Die Ökopartei – vorneweg Ministerpräsident Winfried Kretschmann – hatte ihren Frieden mit der Fahrzeugindustrie gemacht. Der VW-Skandal kommt ihnen deshalb gar nicht zupass. Verkehrsminister Winfried Hermann zeigt noch Biss.

Stuttgart - Vor knapp einem Jahr ließ der damalige Porsche-Chef Matthias Müller seinem Unmut über die Grünen freien Lauf. Zwar hätten sie erkannt, dass das Regieren Kompromisse verlange. Aber die alte Ideologie vom „bösen Auto“ sei noch immer lebendig. Das rege ihn auf, bekundete der Automanager in der „Süddeutschen Zeitung“ .

 

Inzwischen avancierte Müller zum Vorstandsvorsitzenden des Volkswagen-Konzerns, doch die Umstände dieses Avancements können ihm nicht recht sein. Mit den Betrügereien um die Abgassysteme der Dieselflotte fügte sich das Unternehmen einen Schaden zu, der viel größer ist, als ihn die Grünen selbst zu ihren wildesten Zeiten je zu verursachen vermocht hätten. Autokäufer rund um den Globus fühlen sich getäuscht, der Imageverlust für die Industrienation Deutschland ist noch unabsehbar.

Sorge um das „Made in Germany“

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es nun die Grünen in Baden-Württemberg sind, die ob des VW-Skandals besonders beunruhigt sein müssen. Schließlich stellen sie im Autoland Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten – und dem kann es alles andere als egal sein, wenn die in vielerlei Hinsicht wichtigste Wirtschaftsbranche seines Landes durch kriminelle Machenschaften ins Rutschen gerät. Denn ganz abgesehen davon, dass mit der VW-Tochter Audi auch ein im Südwesten heimischer Autoproduzent an den Machenschaften beteiligt ist: Winfried Kretschmann befürchtet zurecht, das „Desaster“ bei Volkswagen habe das Potenzial, das Vertrauen in die deutsche Industrie insgesamt zu erschüttern und den Nimbus des „Made in Germany“ zu beeinträchtigen. Das Exportland Baden-Württemberg wäre davon besonders betroffen. Jeder vierte Arbeitsplatz im Südwesten hänge von der Autoindustrie ab, bemerkte Kretschmann dieser Tage mit sorgenvollem Timbre. Er spreche derzeit mit allen Chefs der Autoindustrie im Land, auch mit Bosch.

Kretschmann: Kein libidinöses Verhältnis zum Auto

Der Kummer ist echt. Zwar verbindet den Ministerpräsiden nach eigener Wahrnehmung kein libidinöses Verhältnis zu den edlen Karossen, die in Sindelfingen oder Zuffenhausen vom Band laufen. Aber sein Respekt für die Leistung der Entwicklungsingenieure in der Autoindustrie und deren Zulieferer ist gewaltig. Dazu kommt das leise Wohlbehagen, das jeden baden-württembergischen Regierungschef durchströmt, wenn er draußen in der weiten Welt mit der scheuen Frage konfrontiert wird, was es denn mit diesem ominösen Stuttgart auf sich habe. Der knappe Hinweis „The home of Daimler and Porsche“ verwandelt unsichere Blicke in ein wissendes Lächeln.

Wie wunderbar doch die umweltbewussten Grünen und die Autoindustrie harmonierten, das erklärt Kretschmann regelmäßig mit dem Verweis auf seinen Dienstwagen. Jedes Mal, wenn ihm Daimler ein neues Gefährt ausliefere, falle der Schadstoffausstoß geringer aus. Das hat nach seinem Verständnis sehr viel mit den Grünen zu tun, doch meidet er forsche Formulierungen wie die von der „Innovationspeitsche“, mit der die Autoindustrie um ihres eigenen Glückes willen in Richtung umweltfreundliche Technik getrieben werden müsse. Sogar Kretschmanns Satz, weniger Autos seien besser als mehr Autos, versinkt allmählich im Schlamm des Vergessens und wird allenfalls zitiert, um den Wandel des Regierungschefs vom Autoskeptiker zum Autoversteher zu illustrieren.

Kommt zur Flüchtlingskrise die Autokrise?

Umso ungelegener kommt dem Ministerpräsidenten der Abgasskandal – auch mit Blick auf den Landtagswahlkampf. Noch vor wenigen Monaten hatten sich die Grünen-Strategen auf einen Wohlfühlwahlkampf eingerichtet. „Unser Land in guter Hand: Winfried Kretschmann “ – so etwa sollte die Botschaft an die Wähler lauten. Doch angesichts der Flüchtlingskrise ist es mit dem Wohlsein nicht mehr weit her. Eine Debatte um die Zukunftsfähigkeit des Automobilstandorts können die Grünen nicht auch noch am Hals haben wollen, zumal beides zusammenhängt. Die Sorge um die Sicherheit von Arbeitsplätzen ist geeignet, die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen zu beeinträchtigen.

Und so ist die Nervosität auf allen Seiten hoch. Das zeigen die empfindsamen Reaktionen auf ein Interview des Verkehrsministers Winfried Hermann. Der Grünen-Politiker hatte nicht nur den VW-Betrug angeprangert, sondern wollte nicht ausschließen, dass auch andere Hersteller Ähnliches praktiziert haben könnten. Er wünsche sich, „dass die sauber sind, aber ich bin nicht so blauäugig, das einfach zu glauben“, sagte Hermann. Das trug dem Staatsministerium böse Rückmeldungen aus der heimischen Autoindustrie ein. Von Seitens des Koalitionspartners SPD hieß es, Hermann habe wohl Blut geleckt und gebe alten autofeindlichen Instinkten nach. Bei den Wählern im Land komme das aber sicher nicht gut an.

Hermann will „realistische Messergebnisse“

Dabei verfolgt der Verkehrsminister ein ganz anderes Ziel. Der VW-Betrug um eine im Probelauf schadstoffmindernde Software sei das eine, sagt Hermann – ein Fall für die Staatsanwälte. Er aber will die Gunst der Stunde nutzen, um die ganz legalen Schadstoffmessungen vom Ruch der Schwindelei zu befreien. Er will „dass wir bis 2017 ein realitätsnahes Schadstoffmessverfahren in Europa einführen, das nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im Feld realistische Messergebnisse hervorbringt“. Damit sei es derzeit nicht weit her. Als Beispiel führt er an, dass die Messungen bei Tempo 120 endeten. Auch werde der innerstädtische Verkehr mit seinem typischen abrupten Abbremsen und schnellem Beschleunigen nicht korrekt abgebildet. „Das bisherige Messverfahren ist legale Verbrauchertäuschung“, rügt Hermann.

Der Minister verweist auf eine gemeinsame Studie des baden-württembergischen und des bayerischen Landesamts für Umwelt. Die Behörden untersuchten im Feldversuch den Ausstoß von Stickoxiden bei einem BMW, einem Volkswagen und einem Mazda – drei Autos mit jeweils unterschiedlichen Abgastechniken. Das Ergebnis: die Grenzwerte für Stickoxide wurden teilweise um ein Mehrfaches überschritten. Die Prüfer konstatieren, ein verschärftes Zulassungsverfahrens sei „unbedingt notwendig, um in absehbarer Zeit der Einhaltung der Immissionsgrenzwerte näherzukommen“.

Hermann sagt, früher hätten die Grünen nur auf den Öffentlichen Nahverkehr und das Fahrrad gesetzt. Das sei vorbei. „Da müssen Sie schon sehr suchen, um jemand zu finden, der so denkt.“ Heute gehe es um die Vernetzung der Verkehrsträger, um die intelligente Straße. Solche Sachen. Es gehe um „stimulieren, nicht strangulieren“. Kein Geringerer als Winfried Kretschmann habe das gesagt. Na dann.