Der Fall Gurlitt geht in die nächste Runde: Die Beschlagnahmung des Nachlasses des umstrittenen NS-Kunsthändlers und das weitere Vorgehen stehen in der Kritik. Von morgen an zeigen Bonn und Bern die Sammlung endlich öffentlich.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Für den Mann muss es ein Albtraum gewesen sein. 2012 drangen Zollfahnder bei dem 79-jährigen Cornelius Gurlitt ein und beschlagnahmten kistenweise Kunstwerke aus seiner Wohnung in München-Schwabing. Arbeiten, die der alte Herr von seinem Vater, einem NS-Kunsthändler, geerbt hatte. Erst eineinhalb Jahre später ging die Staatsanwaltschaft mit dem Fall an die Öffentlichkeit, der umgehend Schlagzeilen machte. Es wurde von „Nazi-Schatz“ und Raubkunst gesprochen und von Beständen im Wert von 1,5 Milliarden Euro.

 

Nun kann man erstmals in gleich zwei Ausstellungen (eine ausführliche Besprechung folgt am Samstag) besichtigen, was der alte Herr gehortet hatte. Das Kunstmuseum Bern zeigt „,Entartete Kunst’ – Beschlagnahmt und verkauft“, am Freitag wird dann in der Bundeskunsthalle Bonn Teil zwei der „Bestandsaufnahme Gurlitt“ eröffnet werden.

Händler des „Entarteten“

Der einstige Besitzer, Hildebrand Gurlitt (1895-1956), war ein Anhänger der modernen Kunst. Er hatte an Museen in Zwickau, Hamburg und Düsseldorf gearbeitet, bis er von den Nazis aus dem Amt getrieben wurde. Dann aber reüssierte er als einer der privilegierten Kunsthändler des NS-Regimes – obwohl er in der Diktion der Nazis „Viertelsjude“ war. Er verkaufte Werke, die von den Nazis als „entartet“ diffamiert wurden, ins Ausland – das Geld floss in die Staatskasse. Gleichzeitig protegierte Gurlitt aber von Diffamierungen betroffene Künstler.

In ihrem Buch „Gurlitts Schatz“ schreibt die britische Journalistin Catherine Hickley: „Er kaufte Kunst von jenen, die von den Nationalsozialisten aus rassischen Gründen verfolgt wurden, und profitierte immer mehr von der antisemitischen Politik des Dritten Reichs, gegen das er gleichzeitig Widerstand leistete.“ Aus dem Entnazifizierungsverfahren nach Kriegsende ging Hildebrand Gurlitt unbelastet hervor. Die beiden Ausstellungen wollen nun etwas mehr Licht in den Fall bringen, der Politik und Gerichte, Kunsthistoriker und Provenienzforscher beschäftigt hat und zu dem nun auch ein Film ins Fernsehen kommt.

Kritik an Exzessen

Das eigens gegründete Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg hat sich der „Provenienzrecherche Gurlitt“ verschrieben. Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München bearbeitet den Nachlass, der digitalisiert wurde und im Bundesarchiv eingesehen werden kann. An der Universität Wien wird über „Hitlers Führermuseum“ geforscht, für das Gurlitt Werke ankaufte. Inzwischen gibt es Stimmen, die den Aufwand an öffentlichen Mitteln kritisieren, die hier für eine private Sammlung eingesetzt werden.

Dafür weiß man nun: Die Sammlung ist deutlich weniger wert als angenommen. Sie wird auf einen zweistelligen Millionenwert geschätzt. Sicher ist auch, dass die Beschlagnahmung rechtlich auf dünnem Boden stand. Nachdem Gurlitt im Zug aus der Schweiz mit der – zulässigen – Summe von 9000 Euro auffiel und sich unvorsichtig über den Kunstbesitz des Vaters äußerte, wurde der Zoll aktiv. Es sei zum „Beschlagnahmungsexzess“ gekommen, wie Gurlitts späterer Betreuer sagte. Er bezeichnete die Ereignisse als „großes Unrecht“. Man habe den Sohn für die lang verjährten Taten des Vaters haftbar machen wollen.

Inzwischen weiß man übrigens auch, dass sich in der Sammlung keineswegs soviel Raubkunst befindet wie angenommen. Fünf Werke wurden bisher an einstige Besitzer zurückgegeben. Trotzdem lässt sich bei vielen Arbeiten die Herkunft nicht eindeutig nachvollziehen, sie werden die Provenienzforschung noch lange beschäftigen, weil auch Hinweise oder Stempel auf Bildern manipuliert oder getilgt wurden.

Auf der Suche nach Raubkunst

Um den Schaden zu begrenzten, den die Staatsanwaltschaft Augsburg mit der unangemessenen Aktion angerichtet hatte, wurden nach der Beschlagnahmung Verhandlungen mit Gurlitt aufgenommen. Die Bundesregierung gründete in Absprache mit der bayerischen Landesregierung eine „Taskforce“ aus Kunstexperten – wenn auch ohne Gurlitts Zustimmung. Erst kurz vor seinem Tod unterschrieb Gurlitt eine Vereinbarung, dass die Sammlung erforscht und Raubkunst restituiert werden dürfe. Gelesen, behauptete sein Betreuer, habe Gurlitt das Papier nicht.

Als Gurlitt im Mai 2014 starb, vermachte er seine Sammlung dem Kunstmuseum Bern. Niemand weiß, weshalb er ausgerechnet dieses Haus wählte. Um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, nimmt das Museum nur Werke an, deren Provenienzen eindeutig geklärt sind. Werke mit verdächtiger Herkunft bleiben Eigentum der Bundesrepublik, darunter die bedeutenderen Gemälde, die in Bonn gezeigt werden.

In der Berner Ausstellung werden zahlreiche Exponate zu sehen sein, die mit dem Zusatz: „Legat Cornelius Gurlitt 2014. Provenienz in Abklärung / aktuell kein Raubkunstverdacht“ versehen sind. Das Museum hat das Wahlrecht, ob es diese Werke letztlichendlich übernehmen will. Claude Monets hochkarätiges Gemälde der „Waterloo Bridge“ von 1903 möchte Bern in jedem Fall haben, auch wenn es Zweifel daran gibt, wie das Bild in Gurlitts Besitz kam. Raubkunstverdacht besteht nicht. Allerdings existiert ein Dokument, das bestätigt, dass das Gemälde bereits in Familienbesitz gewesen und es Hildebrand Gurlitt 1923 als Hochzeitsgeschenk weitergereicht worden sei. Die Notiz stammt allerdings von 1938, was durchaus Fragen aufkommen lässt.