Ulrich Maurer zieht aus dem Bundestag zurück. Von der Linken hat er sich am Wochenende auf dem Parteitag verabschiedet. Aber mit der SPD ist er immer noch nicht fertig.

Stuttgart - Am Ende seines politischen Weges bleiben Ulrich Maurer eine rote Rose und ein dankbares Wort. „Wir behalten dich im Herzen und in der Geschichte der Linken in Baden-Württemberg“, sagt Vorstandsmitglied Sybille Stamm im Stuttgarter Gewerkschaftshaus, wo die Linkspartei am Wochenende ihre Kandidaten für die Bundestagswahl aufgestellt hat.

 

Ulrich Maurer steht neben ihr und lächelt gerührt, soweit man dies dieser sturmgegerbten Landschaft entnehmen kann, die sein Antlitz darstellt. „Wir haben ganz schön was aus dem Boden gestampft“, hatte sich der 64-Jährige, der nicht mehr für den Bundestag kandidiert, in seiner Abschiedsrede gelobt. Überhaupt seien die Jahre seit 2005, dem Austritt aus der SPD, seine besten als Politiker gewesen. „Ich hatte zwar manchmal mit Verrückten, aber doch mit Idealisten zu tun, statt mit diesen verdammten abgezockten Zynikern, die nur ihre Karriere und die Schlagzeile des nächsten Tages im Kopf haben.“

Das Trauma der Agendapolitik

Solche Sätze zeigen: Da ist eine andere Geschichte noch nicht zu ihrem Ende gekommen. Sie berichtet nicht von Maurer und der Linken, sie erzählt von Maurer und der SPD. Zwölf Jahre war er ihr Vorsitzender in Baden-Württemberg – von 1987 bis 1999. Viele Jahre – von 1992 bis 2001 – führt er die Landtagsfraktion. Während der Großen Koalition unter Erwin Teufel von 1992 bis 1996 zählte er zu den dominierenden Gestalten der Landespolitik. Der „Rote Riese“ wurde er genannt. Günther Oettinger erzählte später, er habe als Chef der CDU-Landtagsfraktion viel von Maurer gelernt.

Links in der strikten Form, wie er es heute ist, war Maurer damals nicht. Schon links, aber – wie man bei den Grünen sagen würde – ganz Realo. Maurers Streben galt in jener Zeit, die sich mitunter im Illusorischen verlierende Landes-SPD auf Regierungskurs zu halten. Wo die Macht lieblich lächelte, wollte er sich nicht abwenden. Nur blieb die Macht meist kühl und distanziert. 1994 fungierte der Stuttgarter als Schatteninnenminister im Regierungsteam des SPD-Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping. „Einer muss ja den Noske machen“, flachste der historisch belesene Maurer in Anspielung auf den ersten sozialdemokratischen Reichswehrminister, der in den Geburtswehen der Weimarer Republik den kommunistisch inspirierten Spartakus-Aufstand niederschlagen ließ.

Anzüge von Brioni trug er nie

Eine feine historische Dialektik führte Maurer später zur Linkspartei: 1996 flog die SPD aus der Großen Koalition im Land, damit begann Maurers langer Sinkflug. Mit Gerhard Schröder konnte er nichts anfangen. Als er sich in Baden-Württemberg von den Genossen aus allen Machtpositionen vertrieben sah und ihm 2004 auch Platz eins der Landesliste für die Europawahl verwehrt wurde, trat er aus der SPD aus.

Verdruss über die Agendapolitik mochte eine Rolle gespielt haben, nicht minder aber verletzte Eitelkeit und der Frust über die zerstörte Karriere. Wobei Ulrich Maurer zugute zu halten ist: dem Glamour und der sich im Materiellen manifestierenden Prestigesucht hatte er sich fern gehalten. Man kann ihm manches vorwerfen, das Tragen von Brioni-Anzügen nicht.

2005 zog er für die Linkspartei – dem Zusammenschluss der Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit sowie der PDS – in den Bundestag ein. Zudem zeichnete er, der Vertraute Oskar Lafontaines, verantwortlich für den Aufbau West der Partei. Ein Werk, das zuletzt bei den Wahlen in Niedersachsen weiter ins Wanken geraten ist. Die Linke verfehlte den Wiedereinzug ins Landesparlament. Maurer erklärt das beim Landesparteitag am Wochenende mit dem resignierten Rückzug der großen Schar der „arbeitenden Armen“, der Millionen Menschen in prekärer Beschäftigung, aus der Politik. Die meisten Stimmen, berichtet Maurer, seien ans Nichtwählerlager verloren gegangen. Und immer wieder arbeitet er sich an der SPD ab. Gerhard Schröder und Peer Steinbrück nennt er in vielerlei Variationen „verantwortlich für die Entfesselung des Finanzmarktkapitalismus“.

Unter Inanspruchnahme einer erheblichen Menge an Pathos sagt Maurer: „Ich werde bis zum Ende meines Lebens mit dieser Partei sein und mit ihren Idealen“ – trotz der zum Teil „unsäglichen Selbstzerfleischungsprozesse“, die er bei der Linken habe erleben müssen. Aber das sei es wert gewesen. Müsste er in den Spiegel schauen und „mir sagen, ich habe mich verkauft für ein paar Honorare, das würde mich so ankotzen, das kann ich euch gar nicht sagen“.

Landesliste gewählt

Was das Selbstzerfleischen angeht, ist es zumindest vorläufig und trotz gegenteiliger Vorhersagen besser geworden seit dem Göttinger Parteitag und der Wahl der neuen Führungsspitze mit dem bisherigen Stuttgarter Verdi-Bezirksleiter Bernd Riexinger und der Dresdnerin Katja Kipping. Riexinger fordert in Stuttgart einen flächendeckenden Mindestlohn von zehn Euro die Stunde, was später einmal für eine Mindestrente von nicht einmal 700 Euro reichen werde. Als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl werden auf Platz eins der 61-jährige Michael Schlecht, „Chefvolkswirt“ der Bundestagsfraktion, sowie auf Platz zwei die Tübinger Abgeordnete Heike Hänsel gewählt. Derzeit verfügt der Landesverband über sechs Mandate.