Die Partei Nein-Idee will erreichen, dass allein die Bürger polititische Entscheidungen treffen. Teil vier der StZ-Serie „Gleichgesinnt“.

Region: Verena Mayer (ena)

Aalen - Es macht nicht zwingend Spaß, ein Nein-Sager zu sein. Oder, wie die Nein-Sager sich mitunter selbst nennen: ein Neiner. Es mangelt am Respekt der Öffentlichkeit. Der sozialdemokratische Innenminister Reinhold Gall geißelt die Partei Nein-Idee als „schlimmen Auswuchs“. Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling findet sie „sehr merkwürdig“. Und für die meisten Bürger sind die Neiner nicht mehr als Juxkandidaten. Es kommt den meisten Leuten eben komisch vor, wenn sich Menschen als Bürgermeister bewerben, aber von Anfang an sagen, dass sie das Amt in hundert kalten Wintern nicht antreten würden. Oder die ankündigen, in fast allen Debatten mit Nein zu stimmen, sollten sie jemals in einen Kreis- oder Landtag gewählt werden oder gar in den Bundestag.

 

Ein Nein-Sager muss deshalb sehr genau wissen, was er will, und noch genauer, was er nicht will. Er muss sich trauen, für seine Meinung einzustehen und stehen zu bleiben, auch wenn die Zuhörer „Buh“ rufen und „Raus!“ johlen.

Der das sagt, heißt Hans-Jörg Nordmeyer. Er ist 51 Jahre, gestaltet hauptberuflich Gärten und hält Häuser instand. Ehrenamtlich ist er der Vorsitzende der Nein-Idee in Baden-Württemberg und Mitglied im Kreisverband Ostalb, dem ersten Kreisverband der Partei im Land. Dessen Vorsitzender heißt Heiko Gold, die Geschäftsführerin Melanie Ruthenberg. So paradox es für Reinhold Gall, Hans-Georg Wehling und viele Bürger klingen mag: Hans-Jörg Nordmeyer, Heiko Gold und Melanie Ruthenberg wollen Politikverdrossenheit in Engagement verwandeln.

Virtuelles Vorstellungsprogramm

Früher hat Hans-Jörg Nordmeyer die Grünen gewählt. Weil sie ihm immer fremder wurden, wechselte er zur Linken. Besser aufgehoben fühlte er sich dort nur vorübergehend. Als die Piraten auftauchten, machte er bei ihnen sein Kreuz. Es dauerte nicht lange, dann hatten die streitenden Piratenpolitiker den zunehmend frustrierten Wähler Nordmeyer ebenfalls vergrätzt. Was nun?

Gar nicht wählen will Hans-Jörg Nordmeyer nicht. Ungültig ebenso wenig. Nordmeyer will, dass seine Stimme zählt. Als er im Internet die Nein-Idee entdeckt, weiß er endlich, was er tun kann: offiziell Nein wählen.

Im virtuellen Vorstellungsprogramm der Nein-Idee spielt Waldmeistereis eine entscheidende Rolle. Man möge sich vorstellen, führt der Bundesvorsitzende Michael König in einem kurzen Film aus, man gehe zum Eisverkäufer und bestelle Waldmeistereis. Doch leider biete der Verkäufer nur Schoko und Erdbeere an, weshalb man sich als Kunde abwende. Wenn es gut läuft, erklärt Michael König weiter, überdenkt der Verkäufer sein Sortiment und stellt ein Angebot zusammen, mit dem die Menschen zufrieden sind. „Im Moment sehe ich kein Waldmeistereis in der Politik“, sagt Michael König am Ende seines eiswirtschaftlichen Vergleichs. Der 43-jährige Architekt aus Niedersachsen hat deshalb am 1. April 2012 die Partei Nein-Idee mit gegründet. Ihr Angebot ist so kunden- respektive wählerfreundlich wie simpel: zu allem, was kommt, Nein sagen und die Bürger entscheiden lassen.

Mag die Republik kein Waldmeistereis?

Das überzeugt Hans-Jörg Nordmeyer. Er wird Mitglied der Partei, gründet im November 2013 ihren Ableger in Baden-Württemberg, der aktuell 17 Mitglieder hat, und initiiert den ersten Kreisverband in seiner Heimat, zu dem bis jetzt sieben Neiner Ja gesagt haben.

Was in Tageszeitungen über die Nein-Idee zu lesen ist, ist entweder nicht viel oder nicht sonderlich schmeichelhaft. Das „Offenburger Tagblatt“ etwa stichelt in einem Interview mit einem Nein-Kandidaten für die Bürgermeisterwahl in Hohberg: „Meinen Sie nicht auch, dass sich etliche Bürger veräppelt fühlen?“ Die „Südwestpresse“ wertet die Nein-Idee als eine „Art von Nihilismus“ und echauffiert sich, weil Kandidaten der Partei meist gar nicht wüssten, was die Bürger in ihren Kommunen umtreibe. In Dischingen beschließt der Gemeinderat, auf eine Vorstellungsrunde vor der Bürgermeisterwahl zu verzichten, da der einzige Gegenkandidat das Amt ohnehin nicht antreten würde. In Ertingen wiederum wird der Nein-Idee-Bewerber bei der Präsentation ausgebuht und ausgelacht.

Der Bewerber hieß in diesem Fall Hans-Jörg Nordmeyer. Er sagt noch heute, ein Dreivierteljahr nach seinem Auftritt in Ertingen: „Das war furchtbar. Da ging es mir so schlecht.“

Unvorstellbare 20,2 Prozent

Mag die Republik womöglich gar kein Waldmeistereis? Nach der Lesart der Nein-Idee verhält es sich eher so, dass die Kunden sich noch an den Geschmack gewöhnen müssen.

Seit 2013 ist die Partei bei mehr als 150 Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg angetreten. Waren die Neiner anfangs froh, wenn sie mehr als ein Prozent der Stimmen bekamen, sind zweistellige Ergebnisse inzwischen nicht mehr ganz so selten. Den Rekord hat im Mai dieses Jahres der Kreisvorsitzende Heiko Gold aufgestellt: In Tannhausen kommt er auf bis dato unvorstellbare 20,2 Prozent. Gold war der einzige Herausforderer des seit 16 Jahren amtierenden Bürgermeisters Manfred Haase – und ist noch immer fasziniert vom Verlauf der Wahl: „Die Leute haben sogar Flugblätter verteilt, auf denen stand: Wählt Heiko Gold!’’

Hätte der 41-jährige Messe- und Montagebauer die Wahl gewonnen, hätte er sie – wie angekündigt – nicht angenommen, und ein neuer Anlauf wäre nötig gewesen. Ein deutliches Nein, lernt der Amtsinhaber Manfred Haase an diesem Tag, kann also durchaus eine Ansage sein. Die Wahlbeteiligung in Tannhausen lag übrigens bei beachtlichen 49 Prozent.

Spurenelemente von Waldmeister!

Die Sehnsucht nach einem Ausweg

In der Welt, die Heiko Gold gefällt, haftet nicht die Allgemeinheit für die Fehler von „Kapitalzockern“. „Hart verdientestes Steuergeld“ wird nicht für „Prestigeprojekte wie Stuttgart 21“ ausgegeben. In dieser gefälligen Welt gibt es keinen Gen-Mais, kein Fracking und kein Freihandelsabkommen. Doch es ist für die Partei grundsätzlich irrelevant, wie ihre Mitglieder politisch gefärbt sind. Der Kreisverband Ostalb würde sich auch über Mitstreiter freuen, die eher Ansichten der CDU teilen oder der SPD oder sonst einer etablierten Partei. Die Nein-Kollegen in Bayern etwa nahmen einen ehemaligen NPD-Aktivisten auf und schickten ihn als einzigen Direktkandidaten in die jüngste Bundestagswahl. Entscheidend für jeden Neiner ist das Empfinden, sich von den etablierten Politikern nicht mehr vertreten zu fühlen, und die Sehnsucht nach einem Ausweg. „Die Couleur muss verschwinden, über allem muss die Allgemeinheit stehen“, sagt Heiko Gold.

In der Welt, die allen Neinern gefällt, wird zu Prestigeprojekten, neuen Technologien oder bedeutenden Abkommen nur deshalb Ja gesagt (oder auch nicht), weil die Politiker auf mündige Bürger hören statt auf mächtige Lobbyisten. In dieser gefälligen Welt werden die Politiker zur Ausrichtung auf das Volk gezwungen, weil aus desillusionierten Nichtwählern mächtige Nein-Wähler werden, die Nein-Sager in Parlamente schicken, wo sie so lange kategorisch alles ablehnen, bis wieder auf Volkes Stimme gehört wird.

So weit die Theorie. Die Praxis sieht so aus, dass die kompromisslose Partei bis jetzt in keinem Landtag vertreten ist, nicht im Bundestag sitzt und auch bei der jüngsten Kommunalwahl keinen einzigen Sitz errang.

Ein Ziel scheint erreicht

Im Bistro Bahnhöfle in Heubach, das quasi die Parteizentrale des Kreisverbands ist, wird am 1. November der „dümmste Bauer unterm Rosenstein“ (dem Hausberg) gekürt. Im Mai hat die Nein-Idee Interessenten mit einem Kilo Saatkartoffeln ausgerüstet – verbunden mit dem Auftrag, sie so zahlreich und so groß wie nur irgendmöglich zu vermehren. Oder mit anderen Worten: aus dem Einsatz eine maximale Rendite rauszuholen. Entgegen allen Beteuerungen, wonach Werte und Wohlstand in Aktiendepots und Geldhäusern entstehen, solle die Aktion bewusstmachen, wo die Grundlagen einer Wertschöpfungskette liegen, erklärt Geschäftsführerin Melanie Ruthenberg, die mit dieser Veranstaltung auch den Bekanntheitsgrad der Nein-Idee vergrößern möchte. Dieses Ziel scheint schon mal erreicht: Bei der Ausgabe haben 28 Dumme-Bauer-Kandidaten Kartoffeln abgeholt.

Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung teilt die gängigen abfälligen Ansichten über die Nein-Idee übrigens nicht. Er sagt: „Jede Idee, die Menschen dazu bewegt, sich mit Politik zu beschäftigen, ist gut.“