Die US-Filmakademie hat die Nominierungen für die diesjährigen Oscars bekannt gemacht. Ganz vorn: das Wildnisdrama „The Revenant“ mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Los Angeles - Wenn es einen ebenso kapitalen wie unausrottbaren Fehler in der Oscar-Berichterstattung gibt, dann diesen: aus der Zahl der Nominierungen, die ein einzelner Film auf sich vereinen kann, Rückschlüsse auf seine realen Gewinnerchancen zu ziehen: „,The Revenant‘ geht als großer Oscar-Favorit ins Rennen“, heißt es gerade überall. Seufz!

 

Ja, es stimmt zwar: Das Wildnis-Überlebensdrama von Alejandro G. Inárritu ist seit Donnerstag in zwölf Kategorien nominiert für den begehrtesten Filmpreis des Jahres, der nach geheimer Abstimmung in sechs Wochen von den Mitgliedern der American Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Los Angeles verliehen wird – auch Leonardo DiCaprio darf sich Hoffnung machen als „bester Hauptdarsteller“. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass ein Film mit einem Dutzend Nominierungen in die Oscar-Nacht geht und zum Schluss völlig leer herauskommt. Auch, wenn sich gerade fast alle Kritiker und Zuschauer sehr einig sind, dass Inárritus Film ein Ausnahmewerk ist, in dem sich wundersam größtmögliche Spannung, erzählerische Dichte, Bildkunst und Relevanz treffen: alles ist beim Oscar möglich! Auch die Besten sind hier schon durch den Rost gefallen.

Denn wer von den Oscar-Erbsenzählern hätte vor der Nominierungspräsentation vermutet, dass gleich auf Platz zwei ihrer angeblich so aussagekräftigen Zahlenhitparade ein Streifen liegt, mit dem wohl die wenigsten Freunde subtiler Filmkunst zuvor ernsthaft gerechnet hätten? George Millers Endzeit-Actionthriller „Mad Max: Fury Road“ tritt nun in satten zehn Kategorien an, auch in den beiden Königskategorien Regie und bester Film. Crash!

Bei den „besten Filmen“ herrscht großes Gedrängel

Überhaupt versammelt sich just in der Liste der „besten Filme“ ein ganzes Collier an Kinoperlen: Adam McKays Börsensatire „The Big Short“ neben Steven Spielbergs Spionagedrama „Bridge of Spies“; Ridley Scotts Science-Fiction-Hit „Der Marsianer“ neben der elegischen britischen Romanverfilmung „Brooklyn“ von John Crowley, Thomas McCarthys Hymne auf eine freie Presse („Spotlight“) neben der kleinen kanadischen Independent-Produktion „Room“ von Lenny Abrahamson. Jeder ist da für eine Überraschung gut.

Bei den Schauspielern muss sich DiCaprio dem Vergleich mit Bryan Cranston („Trumbo“), Matt Damon („Der Marsianer“), Michael Fassbender („Steve Jobs“) und Eddie Redmayne („The Danish Girl“) stellen – puh, das ist nicht Champions League, das ist eigentlich schon die aktuelle WM. Bei den Schauspielerinnen sind Cate Blanchett („Carol“), Brie Larson („Room“), Jennifer Lawrence („Joy“), Charlotte Rampling („45 Years“) und Saoirse Roman („Brooklyn“) im Rennen. Dass die wunderbare zweite „Carol“-Hauptdarstellerin Rooney Mara als Nebendarstellerin nominiert ist, gehört zu den Seltsamkeiten des Oscars, die der Beobachter nicht verstehen, sondern einfach hinnehmen muss.

Der deutsche Spielfilm-Kandidat „Im Labyrinth des Schweigens“ hat es (erwartungsgemäß) nicht geschafft. Trotzdem ist ein Deutscher bei den Nominierten dabei: Patrick Vollrath beim „besten Kurzfilm“ mit seiner Vater-Tochter-Geschichte „Alles wird gut“. Gab es jemals eine langweilige Oscar-Nacht? Die diesjährige am 28. Februar wird es ganz sicher auch nicht.