss, der Fischer schon zu dessen 75. Geburtstag 1952 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen hatte, er habe die Aufzeichnungen mit „starker Anteilnahme“ gelesen und sei vor allem „durch ihre unpathetische Nüchternheit beeindruckt gewesen“.