70 Jahre nach Kriegsende finden in Deutschland erstmals die europäischen Makkabi-Spiele statt. Mehr als 2000 jüdische Athleten schreiben kommende Woche in Berlin Geschichte.

Berlin - Oren Osterer kann kaum einen Satz zu Ende reden, ohne dass irgendwo ein Telefon klingelt. Gerade hat das BKA angerufen wegen der Eröffnungszeremonie, Mails laufen im Minutentakt ein. 800 sind es pro Tag. „Wir schlafen kaum noch, und so was wie Nachrichten hab ich schon wochenlang nicht mehr gesehen“, sagt Osterer. „Und ich bin mir ziemlich sicher: Solche Aufmerksamkeit hat es für die Spiele noch nie gegeben.“

 

Kein Wunder: das Sportfest, das Osterer mit seinem kleinen Team in einem Kreuzberger Büro gerade auf die Beine stellt und das in der kommenden Woche in Berlin gefeiert wird, ist mit enormer zeitgeschichtlicher Bedeutung aufgeladen. Zum ersten Mal überhaupt finden die European Maccabi Games 2015 in Deutschland statt – 70 Jahre nach dem Ende der Schoah, und 50 Jahre nachdem Israel und Deutschland begonnen haben, diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

2300 jüdische Sportler aus 36 Nationen werden ihre Wettkämpfe vor der Kulisse des Olympiastadions und -Parks austragen, das Adolf Hitler für seine NS-Propagandaspiele von 1936 errichten ließ. Sportler jüdischen Glaubens waren damals von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Nun folgt ein später – und in der jüdischen Sportlergemeinde nicht unumstrittener – Triumph.

Die European Maccabi Games sind die europäische Ausgabe der Makkabiade, einer Art Olympischer Spiele, die alle vier Jahre in Tel Aviv ausgetragen wird. Die Makkabiade entstand lange bevor es den Staat Israel gab aus der zionistischen Bewegung. Dass die weltweite jüdische Sportlerbewegung Makkabi sich entwickelte, hat viel mit Antisemitismus und Nationalismus zu tun: Mit Entstehung der Turnvereine Ende des 19. Jahrhunderts wurden jüdische Sportlerinnen und Sportler aus „völkischer“ Gesinnung heraus ausgegrenzt und durften nicht Mitglied werden. Sie gründeten ihre eigenen Vereine. Der erste jüdische Turnverein fand sich 1896 im heutigen Istanbul zusammen. Der Makkabi-Weltverband formierte sich 1921 in Berlin, damals noch ein Zentrum jüdischen Lebens. Heute gibt es mehr als 450 Makkabi-Vereine in mehr als 60 Ländern. In Deutschland haben 37 Vereine etwa 4000 Mitglieder.

Berlin als Austragungsort war umstritten

Die erste Makkabiade fand 1932 in Tel Aviv statt. Die europäische Ausgabe ist jünger und wird jeweils um zwei Jahre versetzt ausgetragen. Der Entscheidung vom Juli 2013, die 14. Europäischen Spiele erstmals nach Deutschland zu vergeben, war heiß diskutiert. „Am Ende hat sich aber eine große Mehrheit vor allem aus der jüngeren Generation durchgesetzt“, sagt Osterer. Die Zweifler wollten nicht, dass die Geschichte zu diesem Zeitpunkt, an dem noch Opfer und Täter des Holocaust leben, auf diese Weise fortgeschrieben wird.

Für die Befürworter geht es dagegen um die Gegenwart: „Die jüngere Generation versteht sich ganz klar als deutsche Juden.“ Osterer, 34 Jahre alt, ist glücklich darüber, dass dieses Selbstverständnis nun einen solchen Ausdruck findet. Auch der Präsident des deutschen Makkabi-Verbandes, Alon Meyer, erklärte jüngst, er wolle bei den Spielen zeigen, dass es nun „ein anderes Deutschland“ gebe. Er stehe für eine Generation von Juden, „die sich wohl, gut und sicher“ in Deutschland fühlt, sagte er. Dieses Bild solle nach außen getragen werden. Von der deutschen Politik und auch von der Hauptstadt jedenfalls werden die Sportler mit offenen Armen empfangen: Bundespräsident Joachim Gauck wird als Schirmherr die Spiele am kommenden Dienstag in der Waldbühne mit einer Rede eröffnen. Vor der Eröffnung wird es eine Begehung der Ausstellung im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg und eine Gedenkveranstaltung auf dem Maifeld geben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schrieb in der „Jüdischen Allgemeinen“: „Angesicht der Vergangenheit könne Deutschland „für die wieder erstarkte Vielfalt jüdischen Lebens unter uns und das neu gewachsene Vertrauen der Gäste aus dem Ausland nur zutiefst dankbar sein“.

Die Spiele werden von der Bundesregierung und vor allem vom Land Berlin mitfinanziert – deutsche Unternehmen, so ist von den Veranstaltern zu hören, seien lange zögerlich mit dem Sponsoring gewesen. Zu den prominenten Unterstützern gehören der Bundesjustizminister Heiko Maaß (SPD), der Innenminister Thomas de Maizière und die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). De Maizière nannte die Austragung der Spiele eine schöne Botschaft, wie sich Geschichte zum Guten wenden könne.

Rekordbeteiligung und Sicherheitsfragen

Die historische und politische Dimension des Ereignisses ist nur eine der Herausforderungen, vor der die Maccabi Games stehen. Es gibt auch ganz praktische: Osterer erwartet eine Rekordbeteiligung bei den Sportlern, dazu kommen ein enormes Medieninteresse – und die Sorge um die Sicherheit. Verbandspräsident Meyer hatte vorab erklärt, viele sorgten sich um diesen Aspekt. So wurde zum Beispiel, obwohl die Behörden keine besondere Bedrohungslage erkannt hatten, die ursprüngliche Idee verworfen, die Spiele am Brandenburger Tor zu eröffnen.

Auch Innenminister De Maiziere erklärte, der Sicherheitsaspekt spiele eine große Rolle. Auch wenn niemand absolute Sicherheit garantieren könne, so sei die Berliner Polizei doch sehr geübt bei derartigen Großveranstaltungen: „Wir tun unser Bestes, und das ist hoffentlich genug.“ Die Veranstalter berichteten, die Polizei habe von der bisher größten Herausforderung beim „Spagat zwischen Offenheit und Sicherheit“ gesprochen. So werden die Sportler zum Beispiel zentral inm sehr großen Hotel Estrel untergebracht, was unter Sicherheitsaspekten als logistisch günstig gilt Andererseits liegt das Hotel im Berliner Bezirk Neukölln, in dem viele arabischstämmige Berliner leben und es zuletzt am „Al-Quds-Tag“ vor wenigen Wochen wieder zu antisemitischen Ausfällen kam. Es wird streng bewacht werden.

So langsam rücken die Spiele auch ins Blickfeld der Berliner – allerdings gibt es noch Karten für die Sportveranstaltungen und auch für die Eröffnung mit ihrem Showprogramm: In der Waldbühne – wo 1936 die Turner ihre Wettbewerbe ausgetragen hatten – werden die Sportler der 36 Nationen einlaufen. Und wenn es über dem Rund der Publikumstribüne langsam dämmert, dann wird Musik der Sänger Adel Tawil und Matisyahu und der Berliner Band Jewdyssee erklingen. Zum Abschluss findet ein Feuerwerk über dem Olympiapark statt. Zu den Sportarten, in denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in verschiedenen Altersklassen messen, gehören Klassiker wie Basketball, Fußball, Fechten, Tennis, Triathlon oder Dressurreiten, aber auch Exoten wie Bridge, Ten Pin Bowling und Futsal – eine Art Hallenfußball ohne Bandenbegrenzung mit je fünf Spielen pro Mannschaft. Die Spiele werden von Sportpaten unterstützt – unter anderem vom Fußball-Weltmeister Jérôme Boateng und von der Schwimmerin Sarah Poewe, die als erste jüdische Athletin nach 1945 eine Medaille für Deutschland gewann. Zu den Höhepunkten fürs Publikum gehören die „Let’s Play Together”-Spiele: Hier treten Makkabi-Sportler gegen Profi- und Promimannschaften an. Im Fußball sind die DFB-All-Stars mit ehemaligen deutschen Nationalspielern die Gegner, im Basketball eine Auswahl von Maccabi Tel Aviv und berliner Alba-Profis.