Palermos Kirche hat den ermordeten Priester Pino Puglisi selig gesprochen. Sein Vermächtnis allerdings ignoriert sie. Don Pino hatte sich nämlich mit der Mafia angelegt – und die war mächtig in Palermo.

Rom - Dieses Lächeln“, sagte einer der vier Killer später vor Gericht, „das kann ich nicht vergessen. Don Pino hat sich zu uns umgedreht. ,Ich habe euch schon erwartet‘, hat er gesagt. Er hat uns angelächelt. Dann habe ich ihm in den Nacken geschossen.“ So starb Pfarrer Pino Puglisi. Es war der 15. September 1993, sein 56. Geburtstag. Zur Beerdigung ein paar Tage später kamen 8000 Menschen. Nur aus seiner eigenen Gemeinde, aus Brancaccio, kam kaum jemand. Die Fensterläden blieben verriegelt, die Balkone leer. Don Pino hatte sich mit der Mafia angelegt. Die Mafia war mächtig in diesem Stadtteil Palermos, da empfahl es sich nicht, Sympathie für ihren Todfeind zu zeigen.

 

Dass die Cosa Nostra heute noch mächtig ist in diesem sozialen Brennpunkt mit seinen mehr als 8000, in gesichtslosen Wohnblöcken zusammengepferchten Bewohnern, das erfährt Maurizio Artale alle paar Wochen neu. Im April brannten wieder mal Autoreifen in seiner Nähe, immer wieder räumen Einbrecher sein Büro leer. „Aber nie“, sagt Artale, „hat irgendjemand in der Nachbarschaft etwas bemerkt. Nie wird ein Täter gefasst.“

Artale, als Straßenkind in Palermo aufgewachsen, leitet in Brancaccio das Vaterunser-Zentrum, das Puglisi 1991 gegründet hat. Wie Puglisi bemühen sich Artale und seine 150 Ehrenamtlichen, die Jugendlichen – viele aus armen Familien, meist arbeitslos, sehr viele Schulabbrecher – von der Straße und damit aus den Fängen der organisierten Kriminalität zu holen. „Andere Ideen fürs Leben“ wollen sie in den Köpfen verankern, sagt Artale: „Das ist der erste Schritt zur Veränderung in einem Viertel, wo die Mafia nicht will, dass es Schulen, Firmen, Ausbildungsplätze gibt, weil sie sonst ihre Macht einbüßen würde.“

100.000 Menschen werden in Palermo erwartet

Am Samstag wurde Don Pino Puglisi in seiner Heimatstadt Palermo seliggesprochen. Als „Märtyrer des Glaubens“. Mit 100 000 Teilnehmern rechnet die Erzdiözese – aber sie tut so, als gäbe es das Vaterunser-Zentrum gar nicht. Kein Hinweis auf den Internetseiten, keine Auskunft im Ordinariat. „Von allen, die Puglisi in Palermo jetzt so loben, haben die Leute in Brancaccio bisher keinen gesehen. Keinen Bischof, den Kardinal auch nicht. Und hätten die anderen Priester damals Puglisi unterstützt, hätte die Mafia ihn auch nicht ermorden können“, sagt Artale.

Die Haltung der katholischen Kirche zur Mafia war lange Zeit nicht eindeutig. „Das Bewusstsein, dass Mafia und christliche Lebensweise unvereinbar sind, hat sich bei uns erst Schritt für Schritt entwickelt“, gibt Michele Pennisi zu, der neue Erzbischof von Monreale, gleich oberhalb von Palermo. „Wir haben eine Kirche von Mafiosi“, sagt Staatsanwalt Roberto Scarpinato sogar: „Sie besteht aus Kirchenleuten, die nicht selbst Mafiosi sind, aber durchtränkt von einer mafiösen Kultur, weil sie aus dem demselben gesellschaftlichen Umfeld stammen. Zahlreiche Bosse haben Priester und Bischöfe in ihrer Verwandtschaft. Manche Priester wollen sich nicht entscheiden zwischen Staat und Antistaat.“

Bosse zeigen sich als fromme Leute. Sie lesen die Bibel, umgeben sich mit Marienbildern, sponsern teure Heiligenprozessionen. Untergetauchte Paten – wie Toto Riina, der „Boss der Bosse“ – ließen sich von Priestern gar die Messe lesen. „Wir sind Seelsorger, keine Staatsanwälte; wir dürfen nicht verurteilen“, rechtfertigten sich solche Pfarrer oft, bis in jüngste Zeit: „Wir besuchen diese Menschen, um sie zu bekehren.“ Dabei hatten einzelne Bischöfe längst erklärt, dass es eine Seelenbekehrung ohne soziale Wiedergutmachung und ohne die Selbstauslieferung an die Justiz nicht gäbe.

Ein Pole hat Italiens Kirche aufgerüttelt

Den Stein ins Rollen brachte ein Pole. Im Mai 1993 rief Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Sizilien die Mafiosi in dramatischen Worten zur Bekehrung auf: „Das Gericht Gottes kommt!“ Erst danach – und erst nach dem Attentat auf Don Puglisi – fanden die sizilianischen Bischöfe zu gemeinsamen Worten: „Die Mafia gehört ohne Ausnahme zum Reich der Sünde. Alle, die der Mafia angehören oder ihr gegenüber nachsichtig sind, leben in unheilbarem Gegensatz zum Evangelium, außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft.“

So weit die Worte von 1994. Heute, zur Feier Don Puglisis, geben die sizilianischen Bischöfe mit dessen Worten zu, dass sie „noch nicht an der Endstation angekommen“ sind. Dafür bauen sie „unserem Seligen“ jetzt eine riesige Kirche. Auf einem Grundstück, das der Staat einem Mafiaunternehmer abgenommen hat. Siegt Beton über die Mafia? Maurizio Artale von Puglisis Vaterunser-Zentrum ist skeptisch: „Sie bleiben wieder nur im Inneren ihrer Pfarrei, bei Bibel- und Kommunionkursen. Sie richten sich wieder nur an ihre Gläubigen. Wir nehmen alle Menschen auf und fragen konkret, was sie zum Leben brauchen. Dafür haben wir von der Erzdiözese noch keinen Cent bekommen.“