Bassstunden von Die-Nerven-Drittel Julian Knoth und mehr: Das freie Theaterensemble Citizen.Kane hinterfragt in ihrer „Kollektion“ den Wunsch, in einer Band zu spielen.

Stuttgart - „Ich spiele in einer Band.“ Ein magischer Satz, der vielleicht nicht die Türen zu einem Bausparkredit, dafür aber zu den Herzen vieler junger Mädels öffnet. Und vielleicht auch zu den Schlafzimmern. Seit der Erfindung des Rock‘n‘Roll irgendwann in den Fünfzigern waren Ruhm, Bewunderung, Alkohol und Sex nicht unbedingt das wirkungsloseste Lockmittel, das die Menschen dazu brachte, alles hinzuschmeißen, um Rockstar zu werden.

 

Heute ist das freilich anders. Die großen Bands sind minutiös durchgetaktete Unternehmen, die allerhöchstens auf der Bühne noch einen auf „Sex, Drugs & Rock‘n‘Roll“ machen, die kleinen fahren eingepfercht in einen Mietvan von Jugendzentrum zu Jugendzentrum, wo sie für Bier, Pizza und Spritgeld ihr Talent vergeuden. Dennoch ist es ja cool, in einer Band zu sein. Anders, subversiv, frei. Aber warum eigentlich? Die sieben Menschen der freien Künstlerkommune Citizen.Kane Kollektiv haben sich das auch gefragt – und einen ihrer multimedialen „Die Kollektion“-Mottoabende im Nordlabor des Stuttgarter Schauspiels gleich mal unter diese Leitfrage gestellt. Untertitel: „Das riecht nach Pubertät“. „Smells Like Teen Spirit“ lässt grüßen.

Unverschämt berühmt

„Irgendwann fangen die meisten an, cool sein zu wollen“, findet Simon Kubat vom Kollektiv. „Das kommt wahrscheinlich mit dem Beginn der Pubertät ganz gut hin. Wie es dann weitergeht und wie sehr man den Druck hat, cool sein zu wollen, ist wohl bei jedem unterschiedlich. Aber nach Wertschätzung und Aufmerksamkeit lechzt jeder immer mal wieder – und da ist der Wunsch, rockstarmäßig angehimmelt zu werden und unverschämt berühmt zu sein, so etwas wie der Superlativ dieses Bedürfnisses.“ Weil solch ein Zustand als Rock-Band wahrscheinlicher ist als bei einer freien Theatergruppe, untersuchen die Citizen.Kane-Künstler in ihrer zehnten Kollektion mal ganz explizit den Reiz und die Vorteile des Bandlebens. „Die Gruppe Showcase beat le mot hat gesagt, sie würde Theater machen wie eine Band. Das“, so Kubat, „beschreibt ganz gut den Geist, der hinter unserer gemeinschaftlichen Arbeitsweise steht.“

Bassunterricht von Julian Knoth

Bei einem ihrer Stücke gab es beispielsweise so viel Live-Musik, dass neben den Theaterproben auch Bandproben angesetzt werden mussten. „Dabei mussten wir feststellen, dass es abgefahren viel Spaß macht, als Band zusammenzuspielen, selbst wenn man nur einen Griff auf der Gitarre kann und den die ganze Zeit durchhaut.“

Einen Abend lang geht das Kollektiv mit Gästen diesem schwer greifbaren Bandgefühl nach, will es auf unterschiedliche Weise heraufbeschwören. „Dafür müssen wir uns eine gemeinsame Geschichte schaffen“, gibt Kubat zu bedenken. „Alle Anwesenden, auch das Publikum, sind die Band. Vielleicht müssen wir uns auch erfolgreich und begehrt fühlen. Einfach mal ein Band-Fotoshooting machen. Merchandise verkaufen. Musik-Videos drehen. Wir werden natürlich mit Fachleuten sprechen. Und wir werden Musik machen.“

Die Türen stehen offen

Vom Fach ist neben Jan Georg Plavec von unserer Zeitung, der mit Hawelka auch eine eigene Band hat und sonst den ganzen Tag über Musik schreibt oder nachdenkt, auch Julian Knoth von den Nerven. Kurzdefinition von Simon Kubat: „Bassist, cooler Typ, angenehmer Gesprächspartner, interessanter Kopf.“ Gemeinsam mit dem Kollektiv geht es für die beiden dann hinein in einen performativen Abend, der sich nach mittlerweile neun Kollektionen schon die eine oder andere Regelmäßigkeit erarbeitet hat. „Die Leute kommen rein, die Türen stehen offen, man kann sich umschauen. Dann laute Musik, live. Hallo sagen, dann vielleicht schon mal ein Schnaps“, schildert Kubat.

Danach wird der Grundfrage mithilfe von Interviews, szenischen Einsprengseln, Musik debattiert, während das Publikum zwischendrin immer frei im Raum umherwandern kann – „um zum Beispiel ein Fotoshooting zu machen, persönliche Fragen zur Band zu beantworten, Merchandise zu kaufen oder von Julian Knoth Bassunterricht zu bekommen.“ Das gibt‘s zumindest mal nicht jeden Tag.

Das Thema einer Kollektion leitet sich meist von einem Stück ab, an dem das Kollektiv gerade arbeitet. „Wir versuchen, den Abend so zu nutzen, dass er uns neben dem Spaß, den wir haben, auch in unserer Arbeit weiterbringt.“ Warum Citizen.Kane das alles machen? Weil sie neugierig sind. „Wir wollen etwas herausfinden“, so Kubat. „Wir wollen einen guten Abend haben und unterhaltsam sein. Am Ende ist man aber selbst dafür verantwortlich, ob man Spaß hat.“ Das ist beim Konzert einer Band letztlich auch nicht anders…

Die Kollektion #10, 16. Mai 2017, 20 Uhr, Schauspiel Nord