Das ZDF zeigt die Verfilmung von Ken Folletts Weltbestseller „Die Pfeiler der Macht“. Der Regisseur Christian Schwochow gibt dem Zweiteiler um Aufstieg und Fall eines Londoner Bankhauses eine erfrischend exaltierte Note.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Berliner Polit-Intrigen („Die Stadt und die Macht“), menschenverachtende Kinderprostitution („Operation Zucker – Jagdgesellschaft“), ballersatte Krimi-Action (Til-Schweiger-„Tatorte“) – das ist das kratzige Garn, aus dem die ersten TV-Events des neuen Jahres gestrickt waren. Das ZDF-Historiendrama „Die Pfeiler der Macht“ nach dem Bestseller von Ken Follett bietet eine willkommene Abwechslung. In diesen Zweiteiler kann man sich wie in ein mit seidigen Kissen ausstaffiertes Bett hineinfallen lassen. Man landet weich und sinkt tief hinab ins ferne 19. Jahrhundert.

 

Der Regisseur Christian Schwochow und die Drehbuchautorin Annette Simon erzählen die Geschichte der Bankiersfamilie Pilaster im viktorianischen London, wobei das Drehbuch bei Figurenset und Handlungslinien deutlich von der Vorlage abweicht. Die Inszenierung verbindet ein facettenreiches Familiendrama, gespeist aus dem Streben nach Macht und Liebeserfüllung, mit einem Gesellschaftspanorama, das Überfluss und Sittenkodex der Reichen mit dem Elend der Arbeiterschicht kontrastiert.

Diesen gegensätzlichen Milieus entstammen die beiden Hauptfiguren, Hugh und Maisie. Der Vater von Hugh Pilaster (Dominic Thorburn) nimmt sich nach dem Bankrott seiner Textilfirma das Leben, was den jüngsten Pilaster-Spross zum schwarzen Schaf der so machtvollen wie zerstrittenen Methodistenfamilie macht. Hugh wächst fortan bei seinem Onkel Joseph (Thorsten Merten) auf; sein Großvater Seth (Rolf Hoppe) erweist ihm die Gnade, im ehrwürdigen Bankhaus eine Lehre machen zu dürfen.

Der Weg zur Spitze ist verbaut

Hugh erweist sich als deutlich talentierter, ehrgeiziger und fleißiger als Josephs Sohn Edward (Daniel Sträßer), der sich mit seinem südamerikanischen Freund Mickey Miranda (Luca Marinelli) in Bordellen herumtreibt, sich vor (homosexueller) Sehnsucht verzehrt und im Drogenrausch sein Leben verdämmert. Dennoch scheint Hughs Weg an die Spitze des Bankhauses verbaut: Seine machthungrige Tante Augusta (Jeannette Hain) intrigiert gegen den Erfolg ihres verhassten Neffen; mit ihrer Ranküne bootet sie auch ihren exzentrischen Schwager Samuel (Axel Milberg) aus – nur im sozialen Abseits kann er seine Homosexualität ausleben.

In einer Spelunke lernt Hugh beim Rattenkampf Maisie Robinson (Laura de Boer) kennen. Er verliebt sich in die junge Frau, die aus ärmlichsten Verhältnissen stammt, sich und ihre todkranke Tochter mit Diebstählen über Wasser hält. Aber auch Hughs alter Internatsfreund, der jüdische Bankierssohn und Träumer Solly Greenbourne (Albrecht Abraham Schuch), verfällt der starken und kämpferischen Maisie und macht ihr den Hof. Weil Hugh so weder in der Bank noch in der Liebe zu Maisie eine Zukunft sieht, macht er sich auf nach Amerika, um nach sechs Jahren als gestandener Bankier zurückzukehren und dem Haus Pilaster ein Fusionsangebot zu machen.

Constantin Television und Network Movie, die auch schon 2009 Folletts „Eisfieber“ für das ZDF produzierten, haben das üppig ausstaffierte Historiendrama in Irland entstehen lassen, in Schlössern und Parks in der Nähe von Dublin. Trotz der internationalen Besetzung – Laura de Boer ist Niederländerin, Luca Marinelli Italiener – wurde auf Deutsch gedreht, lediglich der britische Hauptdarsteller Dominic Thorburn musste synchronisiert werden.

„Groß, bunt, opulent“

Für ihn sei als Regisseur sofort offensichtlich gewesen, erzählt Schwochow, „dass dieser Stoff einen ganz großen, bunten, opulenten Spielplatz bietet, mit vielen unterschiedlichen Figuren und Welten, vom reichen Herrenhaus bis zum illegalen Rattenkampf in irgendeiner Spelunke. Daraus einen Zweiteiler zu bauen, war für mich eine spannende Herausforderung.“

Der Regisseur hat sich bisher vorzugsweise der deutschen Zeitgeschichte zugewandt und mit der Verfilmung von Uwe Tellkamps DDR-Saga „Der Turm“ oder der meisterhaften Grenzöffnungs-Tragikomödie „Bornholmer Straße“ Fernseh-Lorbeer verdient; beide Produktionen wurden mit dem Grimme-Preis prämiert. Mit dem Follett-Projekt die Möglichkeit zu haben, „nicht in Deutschland, sondern zu hundert Prozent in Irland mit einer internationalen Crew zu drehen“, habe ihn gereizt, sagt der 37-Jährige.

„Dieser Film ist für mich zum ersten Mal ein klares Bekenntnis zur Unterhaltung. Dennoch erzählt er eine Geschichte, die durch universelle Konflikte besticht, die uns heute noch vertraut sind: Inwieweit kann ich meine Herkunft verlassen, wann holt sie mich wieder ein? Diese Thematik macht die Figuren sehr modern“, so der Regisseur, der aus der Ludwigsburger Filmakademie hervorgegangen ist.

„Die Pfeiler der Macht“ zeichnen sich durch eine opulente, bis ins Detail stimmige Ausstattung aus, ebenso wie durch die authentische Darstellung der Milieus, bei der vor allem die exzellente Lichtführung auffällt, und eine ausnahmslos stark agierende Schauspielerriege aus; dabei überzeugen auch die jungen, unbekannten Gesichter wie etwa Daniel Sträßer oder Albrecht Abraham Schuch.

Drei Millimeter über der Realität

Bemerkenswert ist vor allem die Tonlage. Schwochows Inszenierung erhält durch eine verfremdende, augenzwinkernde Exaltiertheit eine eigene, frische Note: Der Auftritt der Bankdirektoren gerät so zur musicalhaften Choreografie; das Frust-Fressen von Hughs Cousine Clara (Maria Dragus), die mit Rollenzwängen hadert, wird karikierend überspitzt. Diese formale Haltung speist sich aus dem damaligen Zeitgeist, wie Schwochow erklärt: „Damals fing man ja an, zu posieren, die Selbstinszenierung kam in Mode. Ich habe versucht, das formal auf den Film zu übertragen. Das gibt ihm etwas Theatralisches, Überdrehtes: Buddenbrooks trifft auf Addams Family. Diese Schrägheit und Schrillheit habe ich versucht zu überhöhen, und zwar in allem, im Dekor, in der Farbigkeit, in der Art der Arrangements, die etwas sehr Gesetztes, Choreografiertes und dadurch Gemäldehaftes haben. Das reicht bis zur Spielweise der Schauspieler, die keine naturalistische ist. Sie haben ihre Figuren, deren Sehnsüchte und Konflikte sehr ernst genommen, spielen aber immer drei Millimeter über der Realität.“

Regie und Buch halten diesen Ansatz allerdings nicht durch. Im zweiten Teil, in dem der zurückgekehrte, nunmehr mit der emanzipierten New Yorker Sängerin Nora (Yvonne Catterfeld) verheiratete Hugh Maisie als Sollys Ehefrau und Mutter eines Sohnes wiederfindet, verliert das Historiendrama viel von seiner anfänglichen Originalität und Keckheit. Da rückt das Melodram, die Dreiecks-Konstellation in den Vordergrund – und der große gesellschaftliche Bogen zerbröckelt.

Die von Siechtum und Hunger verdüsterten Londoner Elendsviertel kommen nur noch am Rande vor; auch das Thema der Repression der Frauen wirkt ausgereizt. Stattdessen ziehen sich Schwochow und Simon auf Ausstattungspracht, Liebes-Tragik und Nebenschauplätze wie etwa Mickeys – von Augusta angestiftete – Verführung von Edwards frommer Frau Florence, zurück. Schade, „Die Pfeiler der Macht“ werden so nur zum halben Genuss.