Der Ravensburger Uwe Stürmer leitet die Überprüfung der Polizeireform. Er gilt allerdings als Kritiker der von Grün-rot angestoßenen Umstrukturierung und wird deshalb mit Argusaugen beobachtet.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Grün-Rot, so lässt es sich im Rückblick deuten, hat die Karriere von Uwe Stürmer gebremst. Gelernt hat der Polizeichef aus Oberschwaben sein Handwerk bei der Einsatzhundertschaft Stuttgart. Später zählte er zu den Mordermittlern in der Landeshauptstadt und wechselte für einige Jahre ins Innenministerium. 2007 wurde Stürmer Polizeidirektor in seiner Heimatstadt Ravensburg. Doch der Krönung folgte bald eine Entmachtung. Im Zuge der Polizeireform wurde Ravensburg dem neuen Polizeipräsidium Konstanz unter der Leitung von Ekkehard Falk zugeschlagen. Ravensburger Kriminaler haben seither die Wahl, ob sie täglich mit dem Auto um den halben Bodensee fahren oder frühmorgens die Fähre von Friedrichshafen nach Konstanz besteigen, wenn sie zur Arbeit wollen.

 

Als ein großer Wurf ist die Reform der baden-württembergischen Polizei 2012 angekündigt worden. Die 37 Polizeidirektionen wurden zu zwölf Polizeipräsidien verschmolzen, die Synergien, so das Kalkül, sollten die Einstellung von rund 1000 als notwendig erachteten zusätzlichen Polizisten überflüssig machen und dazu in der Fläche mehr Uniformierte auf die Straßen bringen. Viel Zeit hatte die grün-rote Landesregierung nicht mehr, um die Wirkungen der 2014 gestarteten Reform wohlwollend auszutarieren. Im November 2015 legte der SPD-Innenminister Reinhold Gall noch eine von ihm in Auftrag gegebene Strukturanalyse der Reform aus der Feder von Joachim Jens Hesse vom Internationalen Institut für Staats- und Europawissenschaften vor – wenig später war Galls Partei bekanntlich aus der Regierung gewählt.

Im Oktober hat eine Evaluierung begonnen

Im nunmehr CDU-geführten Innenressort unter Thomas Strobl deutet sich erneut ein Tabula rasa im südwestdeutschen Polizeiwesen an. Auf der Grundlage des grün-schwarzen Koalitionsvertrages hat Anfang Oktober eine groß angelegte Evaluierung der Polizeireform begonnen – „objektiv, ideologiefrei, polizeiorientiert“, wie Strobl an der Seite von Winfried Kretschmann ankündigte. Bis zum nächsten Frühjahr soll sich klären, wie und wo die Reform verändert wird. Eine „Fachgruppe Evaluation Polizeistrukturreform“ redet derzeit mit Beschäftigten und durchleuchtet Organisationsstrukturen. Die Leitung bekam der 54-jährige Uwe Stürmer, der schon 2012, nach dem Bekanntwerden der neuen Gebietszuschnitte, als Kritiker hörbar wurde. Heute sagt er, die Reform der Polizeiorganisation sei „zweifellos notwendig“ gewesen. Er fügt hinzu: „Ich habe aber auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass besonders die Entscheidungen über Zuschnitte und Standorte, jedenfalls wenn man sie polizeifachlich unter die Lupe nimmt, aus meiner Sicht Verbesserungspotenziale aufweisen.“

Stürmer, der auch an der Polizeibasis großes Ansehen genießt, prüft mit seiner Gruppe unter anderem, wie sinnvoll es zum Beispiel ist, auf dem entlegenen Land Kriminaldauerdienste aktiv zu halten. Dienststrukturen, in denen Beamte die ganze Nacht weitgehend tatenlos in Bereitschaft bleiben müssen, gelten intern als „Personalfresser“, die nur Geld kosten.

Die Begleitmusik aus Reihen der Beschäftigten und der Politik ließ nicht lange auf sich warten. Schon als sich Reutlingen 2012 als Hauptquartier eines neuen Polizeipräsidiums gegen Tübingen durchgesetzt hatte, warfen Kritiker dem SPD-Finanzminister Nils Schmid vor, er habe Klientelpolitik für seinen Wahlkreis betrieben. Jetzt ist es die SPD, die eine Attacke reitet: Der aus Geislingen stammende SPD-Fraktionsvize im Landtag, Sascha Binder, hält die Evaluation für „politisch“ und sinnlos, „weil die Reform noch gar nicht abgeschlossen ist“. Er kritisiert den vom Kabinett verhängten Baustopp für acht geplante Baumaßnahmen in Polizeipräsidien. „Wir halten das für ein Sicherheitsrisiko“, sagt Binder. Dass die Grünen dem zusähen, sei unverständlich. „Sie tun, als hätten sie die letzten fünf Jahre nicht regiert.“

Alarmtöne kommen aus den Reihen der Gewerkschaft der Polizei (GdP). So hat im Oktober Rolf Kircher, ein Mitglied im Landesvorstand der Gewerkschaft der Polizei, einen „Hilferuf an den Innenminister“ veröffentlicht, in dem er von „Brandbriefen“ schreibt, „die Revierführer an ihre Präsidenten gerichtet haben“. Die personelle Situation der Landespolizei sei „so miserabel, wie ich sie seit 40 Jahren noch nicht erlebt habe“, klagt Kircher.

Die Gewerkschaft beklagt die schlechte Personalsituation

Der GdP-Landesvorsitzende Rüdiger Seidenspinner fordert auch mehr Personal, hält aber die Evaluation gleichzeitig für fragwürdig. Der Zeitrahmen sei „viel zu eng gelegt“. Er halte nichts von „Änderungen aufgrund von politischem Geklüngel“. Seidenspinners Wunsch: „Jetzt muss mal wirklich Ruhe in den Laden reinkommen“.

Innerhalb der CDU gilt Seidenspinner allerdings als Gewerkschafter, „der auf dem Schoß von Gall saß“, wie hinter vorgehaltener Hand erzählt wird. Auch das im Auftrag Galls gefertigte Hesse-Gutachten gilt als rosarot gefärbt, obwohl es durchaus kritische Diagnosen enthält. So schreibt Hesse von einer wachsenden Distanz zwischen „Häuptlingen und Indianern“ innerhalb der Polizei. Das neu geschaffene Präsidium Technik, Logistik und Service leide unter Fachkräftemangel und habe überhaupt eine „unglückliche Entwicklung“ genommen. Sogar Helmut Jahn, der Präsident des baden-württembergischen Landkreistags, (laut Hesse „CDU-geprägt“) wird erwähnt. Jahn, so steht es im Gutachten, habe die Kommunikation der Landesregierung kritisiert „und den in ihr erkennbaren Unwillen, andere Argumente als die eigenen zu berücksichtigen“. Das Gutachten enthalte gute Ansätze, aber keine belastbaren Aussagen über Zuschnitte, Standorte oder Reformziele insgesamt, sagt Uwe Stürmer. Er betont seine eigene Neutralität. Seine Partei, sagt er, sei „die Polizei“.

Die Frage, ob am Ende der Evaluation die Polizeieinheit Ravensburg ihre verlorene Freiheit zurückbekommt und Stürmer selber Polizeipräsident wird, lässt der Chefermittler in eigener Sache unbeantwortet. Er bitte um Verständnis, sagt er, „dass ich mich an keinerlei Spekulationen hierzu beteiligen werde“.